# taz.de -- Professorin Jana Kühl über Radverkehr: „Wir sind aufs Auto sozi… | |
> Jana Kühl ist ab November die erste Radprofessorin Deutschlands. Jede | |
> Maßnahme für das Fahrrad führe zu einer Grundsatzdebatte, kritisiert sie. | |
Bild: Ab jetzt auch eine akademische Frage: Wie sicher ist Rad fahren wie in Be… | |
taz: Frau Kühl, Sie treten die erste deutsche Professur für Radverkehr an, | |
wenn Sie am 1. November zur Ostfalia Hochschule in Salzgitter wechseln. Was | |
machen Sie als Professorin für Radverkehrsmanagment? | |
Jana Kühl: Wir wollen kluge Köpfe von morgen ausbilden, die es verstehen, | |
Radverkehr zu fördern. Die sensibel sind für Fragen der Gerechtigkeit im | |
Verkehr und für ökologische Probleme. Es gibt in Kommunen einen großen | |
Bedarf an Personal, das Radverkehrsförderung praktisch umsetzen kann. Wir | |
hören immer wieder, dass Kommunen keine Leute haben, um Fördergelder für | |
Radinfrastruktur, die zunehmend bereitgestellt werden, abrufen und in | |
Maßnahmen umsetzen zu können. | |
Ist Radverkehr an deutschen Hochschulen nicht vorgekommen? | |
Den Schwerpunkt Rad mit der zentralen Stellung, wie sie jetzt durch die | |
Radverkehrsprofessur möglich wird, gab es bisher nicht. Es gibt viele | |
Professuren, die sich mit Verkehrsmanagement und Verkehrsplanung | |
beschäftigen. Traditionell, das hat sich in den vergangenen Jahren zum | |
Glück etwas geändert, sind sie vom motorisierten Individualverkehr, sprich | |
vom Auto, ausgegangen. Der Radverkehr hat dort keine starke Stellung – es | |
sei denn, es gibt Personen, die sich dafür starkmachen. | |
Nicht nur die deutsche Gesellschaft, auch die Hochschullandschaft ist also | |
[1][autodominiert]. Haben Sie keine Angst, zum Feigenblatt zu werden? | |
Nein. Die Studierenden sollen dazu in der Lage sein, Bedarf an | |
Radinfrastruktur zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu finden, damit es | |
Menschen leichter fällt, Rad zu fahren. Sie sollen Lösungen finden speziell | |
für den Umweltverbund, also den Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV. Die | |
Professur bietet so die Möglichkeit, in den teils noch angestaubten | |
Verwaltungsstrukturen, die ja noch aus der Zeit der Verkehrsplanung der | |
autogerechten Stadt kommen, neue Impulse zu geben. In der Verwaltung gibt | |
es zwar Menschen, die sich dafür einsetzen, dass sich etwas ändert. Aber es | |
ist schwer, noch sind die politischen Mehrheiten nicht da. | |
Künftig werden Master of Radverkehr diese Impulse setzen? | |
Nein. Es gibt nicht den Masterstudiengang Radverkehrsmanagement. Ob es den | |
geben wird, wird sich zeigen. Zunächst binden wir das Radverkehrsmanagement | |
in die bestehende Lehre verschiedener Studiengänge ein, zum Beispiel | |
Wirtschaftsingenieurswesen, Mobilität und Verkehr oder Tourismus. Das Thema | |
Mobilität ist bereits Gegenstand bestehender Studiengänge. Neu ist die | |
Zuspitzung auf Radverkehrsthemen. | |
Welche Reaktionen gab es auf die Einrichtung Ihrer Professur für | |
Radverkehr? | |
Es gibt ein großes mediales Interesse. Bezeichnend sind Wortmeldungen in | |
den Kommentarspalten im Internet: Wegen des kleinen Worts „Rad“ – | |
Verkehrsprofessuren gibt es ja schon – wird dort das Ganze infrage | |
gestellt, als völlig absurd und illegitim bezeichnet. Das zeigt, wo der | |
Radverkehr in der Debatte immer noch steht. Auf der anderen Seite gibt es | |
auch eine Gruppierung, die sagt: Klasse, darauf haben wir gewartet, das | |
brauchen wir, um weiterzukommen. | |
Gibt es einen Kulturkampf ums Rad? | |
Definitiv. Wir sind aufs Auto sozialisiert. Wir haben eine starke | |
Autokultur über Jahre hinweg erlernt. Das war politisch gewollt, aus | |
wirtschaftlicher Sicht steht ja auch viel hinter dem Auto. Dass der | |
Autoverkehr infrage gestellt wird, hatten wir schon einmal nach der Ölkrise | |
in den 1970ern. Daran anschließend gab es eine Debatte über Ökologie, aber | |
auch über die gerechte Verteilung des Stadtraums, Gefährdung durch | |
Autoverkehr und so weiter. Diese Debatten sind nicht neu, jetzt flammen sie | |
wieder auf. Ich finde es sehr schade, dass die Auseinandersetzung oft gar | |
nichts mit Meinungsaustausch zu tun hat, sondern mit einem | |
Nebeneinanderstellen von Meinungen. Diese Nichtdiskussionen werden | |
teilweise sehr ruppig geführt. | |
Woher kommt das? | |
Vielleicht daher, dass wir noch in einem Stadium sind, in dem das, was | |
bisher als normal galt, plötzlich erschüttert wird und Unsicherheiten | |
