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# taz.de -- Flughafen BER ist eröffnet: Genug der Häme, jetzt wird gestartet
> Berlins neuer Flughafen ist tatsächlich in Betrieb gegangen – mit mehr
> als acht Jahren Verspätung. Viele Klimaaktivisten protestierten dagegen.
Bild: Die Champagnerdusche in Flughafengröße: Eröffnungsspektakel am BER am …
Berlin/Schönefeld taz | Seit Samstag kann man keine Witze mehr reißen über
Berlins neuen Flughafen und seine Bauherren. Oder besser gesagt: keine der
altbekannten Witze. Um 14.01 Uhr landet der erste Flieger am BER, kurz
darauf sogar ein zweiter – letztlich mit mehr als acht Jahren Verspätung.
Aber immerhin: Der Flughafen, Deutschlands [1][weltweit berüchtigste
Pannenbaustelle] knapp vor der Elbphilharmonie und Stuttgart 21, ist seit
diesem Wochenende in Betrieb.
„Dies ist kein historischer Tag; es ist aber für uns, für Berlin und
Brandenburg, ein ganzer wichtiger Tag“, sagt Flughafenchef Engelbert Lütke
Daldrup kurz nach den ersten Landungen und nennt den BER ein „Tor für die
Welt für Ostdeutschland“. ELD, wie er auch kurz genannt wird, hat das gar
nicht so kleine Wunder fertiggebracht, den skandalumwitterten Bau
fertigzustellen. Die Arbeit sei schwer gewesen, bisweilen ein „Kampf gegen
Windmühlen“. Aber: „Wir haben gelernt, dasss es sich lohnt, durchzuhalten.
Der BER ist heute Europas sicherster Flughafen.“
Für Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), schon länger nicht gerade
als Fan der BER bekannt, ist dieser keineswegs das Wichtigste an diesem
Tag. Er dankt erst mal dem Flughafen Tegel. Es war laut dem Minister nichts
weniger als „ein Weltwunder“, dort so viele Fluggäste – zuletzt weit mehr
als 20 Millionen – abzufertigen. Die BER-Eröffnung sei „kein Jubeltag,
sondern ein Arbeitstag mit sehr viel Erleicherung und Vorfreude.“ In
Richtung Lütke Daldrup und der Flughafengesellschaft raunte er: „Sie haben
geliefert, liefern sie weiter.“
Viel Presse aus aller Welt ist gekommen zu diesem insbesondere für Berlin
politisch enorm entscheidenden Termin. Schließlich wurde vor allem dieses
Bundesland immer wieder öffentlich an den Pranger gestellt, sobald es zu
weiteren Verzögerungen kam. „Berlin kriegt keinen hoch“, titelte die taz
2012 etwa. Dabei sind auch Brandenburg und der Bund Miteigentümer und damit
für viele Pannen mitverantwortlich.
Gekommen sind am Samstag zudem viele BrandenburgerInnen und BerlinerInnen,
die einen ersten Blick auf denn nun wirklich funktionierenden Flughafen
werfen wollen. Und schließlich nutzen Klimaaktivisten von Gruppen wie Robin
Wood, Am Boden bleiben und Extinction Rebellion die Chance,
öffentlichkeitswirksam gegen den BER und den in den vergangenen Jahren
stark gestiegenen Flugverkehr zu protestieren, der wesentlichen Einfluss
auf die massiv zunehmende Erderwärmung hat.
[2][Als Pinguine verkleidet besetzen] sie seit dem frühen Morgen
stundenlang einen der Zugänge im Terminal 1 zu den Abflugbereichen; die
Polizei lässt sie weitgehend gewähren. „Die Flughafengesellschaft und die
Polizei gehen wirklich entspannt mit den Protesten um“, zieht der
Linksparteiabgeordnete Michael Efler, der als parlamentarischer Beobachter
vor Ort ist, am Mittag eine positive Bilanz.
AktivistInnen seilen sich mit Plakaten an einer der Hauptfassaden ab, auf
Plakaten wird die Abkürzung BER zu „Blockieren, Einstellen, Recyclen“
umgewandelt. Doch ihr angekündigtes Ziel, [3][die Inbetriebnahme des
Flughafens zu verhindern], erreichen die Protestierenden nicht.
## Jungfernflug kommt aus Tegel
An Bord der beiden Flieger von Easyjet und Lufthansa, die kurz nach 14 Uhr
landen, sind noch keine „echten“ Fluggäste, sondern vor allem Prominente,
um mit der Landung zumindest ein bisschen das historische Datum zu
zelebrieren. Die Maschine mit Easyjet-Chef Johan Lundgren kam aus dem nur
wenige Kilometer entfernten Tegel angeflogen, der Vorstandsvorsitzende der
Deutschen Lufthansa, Carsten Spohr, war immerhin in München gestartet.
