# taz.de -- „Meine Nähe zum Faschismus“ | |
> Norberto Bobbio spricht über sein Verhältnis zum Duce. Sofort tobt ein | |
> Historikerstreit auf Italienisch ■ Von Mariani Collaci | |
„Wir wissen alles über die Väter des Antifaschismus, doch wir wissen nichts | |
über den Faschismus, der ihrem Antifaschismus vorherging.“ Mit diesen | |
Worten beginnt ein Interview, das in den letzten Tagen in Italien für | |
reichlich Aufregung sorgte. | |
Ausgerechnet in dem rechten Berlusconi-Blatt Il Foglio wurde da am 12. | |
November Norberto Bobbio auf seine faschistische Vergangenheit befragt, | |
ausgerechnet durch den postfaschistischen Journalisten Pietrangelo | |
Buttafuoco. „Ich sage Ihnen etwas, was als starker Tobak erscheinen mag“, | |
teilte Bobbio da mit, „Sie fragen mich, warum wir bis heute nicht über | |
unseren Faschismus gesprochen haben? Nun, schlicht weil wir uns schämten. | |
Jetzt, mit neunzig Jahren, kurz vor dem Ende meines Wegs, spreche ich | |
darüber. Mein Faschismus, meine familiär bedingte Nähe zum Faschismus | |
begleitete schlicht mein Alltagsleben, das Leben eines jungen, | |
wissbegierigen Studenten. Ich, der ich meine faschistische Jugend umgeben | |
von Antifaschisten verbracht habe, werde heute von Gewissensbissen geplagt; | |
ich schämte mich vor allem vor mir selbst und dann auch vor denen, die acht | |
Jahre Gefängnis abgesessen haben.“ | |
Bobbio war einerseits Mitglied der faschistischen Partei, andererseits | |
bewegte er sich in den antifaschistischen Kreisen Turins, zählte von | |
Gymnasiumszeiten an Personen wie den Schriftsteller Cesare Pavese, wie | |
Leone Ginzburg, wie Vittorio Foa zu seinen Freunden. Doch während die | |
anderen schon früh in die Opposition zum Regime gingen, mit Gefängnis, | |
Verbannung oder – der Fall Ginzburgs – mit dem Tod einen hohen Preis | |
zahlten, zog Bobbio sich in die Welt der universitären Studien zurück. | |
All diese Fakten sind seit Jahren bekannt; bekannt war auch der auf 1938 | |
datierende Bittbrief Bobbios an Mussolini, in dem der Philosoph – dessen | |
Universitätskarriere wegen seiner gefährlichen Freundschaft mit | |
polizeibekannten Antifaschisten in Gefahr war – den Duce um Beistand | |
anging. Schon als dieser Brief 1992 auftauchte, machte der | |
Rechtsintellektuelle Marcello Veneziani ihn zum Anlass einer kleinen | |
revisionistischen Fingerübung: Wenn der Antifaschist Bobbio unter dem | |
Faschismus Karriere machen konnte, dann könne das entweder nur heißen, dass | |
der Faschismus gar nicht das von Bobbio später beschriebene totalitäre | |
Regime war – oder aber, dass Bobbio auf Seiten des Regimes stand. 1992 noch | |
hatte Bobbio selbst der Polemik ein schnelles Ende gesetzt mit der | |
Erwiderung, die diktatorische Natur des Faschismus werde gerade daran | |
deutlich, dass er zu Servilismus und Heuchelei gezwungen habe. Heute | |
dagegen heizt Bobbio selbst die Polemik neu an, mit einem Satz, in dem er | |
offen seinen damaligen Opportunismus eingesteht: „Ich steckte tief drin in | |
der Doppelzüngigkeit, weil es einfach bequem war, unter Faschisten den | |
Faschisten abzugeben und unter Antifaschisten den Antifaschisten.“ | |
Eigentlich eine Frage der persönlichen Biografie, doch dem Kommentator der | |
Repubblica, Gad Lerner, drängte sich sofort der Verdacht auf, hier gehe es | |
um mehr, nicht um die Rekonstruktion eines individuellen Werdegangs, | |
sondern um die revisionistische Rekonstruktion der Geschichte Italiens. | |
Bobbio habe sich von der Rechten dazu missbrauchen lassen, die letzten | |
fünfzig Jahre einfach wegzuwischen in dem „plumpen Versuch, Faschismus und | |
