Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Norberto Bobbios „Rechts und Links“: Das Problem der Gleichheit
> Ist die Unterscheidung zwischen links und rechts obsolet geworden? Die
> Neuauflage von Norberto Bobbios Klassiker gibt Antworten.
Bild: Der italienische Rechtsphilosoph und Publizist Norberto Bobbio 1995
Auf dem Feld des Politischen gibt es einige Paradoxien: Während wir ein
Erstarken rechtsextremer Parteien beobachten, werden Wahlen „in der Mitte“
gewonnen. Während die einen noch von Hufeisen fabulieren, halten die
anderen die Unterscheidung zwischen links und rechts von vornherein für
sinnlos: [1][Der italienische Philosoph und Publizist Norberto Bobbio]
widmete sich in „Rechts und Links“ bereits 1994 der Frage, ob die
Unterscheidung zwischen den beiden politischen Extremen obsolet geworden
sei. Im Verlag Klaus Wagenbach erscheint nun die Neuauflage des Klassikers.
Bobbio untersucht die Frage von zwei Seiten: Was sind die Argumente gegen
eine fortwährende Unterscheidung von links und rechts? Und: Gelingt es
trotzdem, eine Differenz zwischen den Polen auszumachen? Der Philosoph
stellt klar, dass eine Analyse von rechts und links nie rein deskriptiv,
sondern stets axiologisch, also wertphilosophisch grundiert sei. Er selbst
ist Linker.
Bobbio schrieb sein Buch unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der
Sowjetunion, dem angeblichen „Ende der Geschichte“, das zum globalen
Siegeszug der liberalen Demokratien führen sollte. Wir wissen ja, dass es
anders kam.
## Extreme eines Kontinuums
Das Links-rechts-Schema beschreibt Bobbio als dyadisch: Beide Seiten
benötigen einander, man kann rechts nicht ohne links definieren und vice
versa. Er hält fest, dass die Existenz auch einer wachsenden Mitte kein
Argument gegen die Existenz von links und rechts darstelle – im Gegenteil.
Schließlich muss man sich links und rechts als Extreme eines Kontinuums
vorstellen, in denen eine Mitte zu beiden Seiten anschlussfähig ist.
Auch der Umstand, dass sich einige politische Parteien und Bewegungen
scheinbar dem Links-rechts-Schema entziehen, ist für ihn kein gültiges
Argument gegen die klare Existenz der Lager. Interessanterweise nennt
Bobbio das Beispiel der damals noch recht jungen grünen Bewegung. Grüne
Politik lasse sich nämlich konservativ/religiös (rechts) begründen, aber
auch sozial/atheistisch (links).
## Die nicht-wesentlichen Faktoren
Atheistisch oder religiös seien aber gar keine hinreichenden
Definitionsmerkmale für rechts oder links. So werde die Linke zwar als
atheistisch betrachtet, aber es existiert durchaus eine religiöse Linke
(wie die katholische Befreiungstheologie zeigt). Der Begriff der
konservativen Revolution wiederum zeigt, dass das Revolutionäre nicht nur
den Linken eigen ist. Diese nicht-wesentlichen Faktoren können ausgetauscht
oder angeeignet werden.
Bobbio erläutert, „dass sich die Rechte und die Linke begegnen und sogar
die Rollen tauschen könnten, ohne deshalb aber aufzuhören, das zu sein, was
sie sind. Aber gerade diese mögliche Begegnung im Gebrauch bestimmter
Mittel ist der Anlass für die Verwirrungen, die den Gegnern der
Unterscheidung den Grund für ihre Gegnerschaft liefern.“
## Unterscheidungsmerkmal Egalitarismus
Das führt zur Frage, was nun das wesentliche Unterscheidungskriterium ist.
Für Bobbio ist es die Gleichheit: Die Zurückweisung der Gleichheit sei
konstitutiv für die Rechte – der Wunsch der Beseitigung der Ungleichheiten
auf Basis von Klasse, „Rasse“/race und Geschlecht aber konstitutiv für die
Linke.
So „dass, wenn es ein charakteristisches Element in den Doktrinen und
Bewegungen gibt, die sich links nennen und als solche allgemein anerkannt
werden, dies der Egalitarismus ist, der, dies sei noch einmal gesagt, nicht
als die Utopie von einer Gesellschaft verstanden wird, in der alle
Individuen in allem gleich sind, sondern als ein Streben, die Ungleichen
etwas gleicher werden zu lassen.“
Erkennt man aber die Forderung nach Gleichheit als wesentliches Moment der
linken Bewegung, die Negation der Gleichheit (und Gleichwertigkeit) aber
als wesentliches Moment der Rechten, dann taucht die Frage auf, wer ein
Interesse daran hat, das Links-rechts-Schema zurückzuweisen: diejenigen,
die gesellschaftliche Ungleichheit nicht adressieren wollen, die vielmehr
Ungleichheit als eine Form der Freiheit verschleiern. Die Negation der
Differenz zwischen links und rechts wäre der Triumph des Neoliberalismus.
7 Dec 2021
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1260551
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
Rechts
Politische Theorie
Nachruf
Feminismus
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Klaus Wagenbach: Mann mit Profil
Anarchie, Geschichtsbewusstsein und Hedonismus: Für Klaus Wagenbach waren
das wichtige Begriffe. Nun ist der Verleger mit 91 Jahren gestorben.
Nachruf auf bell hooks: Und wäre die Liebe nicht
Die große Anwältin der klassenlosen Gesellschaft. Zum Tod der
Literaturwissenschaftlerin und feministischen Theoretikerin bell hooks.
Rechtsextremismus und AfD: AfD als Matrjoschka-Puppe
Es wird darum gerungen, wie man das rechte Projekt um die AfD
charakterisieren soll – etwa konservativ, populistisch oder rechtsextrem.
What’s right?
Debatte SPD-Kurs: Rechts und Links lebt
Die aktuelle Krise der SPD hat viele Gründe. Zu bekämpfen ist sie nur, wenn
der nebulöse "Weg der Mitte" aufgegeben und das linke Profil der Partei
geschärft wird.
Autor über Berlusconis Erfolg: "Groß darin, Leute zu kaufen"
Berlusconis Erfolg entspringt seiner Medienmacht und dem Unvermögen der
Linken, sagt der Autor Marco Travaglio.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.