Beides Flüge, die unter normalen Umständen natürlich völlig überflüssig
sind.
Die erste kommerzielle Landung ist für Samstagabend, 20 Uhr, angesetzt, die
Maschine kommt aus Fuerteventura. Ab Sonntag kann man via BER Brandenburg
und Berlin dann auch verlassen. Bis Ende kommender Woche ist der
innerstädtische Flughafen Tegel noch parallel in Betrieb, am 8. November
wird er für immer geschlossen. Der bisherige Flughafen Schönefeld fungiert
künftig als Terminal 5 des BER.
Schon wer in den vergangenen Jahren, als eine Eröffnung fast undenkbar war,
durch das zentrale Terminal 1 spazierte, hatte meist den Eindruck, das
Gebäude sei fertig und startbereit. Die Schwierigkeiten lagen oft im Detail
und hinter der Wandverkleidung verborgen. Entsprechend wenig anders stellt
sich die Situation am Samstag da. Alles strahlt neu, gläsern, aufgeräumt,
und vieles ist irgendwie quadratisch. Die ersten Geschäfte und Snackstände
haben geöffnet; in den anderen Läden, auch im Duty Free-Bereich, ist alles
vorbereitet auf den Start.
## Es ist halt ein Flughafen
Das ganze Ambiete ist nüchtern, wenig spektakulär. Die von zwei auf
offiziell mindestens sechs Milliarden Euro gestiegenen Baukosten merkt man
dem BER nicht an. Es ist halt ein Flughafen, mit Besuchertribüne,
überteuertem Mineralwasserflaschen aus Automaten, vielen
Check-In-Schaltern. Und einer wirklich gelungenen Kapelle plus
interreligiösem Andachtsraum.
Vor einem Starbucks sitzt, gut zwei Stunden vor der ersten Landung,
Flughafenchef Lütke Daldrup, der an diesem Tag noch dazu Geburtstag hat und
64 Jahre alt wird. Er wirkt relaxed, lässig, wie man ihn auch sonst aus
Gesprächen kennt. Ringsherum rüsten sich derweil Kamerateams und Reporter.
Dabei ist die Situation für die Flughafengesellschaft alles andere als
entspannt. Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass die Auslastung des künftig
einzigen Berliner Flughafens aktuell unter 20 Prozent der Vorjahreszahlen
liegt. Und mit dem erneuten deutschlandweiten Lockdown ab Montag dürften
die Zahlen wieder massiv sinken. Im April, zur Hochphase der ersten
Pandemiewelle in Europa, betrugen die Fluggastzahlen in Berlin gerade mal
0,9 Prozent des Vorjahreszeitraums.
Die Startphase fällt also in eine besonders schwierige Zeit. Wenn man
fortan noch Witze über den BER machen kann, dann diese: Jetzt ist er
[4][endlich fertig, und fast niemand braucht ihn]. So richtig lachen
darüber mag niemand, schließlich ist dadurch auch die Reisefreiheit jedes
einzelnen auf absehbare Zeit eingeschränkt und risikobehaftet.
Viele Fluggäste werden am BER in den kommenden Wochen jedenfalls nicht
erwartet – mit einem entsprechend verringerten Angebot stellen sich die
Fluggesellschaften darauf ein. Der bislang größte Anbieter etwa, das
britische Luftfahrtunternehmen Easyjet, hat die in Berlin im vergangenen
Jahr stationierte Flotte von 34 Flugzeugen auf 18 reduziert. So gut wie
alle stehen an diesem Samstag dekorativ auf dem Flugfeld.
Die Lufthansa, die in der Vergangenheit betont hat, sich auch weiterhin auf
ihre Drehkreuze in Frankfurt (Main) und München konzentrieren zu wollen,
hat am Samstag am BER gerade mal drei Maschinen öffentlichkeitswirksam
abgestellt. Eigens stationiert hat Deutschlands just für neun Milliarden
Euro Steuergeld gerettete Airline kein einziges Flugzeug am BER. Sie nutzt
den Flughafen vor allem als Ausgangspunkt für Langstreckenflüge mit Umstieg
in Frankfurt oder München. Trotzdem trägt die erste gelandete Maschine der
Airline die Aufschrift „Lufthansa liebt Berlin“. Mal sehen, wie sich diese
Liebe in Zukunft ausdrückt.
