# taz.de -- Eröffnung des Berliner Flughafens BER: Erst zu klein, jetzt zu gro… | |
> Der BER eröffnet, aber eigentlich braucht ihn gerade niemand: Wegen | |
> Corona sind die Passagierzahlen niedrig. Ist das auch eine Chance fürs | |
> Klima? | |
Bild: Jetzt ist er zwar endlich fertig, aber die große Party fällt aus: BER i… | |
BERLIN taz | Noch ist die Initiative „Am Boden bleiben“ etwas | |
unentschieden, was ihr lieber wäre: dass von Berlin überhaupt nicht mehr | |
geflogen wird oder nur „Bullshit-Flüge“ dran glauben müssen. In jedem Fall | |
werden die als Pinguine verkleideten AktivistInnen am Eröffnungswochenende | |
versuchen, die Inbetriebnahme des Großflughafens „Willy Brandt“ – vulgo: | |
BER – [1][maximal zu stören]. | |
Wobei es gar nicht so viel zu stören gibt: Die große Party kommenden | |
Samstag fällt aus, denn sich selbst zu feiern wäre der | |
Flughafengesellschaft FBB [2][nach acht Krisenjahren] dann doch peinlich | |
gewesen. Und dank der frisch zurückgeschwappten zweiten Coronawelle bleibt | |
der Flugbetrieb, der ab dem 31. Oktober hochgefahren wird, eine dünne | |
Angelegenheit. | |
Das Virus und die Folgen für den Luftverkehr – mit diesem Plot-Twist hatte | |
bis Anfang des Jahres niemand gerechnet, obwohl man vom BER eigentlich jede | |
Überraschung gewohnt war. | |
Jetzt aber hat sich eine völlig paradoxe Situation ergeben: Nachdem | |
jahrelang gestritten wurde, ob der BER nun viel zu klein oder doch nur ein | |
bisschen zu klein für das kräftig wachsende Passagieraufkommen sei, nachdem | |
die Flughafengesellschaft ein erstes Ergänzungsterminal aus dem Boden | |
stampfen ließ und weitere folgen sollten, ist der Airport auf einmal völlig | |
überdimensioniert. Das zeigen die Zahlen: Wurden 2019 in den Flughäfen | |
Tegel und Schönefeld-alt mehr als 35 Millionen Menschen abgefertigt, werden | |
es Ende 2020 vielleicht nicht einmal 10 Millionen sein. | |
Und wenn FBB-Chef Engelbert Lütke Daldrup, [3][der Retter des verhunzten | |
Projekts], zuletzt mit Stolz verkündete, dass der Probebetrieb mit | |
Tausenden KomparsInnen ein voller Erfolg gewesen sei, dann machte er | |
trotzdem immer ein angemessen sorgenvolles Gesicht. Schließlich steht er an | |
der Spitze einer Firma, der die Kundschaft in Scharen davonläuft – wenn | |
auch nicht aus freien Stücken. | |
„Noch nie war die Unsicherheit im Luftverkehr seit dem Zweiten Weltkrieg so | |
groß wie jetzt“, auf diesen Superlativ legt Lütke Daldrup Wert. Und recht | |
hat er: Mit den erneut explodierenden Infektionszahlen könnte das | |
Flugaufkommen wieder dramatisch einbrechen. Vielleicht nicht so heftig wie | |
im April, als die Passagierzahlen auf 0,9 Prozent des Vorjahresmonats | |
zusammenschnurrten. Aber gerade beim für die FBB vergleichsweise lukrativen | |
und nahezu komplett eingebrochenen Interkontinentalgeschäft gibt es keinen | |
Silberstreif am Horizont. | |
Die Erlöse der FBB brechen nach Informationen der taz 2020 wohl um die | |
Hälfte ein. Mit „normalen“ Passagierzahlen und den entsprechenden Einnahmen | |
rechnet die Geschäftsführung frühestens wieder 2024. Das wirft die | |
Finanzplanung eines Unternehmens über den Haufen, dessen Umsatzerlöse – | |
2019 waren es 416 Millionen Euro – zu drei Vierteln aus den Entgelten für | |
den Flugbetrieb stammen. Und das mit den Zins- und Tilgungszahlungen der | |
knapp 6 Milliarden Euro aus dem Bau des BER sowie den | |
Schallschutzleistungen eine schwere Bürde schultert. | |
Für die Zeit bis 2024 hatte der diesjährige Businessplan der FBB schon eine | |
Finanzierungslücke von rund 800 Millionen Euro veranschlagt. Davon sollte | |
die eine Hälfte am Kapitalmarkt aufgenommen werden, die andere sollten die | |
drei Gesellschafter – Berlin, Brandenburg und der Bund – als Darlehen | |
geben. | |
Das ist nun dank Corona Makulatur, denn im Moment kann die FBB von | |
Marktkrediten zu akzeptablen Konditionen nur träumen: „Durch die | |
Baukatastrophe war unser Rucksack schon bis zum Rand vollgepackt mit | |
Kreditverbindlichkeiten, wir hatten keinen Puffer mehr wie andere“, | |
beschrieb Lütke Daldrup diese Zwickmühle vor Kurzem im taz-Interview. | |
Allein 2020 tut sich nun im Cashflow eine pandemiebedingte Lücke von bis zu | |
260 Millionen Euro auf. Immerhin ist sicher: Nachdem die drei | |
Gesellschafter den Flughafen mit Zuschüssen und Darlehen von rund 2,5 | |
Milliarden Euro bis zum bitteren guten Ende durchgebracht haben, werden | |
sie auch jetzt nicht knausern. Knapp 100 Millionen Euro sind als Zuschuss | |
schon bewilligt, um die Härten des Lockdowns auszugleichen, und auch die | |
restliche Finanzierungslücke kann gestopft werden. Die entsprechenden | |
Zusagen gibt es bereits. | |
