| # taz.de -- Berlins Arthouse-Kinos in Pandemiezeiten: Da läuft noch was! | |
| > Die kleinen Berliner Programmkinos kommen überraschend gut durch den | |
| > Lockdown. Das Publikum unterstützt sie mit Spenden. | |
| Bild: Karlheinz Opitz, Gründer und Inhaber der Eva-Lichtspiele, im leeren Kino… | |
| Berlin taz | Das Kino ist wegen Corona derzeit geschlossen und niemand kann | |
| sagen, wann es wieder öffnen darf – und dann geht auch noch der Beamer | |
| kaputt. Für ein kleines Arthouse-Kino wie die [1][Eva Lichtspiele in | |
| Wilmersdorf] ist das die doppelte Katastrophe. Die Kassen sind nach den | |
| dürren Pandemiemonaten leer, wo sollen da jetzt noch die 60.000 Euro für | |
| einen neuen Beamer herkommen? | |
| Neun Jahre lang habe der bisherige Beamer gehalten, sagt Karlheinz Opitz, | |
| Betreiber des 107 Jahre alten Kiezkinos. Jetzt gebe es Verzerrungen bei der | |
| Projektion, sämtliche Experten, die er befragt habe, meinten unisono: Da | |
| ist nichts mehr zu retten. | |
| Doch so richtig Weltuntergangsstimmung will bei dem Kinobetreiber trotzdem | |
| nicht aufkommen. „Ich habe keine schlaflosen Nächte“, sagt er. Die | |
| Coronakrise habe ihm gezeigt: Die Leute unterstützen ihr kommunales Kino. | |
| Sie versumpfen eben gerade nicht alle auf ihrer Couch mit ihrem Netflix-Abo | |
| und vergessen vor lauter Corona langsam ihr mal geschlossenes, mal nur für | |
| eine begrenzte Zahl von Besuchern geöffnetes Kino um die Ecke. | |
| Schon während des ersten Lockdowns seien viele auf Opitz zugekommen und | |
| haben gefragt: Wie kann ich helfen? Wo kann ich spenden? Erst sei ihm das | |
| fast ein wenig peinlich gewesen, sagt der Kinobetreiber, aber natürlich | |
| habe er dann schon seine Kontonummer herausgerückt. Und bis jetzt landen | |
| regelmäßig kleine Beträge auf seinem Konto, die ihn und sein Kino bislang | |
| gut durch die Krise gebracht haben. Außerdem hat er eine | |
| [2][Startnext-Kampagne] ins Leben gerufen: Gut die Hälfte des benötigten | |
| Geldes für den neuen Beamer ist dort bei der noch bis 15. Januar laufenden | |
| Kollekte bereits zusammengekommen. | |
| ## Gut verwurzelt im Bezirk | |
| Das Kino sei gut verwurzelt im Bezirk und nun erfährt es Solidarität in | |
| einem Maße, mit dem Opitz gar nicht gerechnet hat. Den Wilmersdorfer | |
| Kinogängern scheint es ein Anliegen zu sein, dass sie auch nach der | |
| Lockerung der Coronamaßnahmen weiterhin in ihrem Kino um die Ecke Filme auf | |
| der großen Leinwand sehen können. „Die Leute fiebern der Wiedereröffnung | |
| regelrecht entgegen“, glaubt Opitz. | |
| Schon seit Jahren ist von einer Krise der Kinos die Rede. Die | |
| Sehgewohnheiten des potenziellen Publikums hätten sich geändert, der | |
| Streaming-Boom würde zunehmend die großen Leinwände verdrängen. Doch trotz | |
| aller Unkenrufe kam es in Berlin nicht zum großen Kinosterben. [3][Eher im | |
| Gegenteil]. Kleine, inzwischen längst etablierte Arthouse-Kinos wie das | |
| Wolf in Neukölln oder das Il Kino in Kreuzberg kamen sogar neu dazu: Häuser | |
| mit kleinen Sälen, ausgesuchtem Programm und dazugehöriger Bar und | |