entstehen. Ich kann das auch verstehen: Wenn jemand sein Leben auf dem Land | |
aufs Auto ausgerichtet hat, es gibt keinen ÖPNV, und jetzt sagt man, er | |
oder sie darf nicht mehr mit dem Auto in die Stadt fahren, ist das | |
schwierig. | |
Ihre Professur ist [2][eine von sieben, die Bundesverkehrsminister Scheuer | |
fördert]. Zeigt das eine neue Wertschätzung des Radverkehrs durch die | |
Politik? | |
Das ist zu hoffen. Die Professuren sind ein Statement zur Ernsthaftigkeit | |
des Radverkehrs. Dieses Zeichen ist wichtig. Damit besteht die Möglichkeit, | |
Radverkehr in Lehre und Forschung endlich ernsthaft zu behandeln und nicht | |
mehr als Randthema. | |
Die Bundesregierung stellt fast eine Milliarde Euro für neue | |
Radinfrastruktur zur Verfügung. Steht Deutschland vor einem Radwegboom? | |
Schön wäre es. Aber: Es gibt das Personalproblem, dass die Gelder nicht | |
abgerufen werden können. Außerdem ist die Umsetzung zum Teil sehr | |
langwierig. Wir müssen noch sehr geduldig sein und weiter daran arbeiten, | |
dass die Förderung der Radinfrastruktur mit einem anderen Selbstverständnis | |
durchgesetzt wird. Momentan ist jede Maßnahme fürs Rad ein Kampf, der eine | |
grundsätzliche Debatte auslöst. Warum denn jetzt Radverkehr, was soll denn | |
das?, heißt es dann. Das blockiert vieles. Von diesen Grundsatzdebatten | |
müssen wir wegkommen. Wir könnten vieles schneller erreichen. Was geht, | |
sieht man ja an den Pop-up-Bikelanes, den temporären Radwegen, die | |
vielerorts in der Coronakrise entstanden sind. | |
Was muss besser werden? | |
Ganz wesentlich ist die Infrastrutur. Man muss leiderprobt sein, wenn man | |
mit dem Rad unterwegs ist: Da sind zum Beispiel die berühmt-berüchtigten | |
Radwege, die einfach aufhören, oder das unangenehmen Gefühl, wenn der Lkw | |
neben einem steht und rechts abbiegen will. Das Thema Sicherheit spielt | |
eine große Rolle, aber auch genügend Platz zu haben als Radfahrende. Es | |
wird immer noch versucht, das Radfahren als Ökotum abzutun oder die | |
Radverkehrsförderung als Klientelpolitik abzustempeln. | |
Etliche Autofahrende und auch FußgängerInnen sind sehr schlecht auf | |
Radfahrende zu sprechen. Sind RadlerInnen mitunter nicht auch unangenehme | |
VerkehrsteilnehmerInnen? | |
Ja und nein. Ich fahre sehr viel Rad und habe vielfach Situationen erlebt, | |
in denen ich bepöbelt wurde, als ich darauf beharrt habe, bei Grün | |
unversehrt über die Straße zu kommen. Es ist manchmal dieses eingebaute | |
Recht auf Vorfahrt der Autofahrenden, das erschüttert wird. Es hat sich ein | |
bisschen eingespielt, dass die Radfahrenden dann zum Feindbild werden. Es | |
gibt aber wie unter den Autofahrenden leider auch rücksichtslose | |
Radfahrende, die andere Leute belästigen oder gefährden. Andererseits | |
entsteht durch fehlende Radinfrastruktur eine gewisse Anarchie, kreuz und | |
quer zu fahren. Das rührt aber auch daher, dass Radfahrende sich häufig gar | |
nicht an Regeln halten können, weil es vielfach nicht funktioniert. Wenn | |
der Radweg zu Ende ist oder sich eine Baustelle auf einem Radweg befindet, | |
müssen sie reagieren. Das wird von Autofahrenden als anarchisches Verhalten | |
wahrgenommen. Wenn wir wirklich dazu kommen, dass der Radverkehr zunimmt, | |
muss sich auch in der Kultur des Radfahrens etwas ändern. | |
Sie haben fünf Fahrräder. | |
Nicht ganz freiwillig. Ich würde mir wünschen, dass ich mindestens zwei | |
nicht besitzen müsste. Das eine ist ein Lastenrad, ich brauche es nicht | |
täglich, sondern für Einkäufe und um meinen alten Hund von A nach B zu | |
bringen. Dafür bräuchte ich kein eigenes Rad, ich fände es toll, wenn es | |
diese Räder als Leihräder gäbe. Das zweite ist ein Faltrad, was ich vor | |
allem benötige, wenn ich mit dem ÖPNV unterwegs bin und nicht ans Ziel | |
komme. Besser wäre, diese Wegketten zu schließen. | |
Und die anderen drei? | |
Ein Mountainbike für Sport und Spaß. Außerdem habe ich ein gutes Rad für | |
weite Distanzen. Und eines, das am Bahnhof stehen bleiben kann und | |
hinterher noch da ist. | |
Ein Auto? | |
Ein Auto habe ich nicht. Aber mit zwei Nachbarn zusammen eine Garage, in | |
der wir unsere Räder abstellen. | |
28 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Wie-dem-Autowahn-entkommen/!5718582 | |
[2] https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/andreas-scheue… | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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