# taz.de -- Kino Colosseum in Berlin soll schließen: Kolossaler Kino-Streit | |
> Während viele Kinos am Donnerstag wieder öffnen, bleibt das Colosseum in | |
> Prenzlauer Berg geschlossen. Schuld daran ist nicht nur der | |
> Corona-Shutdown. | |
Bild: Fällt der letzte Vorhang? Das altehrwürdige Filmtheater in der Schönha… | |
Berlin taz | Es ist eines der schönsten Kinos dieser Stadt. Für Kinofans | |
aus den nördlichen Randbezirken war es wegen seiner perfekten Anbindung | |
eine der ersten Anlaufadressen. Doch die Tage des 1924 eröffneten und 1957 | |
als Premierenkino der DDR wiedereröffneten Kinos Colosseums in Prenzlauer | |
Berg, das zuletzt 2.800 Plätze in zehn Kinosälen bot, scheinen gezählt. Wie | |
in dieser Woche bekannt wurde, hat die Geschäftsführung des Kinos bereits | |
am 22. Mai Insolvenz angemeldet. | |
Erst am Dienstag sagte Sammy Brauner, der Sohn des im letzten Jahr | |
verstorbenen legendären Filmproduzenten Artur Brauner, den Medien, der | |
Betrieb sei nicht mehr wirtschaftlich. Der Umsatzausfall [1][wegen des | |
Corona-Shutdowns] habe dem Kino den Rest gegeben. Dem, so eine | |
Mitarbeiterin seiner Immobilienfirma zur taz, habe er nichts hinzuzufügen. | |
Doch damit geben sich die 45 Beschäftigten des Kinos nicht zufrieden, im | |
Gegenteil. Am heutigen Donnerstag protestieren sie mit Unterstützung von | |
Verdi vor ihrem geschlossenen Kino: dem Kino, das anders als viele andere | |
in dieser Stadt nach dem Shutdown nicht wieder aufmacht, das sie nicht | |
einmal mehr betreten dürfen, das sie aber so gern weiter betreiben würden. | |
Bei change.org haben sie eine [2][Petition für den Erhalt des Kinos] | |
gestartet, die bis Redaktionsschluss mehr als 5.000 Menschen unterschrieben | |
haben. | |
„Wir wurden am 12. Juni freigestellt, haben seit zwei Monaten kein | |
Einkommen mehr“, berichtet Michel Rieck, der im Colosseum im Servicebereich | |
tätig war. Das Jobcenter fordere eine Arbeitsbestätigung, für die sich im | |
Kino nun keiner mehr zuständig fühle. Wie seine Kolleginnen und Kollegen | |
wäre er eigentlich insolvenzgeldberechtigt. | |
## Das Kino hatte eine gute Auslastung | |
Wie die Beschäftigten kritisiert auch Jörg Reichel, Geschäftsführer der | |
Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union bei Verdi die | |
Geschäftsführung des Colosseums, keine Verantwortung gegenüber der | |
kulturinteressierten Stadtgesellschaft zu übernehmen und weder mit den | |
Beschäftigten noch mit der Politik den Dialog gesucht zu haben. „Alle | |
[3][Kinobetreiber mussten die Coronazeit überbrücken]“, sagt Reichel. Aus | |
seiner Sicht und auch aus Sicht der Beschäftigten funktioniere das Kino | |
eigentlich, es habe eine gute Auslastung gehabt. Im Augenblick arbeite man | |
daran, ein alternatives Konzept für den Weiterbetrieb zu entwickeln. | |
Sammy Brauner hat ausgesagt, dass die Erbengemeinschaft Brauner noch | |
keinerlei Pläne mit der Immobilie habe. Dennoch ist es mindestens | |
befremdlich, dass der Bezirk Pankow bereits im November letzten Jahres | |
einem Hamburger Unternehmen den Antrag auf einen Bauvorbescheid vom | |
September bewilligt hat. Bei diesem Unternehmen handelt es sich offenbar um | |
Values Real Estate, ehemals DC Values. Hauptgesellschafter ist laut Website | |
die bekannte Hamburger Unternehmerfamilie Jahr. | |
Aus dem Vorbescheid, der der taz vorliegt, geht hervor, dass aus Sicht des | |
Stadtentwicklungsamtes dem Bau von Büros „denkmalrechtliche Belange nicht | |
grundsätzlich gegenüberstehen“. Der Hintergrund: Das Kino besteht aus einem | |
historischen Kinosaal an der Schönhauser Allee, der unter Denkmalschutz | |
steht. Weiter hinten schließen sich im ehemaligen Straßenbahndepot moderne | |
Kinosäle an, allerdings inklusive denkmalgeschützter Backsteinarchitektur. | |
Es ist also durchaus denkbar, dass im ganzen Kino Büros und Kongressräume | |
entstehen könnten. | |
Beobachter gehen von einem völligen Versagen der Bezirksverwaltung aus. | |
Tatsächlich hat Stadtentwicklungsrat Vollrad Kuhn (Grüne) bereits in den | |
letzten Tagen eingeräumt, dass besagter Antrag lediglich in einer | |
sogenannten Vorhabensliste festgehalten worden sei. Dort sei nicht das Kino | |
Colosseum aufgeführt, sondern nur die Adresse Schönhauser Allee 123. | |
Gegenüber der taz konkretisiert er, dass sowohl er „als auch die Mitglieder | |
des zuständigen BVV-Ausschusses das Vorhaben in der Liste übersehen“ | |
hätten. „Eine konkrete Information des Amtes mir gegenüber zu dem Vorhaben | |
ist ausgeblieben.“ | |
Michail Nelken (Linke), Mitglied des Abgeordnetenhauses und bis 2011 in | |
Pankow Bezirksstadtrat für Wirtschaft, Kultur und Stadtentwicklung, | |
kritisiert gegenüber der taz, das sei absurd: Aufgrund der genauen | |
Baubeschreibung im Bescheid habe „jeder Bearbeiter im Amt, ob Bauaufsicht, | |
Stadtplanung oder Untere Denkmalschutzbehörde, gewusst, worum es geht, auch | |
der Bezirksstadtrat“. | |
So oder so: noch ist nicht alles verloren. Ein Bauvorbescheid ist noch | |
keine Baugenehmigung und wird oft nur beantragt, um den Wert einer | |
Immobilie nach oben zu treiben. Hinzu kommt, dass die Berliner Politik sich | |
gerade anfängt zu sortieren – allen voran der Pankower Bezirksbürgermeister | |
Sören Benn (Linke). Er sagt gegenüber der taz, er habe bereits am 19. Juni | |
mit Sammy Brauner telefoniert. | |
In einem Brief appelliert er an Brauners Fürsorgepflicht gegenüber seinen | |
Beschäftigten, er erinnert an die „identitätsstiftende Funktion“ des Kinos | |
für den Prenzlauer Berg und betont, vonseiten des Bezirkes bestehe | |
„keinerlei Interesse an großräumigen Büro- und Kongresskapazitäten an | |
diesem Standort“. Benn schlägt für die Immobilie kulturelle | |
Zwischennutzungen vor. Der Kampf um das Colosseum – sei es als Kino oder | |
als Ort für Kultur – hat also gerade erst begonnen. | |
2 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Update-der-Berliner-Corona-Regeln/!5691166&s=corona+lockdown+berlin/ | |
[2] https://www.change.org/p/s%C3%B6ren-benn-bezirksb%C3%BCrgermeister-pankow-j… | |
[3] /Wiedereroeffnung-der-Kinos-in-Berlin/!5692687&s=kino+berlin/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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