| Gastro-Angeboten. Kino neu gedacht, und es funktioniert. | |
| Und auch fast ein Jahr Corona und ein neues Rekordhoch bei den | |
| Streaming-Anbietern kann den Kinos derzeit nicht viel anhaben. | |
| Erstaunlicherweise klingen Betreiber, bei denen man nachfragt, ähnlich | |
| optimistisch und unverzagt wie Karlheinz Opitz. Wie bei diesem hört man | |
| auch bei anderen heraus, dass sie wegen Corona fast schon so eine Art | |
| Erweckungserlebnis hatten. „Wir haben unheimlich viel Zuspruch erfahren und | |
| wahnsinnig viele Kinogutscheine verkauft, auch in Zeiten, als noch gar | |
| nicht absehbar war, wann wir wieder öffnen dürfen“, sagt Christian Bräuer, | |
| Geschäftsführer der Yorck Kinogruppe, die mehrere Arthouse-Lichtspiele in | |
| Berlin betreibt. | |
| Auch Verena Stackelberg, die Betreiberin des Wolf in Neukölln, sagt, dass | |
| sie in den schweren Zeiten viele Soli-T-Shirts und Hoodies über die eigene | |
| Homepage verkauft habe. „Schon zum Beginn der Pandemie hat sich gezeigt, | |
| dass die Leute weiter Lust auf Kino haben. Und sie sagen: Ich möchte mein | |
| Kino unterstützen“, sagt sie. „Ein Traum wurde wahr, könnte man fast sage… | |
| Man kann die Verbundenheit mit dem Publikum regelrecht spüren.“ | |
| ## Colosseum als Ort für ein Kino erhalten | |
| Überall also die Signale an die Arthouse-Kinos: Wir brauchen euch auch | |
| fortan, bitte macht weiter. So ist das übrigens auch beim traditionsreichen | |
| [4][Colosseum im Prenzlauer Berg], das im letzten Frühjahr Insolvenz | |
| anmeldete. Vordergründig wegen Corona. Wahrscheinlicher ist aber, dass die | |
| Betreiber für das Gelände, auf dem sich das Kino befindet, einfach andere | |
| Pläne haben. In einer Petition, die schon mehr als 10.000 Unterschriften | |
| hat, wird inzwischen gefordert, das Colosseum als Ort für ein Kino zu | |
| erhalten. | |
| Es ist schon auffällig: Wegen Corona gibt es Wehklagen überall in der | |
| Kultur- und Veranstalterbranche, aber nicht bei den Kinobetreibern. „Die | |
| Kinos haben es ganz gut getroffen“, sagt Verena Stackelberg vom Wolf-Kino, | |
| „die Politik ist ziemlich hilfsbereit und finanziell kann ich mich nicht | |
| beklagen. Es gibt viele Förderprogramme, die die Kinos gerade | |
| unterstützen.“ Und Christian Bräuer von der Yorck-Gruppe, der nebenbei auch | |
| Vorstandsvorsitzer des deutschlandweiten [5][Filmkunsttheater-Netzwerks AG] | |
| Kino ist, gibt an, mit seinen Bedürfnissen auf sehr weit geöffnete Ohren | |
| bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu stoßen, genauso wie beim | |
| Berliner Senat. | |
| Wenn man Verena Stackelberg vom Wolf so zuhört, bekommt man sogar den | |
| Eindruck, Corona könnte dazu beitragen, die Kinos rascher zukunftsfähig zu | |
| machen und einen Innovationsstau in der ganzen Branche zu lösen. Was vor | |
| allem bedeutet: Das Verhältnis zum immer omnipräsenter werdenden Streaming | |
| neu zu justieren. „Da muss und da wird etwas passieren“, sagt Stackelberg, | |
| „die Kinos und Verleiher sind den Entwicklungen nur noch hinterhergehinkt. | |