Antifaschismus auf die gleiche Stufe zu stellen“: „Hinter dem geheuchelten | |
Respekt für Bobbios inneren Kampf können wir ohne Mühe die Explosion des | |
sarkastischen Spotts vorhersehen, nach dem Motto: Wir waren alle | |
Faschisten, dann alle Christdemokraten und morgen wer weiß was, wir waren | |
immer gerissen, wie sich das für gute Italiener gehört.“ | |
Ein Verdacht mit Gründen. Schon seit Beginn der Neunzigerjahre arbeitet die | |
italienische Rechte daran, sich durch einen merkwürdigen Abschied vom | |
Faschismus hoffähig zu machen: durch die Behauptung, sie habe den | |
Faschismus hinter sich gelassen, nun sei es an den Gegnern von gestern, | |
ihrerseits dem Antifaschismus abzuschwören – auf dass alle Italiener sich | |
als A-Faschisten wiederfinden, die nüchternen Blickes Widerstand und | |
Partisanenkrieg als nationale Tragödie würdigen können, in der beide Seiten | |
ehrbare Motive hatten. | |
Nichts schöner, als den gestandenen Antifaschisten Norberto Bobbio dafür | |
als Kronzeugen reklamieren zu können – wie es prompt der revisionistische | |
Historiker Giovanni Belardelli in der Zeitung Corriere della Sera tat. Eine | |
bedeutende intellektuelle und moralische Lektion habe Bobbio da erteilt | |
(den ewigen Antifaschisten, versteht sich), er habe uns „indirekt“ wissen | |
lassen, was es mit Mussolini eigentlich auf sich hatte: „Mussolinis Regime | |
war eines, dem Millionen Italiener und Italienerinnen folgen konnten. [...] | |
Natürlich war es eine Diktatur, in der es jedoch geschehen konnte – wie | |
Bobbio uns ins Gedächtnis ruft –, dass jemand Faschisten wie Antifaschisten | |
frequentierte und dabei ohne große Schwierigkeiten seinen Forschungen | |
nachging.“ Belardellis Schluss: Die Verdammungen des Faschismus als das | |
„absolute Böse“ müssten nun ein Ende haben. | |
Und so wie Belardelli voller Respekt vor Bobbio – ganz wie es Gad Lerner | |
erwartet hatte – für den Geschichtsrevisionismus Reklame machte, so | |
steuerten andere den sarkastischen Spott bei. Vittorio Feltri, Rechtsaußen | |
des italienischen Journalismus, titelte im Giorno in perfekter | |
faschistischer Diktion: „Ehre der Aufrichtigkeit des Großen Alten!“, und | |
das zum Berlusconi-Imperium gehörende Giornale triumphierte: „Die | |
Bobbio-Mauer ist gefallen!“ Zusammengebrochen sei der „Bobbio-Mythos, den | |
Scharen von zweitrangigen Professoren und Journalisten allzu lange | |
umschwirrt haben“. | |
Und Bobbio selbst? Der bekennt sich, unbeeindruckt von den Scharen rechter | |
Jubilanten, noch einmal in einem Brief an die Stampa zu seiner „Operation | |
Aufrichtigkeit“ und liefert seinen falschen Freunden gleich noch ein | |
Stichwort, das ihnen Freude bereiten wird. Es sei nun endlich Zeit, | |
Antifaschismus und Antikommunismus hinter sich zu lassen. Was den | |
Antikommunismus angeht, haben Bobbios Hoffnungen wenig Chancen, in | |
Erfüllung zu gehen. Bei der Erledigung des Antifaschismus dagegen ist | |
Italien schon ein ganzes Stück weiter. Vor einigen Tagen legte der | |
Oberbürgermeister Mailands, Gabriele Albertini, einen Kranz am Mahnmal der | |
im Zweiten Weltkrieg gefallenen Partisanen ab – und fünf Minuten später | |
stand er vor den Gräbern der Freiwilligen der Republik von Salò, eines | |
faschistischen Marionettenregimes der Deutschen in Norditalien, um auch | |
ihnen die Ehre zu erweisen. Von Norberto Bobbio ist zuletzt auf Deutsch | |
erschienen: „Das Zeitalter der Menschenrechte. Ist Toleranz durchsetzbar?“, | |
Wagenbach Verlag, Berlin | |
24 Nov 1999 | |
## AUTOREN | |
Mariani Collaci | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |