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# taz.de -- Nachruf auf Klaus Wagenbach: Mann mit Profil
> Anarchie, Geschichtsbewusstsein und Hedonismus: Für Klaus Wagenbach waren
> das wichtige Begriffe. Nun ist der Verleger mit 91 Jahren gestorben.
Bild: Eine linke Haltung, verbunden mit sinnlicher Neugierde: Verleger Klaus Wa…
Manchmal konnte Klaus Wagenbach richtig ungehalten werden. 1977 etwa war er
mit seinem Westberliner Verlag in eine Krise geraten und tourte deshalb
durch die alternativen Buchhandlungen der Bundesrepublik. Auch das
überwiegend langhaarige Publikum im Freiburger Laden Jos Fritz saß eng
gedrängt. Und eine Bemerkung Wagenbachs wurde am Deutschen Seminar der
Universität noch tagelang kontrovers diskutiert. Er machte sich über die
Schriftstellerin Gisela Kraft lustig, die gerade von Westberlin nach
Ostberlin umgezogen war, also eine richtige DDR-Bürgerin sein wollte.
Ihr Argument lautete: „Ich brauche keine dreißig Käsesorten, mir genügen
drei!“ So etwas hasste Wagenbach am meisten. Emphatisch rief er aus:
Dreißig, fünfzig, hundert Käsesorten müssten es sein, wie in Italien! Es
sei eine Katastrophe, Kommunismus und Sinnlichkeit für einen Gegensatz zu
halten! Da ging ein verwirrtes Raunen durch die Menge.
Eine linke Haltung, verbunden mit sinnlicher Neugierde: darin liegt
Wagenbachs Lebensleistung, und sie ist in Deutschland höchst ungewöhnlich.
Dabei hatte der am [1][11. Juli 1930 geborene Klaus Wagenbach ganz
klassisch angefangen]. Fritz Hirschmann, der Hersteller bei Suhrkamp, wies
den jungen Hilfsbuchhalter Anfang der 50er Jahre auf Franz Kafka hin, und
das wurde für Wagenbach zu einem Schlüsselerlebnis. 1958 veröffentlichte er
seine maßstabsetzende Biografie über Kafkas Jugend, die diesen
Jahrhundertautor den Mystikern entriss. Wagenbachs Lieblingsfarbe wurde
Schwarz, und er strich seine erste Studentenbude aus Begeisterung für Kafka
ganz in dieser Farbe.
Immer wieder betonte Wagenbach, wie muffig und spießig die Atmosphäre in
den 50er Jahren war. Seine politische Radikalisierung hatte ursächlich
etwas damit zu tun. Im Jahr 1964 trennte er sich als Lektor vom S. Fischer
Verlag, wegen Auseinandersetzungen über die DDR, und gründete seinen
eigenen Verlag in Westberlin.
Er war allerdings keineswegs ausschließlich mit einer linken radikalen
Gesinnung zu charakterisieren. Wagenbach hatte etwa auch mit dem Lyriker
Paul Celan zusammengearbeitet, und es gibt einen Brief des eher
geistesaristokratisch geprägten Celan an Gottfried Bermann Fischer,
nachdem Klaus Wagenbach dessen Haus 1964 verlassen hatte. Celan schreibt,
dass „mit dem Weggang Klaus Wagenbachs viel Gewonnenes in Frage gestellt
wurde. Klaus Wagenbach besitzt etwas, das heute sehr selten anzutreffen
ist: Profil.“
## Biermann über die Grenze geschmuggelt
Der Wagenbach Verlag zeigte danach exemplarisch, dass
gesellschaftspolitische Ambitionen nicht mit einer Hintanstellung
ästhetischer Fragen einhergehen müssen. Seine legendären „Quarthefte“ wa…
der berühmten Reihe „Der jüngste Tag“ im Kurt Wolff Verlag nachgebildet:
Kladden in schwarzer Pappe mit einem Titelaufkleber wie auf einem
Schulheft – sofort wiedererkennbar.
Wagenbach strebte nach dem Bau der Mauer programmatisch ein gesamtdeutsches
Profil an und verlegte mit [2][Johannes Bobrowski einen Ausnahmelyriker aus
der DDR]. Er schmuggelte Wolf Biermanns Manuskripte und Tonbänder über die
Grenze nach Westberlin, brachte aber auch Ingeborg Bachmanns fulminante
Büchnerpreisrede heraus.
Man verstand sich bei Wagenbach ausdrücklich als „Verlagskollektiv“. Das
führte in der Phase dogmatischer Verhärtungen nach 1968 zu tiefen privaten
wie politischen Krisen. Die Auseinandersetzungen über die Verlagsstruktur
bildeten nur eines der Probleme. Es kamen unterschiedliche Auffassungen
über den Umgang mit der Rote-Armee-Fraktion dazu – [3][Wagenbach schätzte
unter anderem Ulrike Meinhof als Autorin] sehr hoch ein –, und diese
führten schließlich zur Trennung von vielen Autoren und Lektoren und zur
Gründung des konkurrierenden Rotbuch Verlags.
## Im Geist des französischen Citoyen
Wagenbach hat seinen Verlag ab Ende der siebziger Jahre langsam wieder
konsolidiert und nannte programmatisch drei Begriffe, die seine Absichten
immer bezeichnet hätten: „Anarchie, Geschichtsbewusstsein, Hedonismus.“ Und
er fügte hinzu, dass dies nicht traditionell „linke“ Kategorien seien,
„sondern zum Teil bürgerliche, was damit zusammenhängt, dass die deutsche
Linke – im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern Europas – deswegen nicht
auf begrenzte Bündnisse mit einem radikal liberalen oder konservativen
Bürgertum zählen kann, weil es so gut wie nicht existent ist“.
Wagenbach stand immer für ein Bürgertum im Geist des französischen Citoyen,
dessen Parolen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ er nicht müde
wurde einzufordern – und gleichzeitig für literarischen Spürsinn und eine
enorme ästhetische Bandbreite.
Im Jahr 1978 schließlich, mitten in die Kakophonie der bundesdeutschen
Linken und der Katerstimmung des Deutschen Herbstes, gelang Wagenbach mit
[4][Pier Paolo Pasolinis „Freibeuterschriften“] ein Paukenschlag. Damit
leitete er einen Rhythmuswechsel ein. Nicht zufällig wurde kurz danach die
Partei Die Grünen gegründet: Die deutsche intellektuelle Linke konnte jetzt
daran anschließen, was Pasolini bereits Ende der sechziger Jahre
thematisiert hatte, nämlich die Zerstörung der Identität durch Konsumismus.
Engagement und Lebenslust, selbst in den Niederungen des Literaturbetriebs:
das machte Wagenbach aus. Zur Tagung der Gruppe 47 in Princeton, USA,
reiste Wagenbach 1966 wegen Flugangst mit dem Schiff, zusammen mit dem
Ehepaar Grass: „Grass fuhr erste Klasse, ich dritte, in der zweiten trafen
wir uns zum Skatspielen.“ Wagenbach ist der beste deutsche Beweis dafür,
dass politisches Bewusstsein und Humor sich nicht von vornherein
ausschließen müssen. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren nach langer
schwerer Krankheit in Berlin gestorben.
20 Dec 2021
## LINKS
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[2] /100-Geburtstag-von-Johannes-Bobrowski/!5398887
[3] /Vor-40-Jahren-starb-Ulrike-Meinhof/!5299005
[4] /Ausstellung-ueber-Filmemacher-Pasolini/!5032502
## AUTOREN
Helmut Böttiger
## TAGS
Nachruf
Verleger
Schwerpunkt 1968
Pier Paolo Pasolini
Deutsche Geschichte
Rechts
Buch
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