# taz.de -- Tödlicher Schuss auf Walter Lübcke: Das Problem heißt nicht RAF | |
> 140 Todesopfer rechter Gewalt gibt es seit 1993. Dennoch verweisen nach | |
> der Tötung von Lübcke viele auf die 70er. Der Bezug ist | |
> geschichtsvergessen. | |
Bild: Terror gab es in Deutschland auch nach der RAF – zum Beispiel in der K�… | |
An die Rote Armee Fraktion fühlen sich einige erinnert, seit die | |
Ermittlungsbehörden einen rechtsradikalen Hintergrund beim Mord am | |
Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, vermuten und [1][ein | |
Verdächtiger mit einschlägigen Verbindungen und entsprechend aktenkundiger | |
Vergangenheit festgesetzt ist.] | |
Die RAF bleibt offenbar auch gut 26 Jahre nach dem letzten ihr | |
zugeschriebenen Anschlag der unangefochtene Referenzrahmen für die brutale | |
Störung des bürgerlichen Friedens in Deutschland. | |
Aber warum? Im selben Zeitraum, seit dem Frühjahr 1993, zählt die Amadeu | |
Antonio Stiftung mehr als 140 Todesopfer rechter Gewalt. Mit dem NSU wurde | |
2011 zumindest ein Teil eines rechtsradikalen Terrornetzwerkes enttarnt. | |
Vergleichswerte abseits der RAF gibt es also zur Genüge. | |
Und dennoch führt die schnelle Assoziationskette immer wieder zurück auf | |
die Baader-Meinhof-Gruppe und ihre Erben. So verständlich es sein mag, dass | |
der Mord an einem Politiker die öffentliche Erinnerung in die bleierne Zeit | |
wirft, so sichtbar wird hier die Leerstelle deutscher Selbstwahrnehmung. | |
Obdachlose, Blumenhändler und Imbissbetreiber nichtdeutscher Herkunft, | |
Asylbewerber*innen, Punker, sexuelle Minderheiten und Linke – die Ziele der | |
rechten Mordbrenner haben weniger Gewicht, sie werden in der | |
Mehrheitsgesellschaft selbst als Fremdkörper wahrgenommen. | |
Ihr Tod und ihre Verletzungen gewinnen nie die treibende Symbolkraft, die | |
eine rigorose Isolierung und die daraus folgende energische Verfolgung der | |
Täter und ihres Umfeldes hätte begründen können. Dahinter stehen | |
Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit und immer wieder Rassismus. | |
„Gewalt, Terror, Mord – so kann es nicht weitergehen. … Jetzt muss | |
gehandelt werden. Die CDU fordert die gesetzlichen Maßnahmen, die den | |
Terrorismus wirkungsvoll bekämpfen. Offene Gewalt und Unterwanderung dürfen | |
nicht länger geduldet, den Feinden der freiheitlichen, demokratischen | |
Grundordnung muss der Kampf angesagt werden.“ | |
Das plakatierte die Union 1977 nach dem Mord an Generalbundesanwalt | |
Siegfried Buback. Zum Werkzeugkasten der Verfolgung der RAF gehörten | |
Rasterfahndung, der parteiübergreifende Große Krisenstab im Kanzleramt, | |
Gedankenspiele über die Erschießung von Häftlingen, die massive | |
Kriminalisierung tatsächlicher und vermeintlicher Sympathisant*innen, | |
inklusive Jahrzehnte dauernder Repression. | |
Die mörderische Realität des rechten Terrors hingegen ist den | |
Verteidiger*innen der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung oft kaum | |
mehr als ein Achselzucken wert. Die Meldungen über Rechtsradikale in | |
Polizei, Bundeswehr und Justiz reißen nicht ab. Ihr parlamentarischer Arm | |
konsolidiert sich in der ganzen Republik und kann sich Hoffnungen machen, | |
noch in diesem Jahr an Landesregierungen beteiligt zu sein. Nichts, aber | |
rein gar nichts erinnert hier an die RAF. Auch nicht der Mord an Walter | |
Lübcke. | |
## Alle müssen handeln | |
Dass selbst aufmerksame und sensible Beobachter*innen bei diesem Verbrechen | |
einen möglichen Wendepunkt im Umgang mit dem rechten Terror sehen wollen, | |
ist wohl Ausdruck einer ganz besonderen Déformation professionnelle, die | |
alle befällt, die sich regelmäßig mit Nazis und ihren Netzwerken | |
beschäftigen: dem Unglauben, der Fassungslosigkeit darüber, dass einfach | |
nichts geschieht. | |
Jeder neue Mord sollte dieser Wendepunkt sein, keiner wird es. Das ändert | |
auch nicht der geschichtsvergessene RAF-Bezug. Denn solange nicht jedes | |
einzelne Todesopfer rechter Gewalt als Symbol für einen Angriff auf die | |
Gesellschaft als Ganzes in deren Selbstvergewisserung einfließt, solange | |
Rassismus und soziale Ausgrenzung Alltag sind, so lange bleiben die | |
Terroristen, selbst wenn sie einen CDU-Politiker hinrichten, Einzeltäter. | |
Einfach nur über die Stränge schlagende „Jungs von hier“, deren Verbrechen | |
uns nichts über den fruchtbaren Humus der mörderischen Menschenverachtung | |
erzählen, der das ganze Land und seine Institutionen durchzieht [2][und der | |
alle zu eiligem Handeln auffordert.] | |
18 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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