Wegen der dramatisch niedrigen Passagierzahlen brauchte die
Flughafengesellschaft in diesem Jahr eine Finanzspritze von ihren drei
staatlichen Eigentümern in Höhe von [5][bis zu 260 Millionen Euro].
Angesichts der schwierigen Finanzsituation geht die Fraktionschefin der
Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Antje Kapek, davon aus, dass es bald
erneut eine öffentliche Diskussion über eine eventuelle Privatisierung des
Flughafens geben wird, wie sie am Freitag [6][bei einem Live-Gespräch mit
der taz] sagte. „Ich gehe aber nicht davon aus, dass sich jemand findet,
der einen angemessenen Preis dafür zahlen würde“, so Kapek.
Angesichts der größten Krise der Luftfahrt, den vielen Verzögerungen auf
der BER-Baustelle seit dem ersten Spatenstich 2006 ist es kein Wunder, dass
es am Samstag keine große Feier gibt. „Wir feiern keine Party, wir machen
einfach auf“, sagte Lütke Daldrup. So wird es vor allem eine symbolische
Eröffnung mit ein paar Ansprachen und einer Feuerwehrdusche für die beiden
ersten gelandeten Maschinen.
In den Reden geht es – abgesehen von der des Bundesverkehrsministers – vor
allem um den Blick voraus. Lütke Daldrup lobt, dass die beiden ersten
gelandeten Flugzeuge sehr sparsam seien. Überhaupt spiele der BER in der
„Champions League der klimafreundlichen Airports“. Er begründet dies vor
allem mit der guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, an S-Bahn und
Fernzüge.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nimmt Bezug auf die
Proteste von KlimaktivistInnen. „Wir brauchen im Fliegen mehr
Klimaneutralität und stehen dabei unter immensen Druck“, sagt er.
Brandenburg biete dafür perfekte Grundlagen, denn es sei das Bundesland mit
dem höchsten Anteil erneuerbarer Energie. Weniger zu fliegen, ist laut
Woidke hingegen keine Lösung „Wir brauchen den Flugverkehr, wir brauchen
Verbindungen in alle Welt.“ Der Flughafen müsse stärker an andere
Kontinente angebunden werden.
Immerhin in dieser Hinsicht deutet Verkehrsminister Scheuer Unterstützung
an: „Wir werden alles tun, dass der BER ein internationales Drehkreuz
wird.“
Auch Johan Lundgren, Chef von Easyjet, der wichtigsten Airline am BER,
betont, dass die Luftfahrtindustrie die CO2-Emissionen reduzieren müsse.
Gleichzeitig zeigt er sich überzeugt, dass sich die Passagierzahlen rasch
erhohlen werden. Lufthansachef Carsten Spohr berichtet, dass extra für den
Erstflug synthetischer Treibstoff getankt wurde.
Und auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller gibt sich
optimistisch: Während der langen Bauzeit habe es Tage gegeben, „die waren
zum Verzweifeln“. Jetzt besäßen Berlin und Brandenburg einen „wunderbraen
Flughafen“. Und da sich die Region wirtschaftlich gut entwickle – Müller
nennt die Ansiedlung etwa von Siemens – „haben wir alle Chancen, mit diesem
Flughafen gestärkt aus der Krise zu gehen“.
Berlins grüne Fraktionschefin Antje Kapek hofft derweil, dass Fliegen
künftig teurer wird. Berlin als Miteigentümerin sollte die Entgelte für
Starts und Landungen verteuern: „Fliegen ist bisher zu günstig, das muss
einen angemessenen Preis haben.“ Zudem sollte der Bund daran arbeiten,
Inlandsflügen ein Ende zu bereiten.
Eine kleine Panne gibt am Samstag es dann doch: die geplante
Parallellandung, der gemeinsame Touchdown auf beiden Landebahnen, kann
nicht stattfinden. Das Wetter ist zu schlecht; der nötige Sichtkontakt der
Piloten konnte deswegen nicht hergestellt werden, so die Begründung.
31 Oct 2020
## LINKS
[1] /Eroeffnung-des-Pannenflughafens-BER/!5718802
[2] /Proteste-gegen-BER-Eroeffnung/!5724940
[3] /Protest-gegen-Flughafen-Eroeffnung/!5719818
[4] /Eroeffnung-des-Berliner-Flughafens-BER/!5722942
[5] /Eroeffnung-des-Berliner-Flughafens-BER/!5722942
[6] /Berlin-Talk-Der-BER-wird-eroeffnet/!171837/
## AUTOREN
Bert Schulz
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