Dennoch bleibt das Thema BER-Finanzierung in der Öffentlichkeit präsent. | |
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, sieht | |
den Flughafen „in großen ökonomischen Schwierigkeiten“. Es dürfe nicht | |
vergessen werden, dass der Flughafen viel teurer geworden sei, sagte | |
Hofreiter am Mittwoch im Rundfunk. „Er war kalkuliert mit 2,5 Milliarden | |
Euro und hat gekostet 6 Milliarden Euro.“ | |
Damit sei der Flughafen doppelt so teuer geworden und werde „ein Klotz am | |
Bein“ und „ein Zuschussbetrieb bleiben“. Hofreiter zeigte sich überzeugt | |
davon, „dass der Flughafen entschuldet werden muss“. Den Schulden aufgrund | |
der hohen Baukosten stünden geringere Einnahmen durch Corona entgegen, die | |
die Kosten nicht decken könnten. „Es braucht ein Entschuldungskonzept und | |
das muss ehrlich auf den Tisch.“ Zuvor hatte auch Bundesverkehrsminister | |
Andreas Scheuer (CSU) weiteren Bedarf für staatliche Hilfen für den | |
Hauptstadtflughafen gesehen. | |
Eine weitere Frage steht wie ein rot-rot-grüner Elefant im Raum. Das Land | |
Berlin will in den kommenden 15, 20 Jahren klimaneutral werden: Wäre es da | |
nicht höchste Zeit, das ursprünglich geplante massive Wachstum des BER auf | |
eine Kapazität von 58 Millionen Passagieren 2040 zu deckeln? Flatten the | |
curve in Sachen Luftverkehr? | |
In den vergangenen Jahren glänzten ausgerechnet die von den grünen | |
Senatorinnen Ramona Pop und Regine Günther geleiteten Senatsverwaltungen | |
für Wirtschaft sowie Verkehr und Umwelt nicht gerade mit entsprechenden | |
Vorstößen. Auch jetzt signalisiert Günthers Verwaltung auf Anfrage nur: | |
nicht zuständig. Tatsächlich ist das formal die Finanzverwaltung. Dort | |
verweist man auf zweierlei: einmal die seit dem Frühjahr geltende | |
Empfehlung (!) an alle Landesbediensteten, auf Flugreisen zu verzichten, | |
verbunden mit der Zusage, höhere Kosten zu erstatten, die bei Bahnreisen | |
entstehen können. | |
Und dann die Maxime, dass der BER künftig in seiner Entgeltordnung | |
ökologische Aspekte „stärker berücksichtigen“ soll. So steht es im | |
Koalitionsvertrag. Weil das Parlament dem Senat schon im Herbst Druck | |
machte, „dränge“ dieser nun bei Brandenburg und dem Bund auf eine | |
CO2-Komponente, wie Finanzstaatssekretärin Vera Junker sagte. Nicht ohne | |
hinzuzufügen, dass diese auf keinen Fall „die wirtschaftliche Entwicklung | |
des Flughafens abwürgen“ dürfe. „Gar nicht konsensfähig im Kreis der | |
Mitgesellschafter“ sei im Übrigen die Forderung, nur noch neue | |
Langstreckenverbindungen durch Rabatte für die Airlines zu fördern und den | |
Umfang aller Langstreckenflüge zu reduzieren. | |
Natürlich kommt in diesem Zusammenhang schnell das Thema „Verbot von | |
Inlandsflügen“ auf. So einfach, wie es sich anhört, ist das aber nicht: | |
Eine entsprechende Regelung könnte nur auf Bundesebene getroffen werden. | |
Aber hier kommt auch wenig von Berlin. Das muss allerdings nicht so | |
bleiben: „Wir wollen künftig als Land zu weniger Flugbewegungen beitragen“, | |
sagt der klimaschutzpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Georg Kössler, | |
zur taz, „und das heißt auch, dass der Masterplan BER 2040 keinen Ausbau, | |
sondern eine planvolle Reduktion beinhalten muss.“ | |
Eine wichtige Voraussetzung für weniger Inlandsflüge ist eine gute | |
Anbindung des BER an das Fernbahnnetz. In Schönefeld wurden die baulichen | |
Voraussetzungen dafür mit dem Bahnhof unter Hauptterminal T1 geschaffen, | |
sie könnten besser kaum sein. Zum Start hält aber gerade einzig und allein | |
der IC Dresden–Berlin–Rostock am BER. | |
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, | |
setzt dann auch mehr auf Anreize als auf Einschränkungen: „Verbote sollten | |
nicht vorschnell ausgesprochen werden.“ Stattdessen fordere seine Fraktion | |
eine „signifikante Erhöhung der Finanzierung und des Erhalts sowie Ausbaus | |
der Bahninfrastruktur“. Die Mehrwertsteuer auf Bahntickets solle komplett | |
wegfallen, die Tickets deutlich billiger werden. | |
Ähnlich argumentiert sein Kollege bei der Linkspartei, Kristian Ronneburg, | |
der ohnehin davon ausgeht, dass der Luftverkehr nicht mehr das | |
Vor-Krisen-Niveau erreicht. Ronneburg plädiert dafür, die Fernbahnhöfe der | |
Stadt besser zu nutzen, auch den bereits vor Jahren abgehängten Bahnhof | |
Zoo. Und: „Wenn Fernzüge möglichst viele Flüge überflüssig machen sollen, | |
brauchen wir auch Nachtzüge auf allen längeren Hauptverbindungen.“ Die | |
Linke fordere, den sogenannten Deutschlandtakt mit einem Fernzugnetz in der | |
Nacht mit Schlafwagen zu ergänzen. | |
28 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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