| Es wird Zeit, das zu ändern, man muss alles neu denken.“ | |
| Sie spricht damit den Punkt an, dass die Studios und Filmproduktionsfirmen | |
| schon seit Längerem versuchen, ihre Produkte schneller oder möglichst | |
| gleich direkt auf den Streaming-Plattformen auszuwerten, wovon sich die | |
| Kinos zunehmend übergangen fühlen. Wegen Corona hat sich die Filmindustrie | |
| auch notgedrungen noch stärker mit den Streaming-Diensten arrangiert – und | |
| die Kinos weiter marginalisiert. Die Entwicklung hat sich rasend | |
| dynamisiert. Mit HBO Max wird es in den USA außerdem schon in diesem Jahr | |
| eine Streaming-Plattform geben, auf der Filme gleichzeitig mit deren | |
| offiziellen Starts in den Kinos angeboten werden. | |
| ## „Streaming nicht Untergang des Kinos“ | |
| Die Zeiten, in denen man unbedingt ins Kino rennen musste, um einen neuen | |
| Film sofort sehen zu können, werden also zunehmend Vergangenheit sein. | |
| Dieser Realität werden sich die Kinos stellen müssen. | |
| Christian Suhren, Mitbetreiber des Arthouse-Kinos FSK in Kreuzberg, sagt: | |
| „Streaming ist gar nicht der Untergang des Kinos und auch kein | |
| Teufelszeug.“ Die Co-Existenz von Kino und Streaming werde sich einfach | |
| „zurechtruckeln“ müssen. Und die Lust auf Kino werde bleiben, auch bei | |
| jemandem mit Netflix-Abo. Wie das Wolf zeigte er auch in seinem Haus mit | |
| „Roma“ und „Marriage Story“ schon Netflix-Produktionen. Die von der Kri… | |
| euphorisch gefeierten Filme waren bereits bei dem amerikanischen | |
| Streaming-Dienst zu sehen, bevor sie noch zusätzlich ins Kino kamen. Und | |
| „sie liefen beide sehr gut“, sagt Suhren. | |
| Mit dieser neuen Partnerschaft von Kino und Streaming wird es wohl auch | |
| weitergehen, wenn man wieder vor großen Leinwänden sitzen darf. „Es gibt | |
| wahnsinnig viele gute Filme, die darauf warten, im Kino gezeigt zu werden“, | |
| sagt Verena Stackelberg vom Wolf, „ob die bereits bei Netflix liefen, juckt | |
| mich nicht.“ | |
| Auch in anderer Form hat Corona das Verhältnis der Kinos zum Streaming neu | |
| geklärt. Wolf und FSK haben wie auch andere kleine Kinos in Berlin in den | |
| letzten Monaten eigene Video-on-Demand-Angebote mit ausgesuchten Filmen, | |
| die zur Identität der jeweiligen Lichtspielhäuser passen, auf ihren | |
| Websites eingerichtet: Um trotz Corona wenigstens ein bisschen präsent zu | |
| sein. Aber auch nach der Pandemie werden diese Streaming-Kanäle bleiben. | |
| Viel Geld werde mit diesen bislang nicht eingenommen, sagt Christian Suhren | |
| vom FSK, aber er prophezeit: „In dem Bereich wird noch viel mehr passieren, | |
| da wird noch richtig Bewegung reinkommen.“ | |
| ## In die Zukunft zu denken | |
| Hinzu kommt, dass bald die bundesweite Streaming-Plattform „Cinema Lovers“ | |
| für kommunale Kinos an den Start geht. Sie ist auch so eine Coronageburt. | |
| Dort könne man, „wie in einem weiteren Kinosaal“, erklärt Suhren, selbst | |
| zusammengestellte Filme anbieten. Etwa vergessene Perlen aus der | |
| Filmgeschichte, von denen man glaubt, sie ergänzen gut das Programm, das | |
| man im eigentlichen Kino anbietet. Wolf und FSK werden ziemlich sicher bei | |
| „Cinema Lovers“ dabei sein. „Wahrscheinlich muss man da auch mitmachen, um | |
| in die Zukunft zu denken“, sagt Verena Stackelberg. | |
| Sie sind also guter Dinge, die Betreiber der Berliner Arthouse-Kinos. Trotz | |
| Corona-Elend. Und doch bleiben Bauchschmerzen. In den paar Coronawochen, in | |
| denen sie aufhaben durften, wurde in den Kinos nur ein Notbetrieb | |
| zugelassen. „Eine fünfzigprozentige Auslastung war bei uns erlaubt“, sagt | |
| Verena Stackelberg, „damit waren wir eigentlich immer ausverkauft.“ | |
| Zuschauerbeschränkungen werde es wohl vorerst auch geben, wenn die Kinos | |
| hoffentlich bald wieder Gäste begrüßen dürfen, ist sich Christian Bräuer | |
| von der Yorck-Gruppe sicher. Also frühestens ab Ende Februar, vorher werde | |
| es sowieso keine Öffnung geben, da sind sich alle befragten Kinobetreiber | |
| einig. | |
| Doch auch mit ausverkauften Vorstellungen werde es dann erst einmal schwer, | |
| glaubt Bräuer. Ganz ohne weitere Hilfen werde es bei vom Senat angeordneten | |
| Begrenzungen der Ticketverkäufe nicht gehen. Er denkt aber, dass die | |
| Politik diese Problematik verstanden habe und entsprechend reagieren werde. | |
| ## Ausgerechnet die Berlinale | |
| Dazu komme noch, dass Herbst und Winter für die Kinos eigentlich dafür da | |
| seien, die Kassen gut zu füllen, um durch die Kinoflaute im Sommer zu | |
| kommen, wenn alle lieber in den Parks rumhängen oder in den Urlaub fahren, | |
| anstatt in dunklen Kinosälen zu sitzen. „Doch gerade kann sich ja niemand | |
| einen Speck anfressen, um die Sauregurkenzeit durchzustehen“, sagt Bräuer. | |
| Was da helfen könnte, ist ausgerechnet die Berlinale. Das Kinofest wird | |
| wegen Corona [6][in diesem Jahr zweigeteilt] stattfinden. Im März für die | |
| Fachleute, im Juni als großes Publikumsevent. „Ein Festival wie die | |
| Berlinale wird auch wirklich gebraucht“, sagt Stackelberg: Um den Kinos bei | |
| der Schaffung von Aufmerksamkeit zu helfen. Sie findet nebenbei, es werde | |
| auch dem Festival ganz gut tun, „mal Routinen aufzubrechen“. | |
| Im Rahmen von „Berlinale goes Kiez“ wird ihr Wolf-Kino mit großer | |
| Wahrscheinlichkeit dann zum Berlinale-Kino. Worauf sie sehr stolz sei. Die | |
| Eva-Lichtspiele in Wilmersdorf ebenfalls, hofft deren Chef Karlheinz Opitz. | |
| Drei Mal war er mit seinem Kino schon beim Festival dabei und es sei „jedes | |
| Mal großartig gewesen“. Bis zum Juni hat sich dann sicherlich auch sein | |
| neuer Filmbeamer schon prima warmgelaufen. | |
| 12 Jan 2021 | |
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| [1] http://www.eva-lichtspiele.de/ | |
| [2] https://www.startnext.com/eva-lichtspiele-projektor | |
| [3] /Berliner-Kinosterben/!5538117 | |
| [4] /Berliner-Kinopleite/!5730511 | |
| [5] /Verbandschef-ueber-Kino-in-Coronakrise/!5685233 | |
| [6] /Berlinale-2021-und-Corona/!5735861 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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