# taz.de -- Grüne über feministische Verkehrspolitik: „Frauen wollen die St… | |
> Männer blockieren seit Jahrzehnten die Verkehrswende, kritisiert die | |
> Grünen-Politikerin Susanne Menge. Ein Kongress soll das jetzt ändern. | |
Bild: Sie fährt viel, lenkt aber nicht die Verkehrspolitik | |
taz: Frau Menge, Sie organisieren einen [1][Onlinekongress, der | |
feministische Verkehrspolitik thematisiert]. Wie kann Verkehrspolitik | |
feministisch sein? | |
Susanne Menge: Feministische Verkehrspolitik lenkt den Fokus auf alles, was | |
lebenswerte Stadtplanung ausmacht. Es geht um mehr Grün in der Stadt, um | |
sicherere Wege, dass man Bewegungs- oder Begegnungsräume hat, dass man | |
darüber nachdenkt, wie muss Nahversorgung und wie müssen die zentralen Orte | |
mit kurzen Wegen erreichbar sein. | |
Das klingt erst mal nicht dezidiert nach Feminismus. | |
Frauen sind die häufigeren Nutzerinnen von ÖPNV und Fahrrädern innerhalb | |
der Städte, übrigens auch im ländlichen Raum. Sie sind diejenigen, die | |
immer noch überwiegend Kinder transportieren. Es geht um genau diese | |
Blickwinkel, dass man neben dem Sicherheitsaspekt, der zum Beispiel auch | |
für ältere Menschen und Kinder wichtig ist, entsprechende Wege viel stärker | |
in die Verkehrspolitik einbeziehen muss. Alles das, was wir als integrative | |
Stadtplanung betrachten, beinhaltet auch feministische Verkehrsplanung, sie | |
kommt allen zugute. | |
I n Berlin ist Ihre Parteikollegin Regine Günther Verkehrssenatorin. In | |
Baden-Württemberg regelt ihr Parteikollege Winfried Herrmann den Verkehr. | |
Wer macht den besseren Job? Und hat das was mit dem Geschlecht zu tun? | |
Ich würde sagen, dass beide deutlich stärkere Akzente setzen als viele | |
andere Kollegen in der Republik. Winfried Herrmann ist viel länger im | |
Geschäft und Winfried Herrmann ist als Mann auch viel länger gewohnt, in | |
dieser wirklich auch von Männern dominierten Domäne zu agieren. Als ich als | |
Frau in der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen verkehrspolitische | |
Sprecherin war, habe ich nur mit Männern zu tun gehabt. Frauen fangen nicht | |
sofort an mit Ladesäuleninfrastruktur und der Elektrifizierung von | |
Fahrzeugen. Nein, sie fordern einen ganzheitlichen Blick darauf, die Städte | |
umzubauen für vernünftige, lebenswerte Bedingungen. | |
Berlin gibt jährlich pro Einwohner knapp 5 Euro für Radwege aus. [2][In | |
Utrecht ist es fast 30-mal so viel]. Machen unser niederländischen | |
Nachbar*innen verkehrspolitisch alles richtig? | |
Ja. Sie sind vor allem seit Jahrzehnten an diesem Thema dran. Und dieser | |
Durchschnittswert von 5 Euro, ist im Gesamtbundesdurchschnitt übrigens noch | |
einer der höheren. Wir in der Fahrradstadt Oldenburg liegen bei einem | |
Durchschnitt von 1,50 Euro. Wenn der VCD-Fahrradtest hierzulande | |
Fahrradstädte auslobt, dann kommen die meist über ein „befriedigend“ gar | |
nicht hinaus. Das darf nicht sein. | |
Wenn ich auf dem Land eine Stunde zum nächsten Bahnhof radeln muss, ist der | |
Fokus auf das Fahrrad dann nicht Verkehrspolitik für Großstädter*innen? | |
Städte und Großstädte haben eindeutig bessere Möglichkeiten, diese | |
Forderungen umzusetzen. Sie haben in den meisten Fällen ein gut | |
erschlossenes Nahverkehrssystem. In vielen Fällen gibt es aber nur Busse | |
mit einer schlechten Taktanbindung. Im ländlichen Raum ist deswegen aktuell | |
ein Pkw nicht verzichtbar. Aber das liegt eben daran, dass man nicht | |
erkannt hat, dass dort ein verlässlicher, öffentlicher Nahverkehr fahren | |
muss. | |
Gibt es denn konkrete Beispiele und Vorbilder? | |
Leuchtturmprojekte haben wir so gut wie gar nicht. Aber wir haben tolle | |
Beispiele, wo sich viel bewegt. Wir haben in Bremen autofreie Quartiere. In | |
den Städten entstehen Fahrradstraßen – das müssten aber natürlich echte | |
Fahrradstraßen sein, wo kein Pkw entgegenkommt. Wir haben Beispiele von | |
zurückgebauten ehemaligen Parkplätzen, wo Begegnungsflächen entstanden | |
sind. Wir haben Beispiele für Radschnellwege, mit denen man per Fahrrad | |
viel schneller von A nach B kommt – auch im ländlichen Raum. An jeder | |
Autobahn weiß ich, da sind Parkplätze, da sind Tankstellen, da sind | |
Reparaturanlaufstellen, da sind Notrufsäulen. Das brauchen wir auch für | |
Fahrräder. | |
Männer planen nur für überzüchtete SUVs, die Mobilitätswende dagegen | |
bringen vor allem Frauen voran. Ist dieser Gegensatz nicht ein Klischee? | |
Das ist natürlich Provokation. Es gibt sehr viele Männer, die an der | |
Verkehrswende mitarbeiten. Aber ich weiß, was es heißt, sich in diesem | |
Bereich, der wirklich überwiegend von Männern bestimmt ist, hineinzuwagen. | |
Insofern würde ich selbstkritisch sagen, das ist ein Klischee, aber dieses | |
Klischee trifft in der politischen, in der wirtschaftlichen und auch in der | |
Produktionsrealität überwiegend zu. | |
Wieso Produktionsrealität? Weil dicke Sportwagen eher von Männern gekauft | |
werden? | |
Ja, und die werden nach Männergröße ausgerichtet. Die Fahrzeugentwicklung | |
orientiert sich am 1,80 Meter großen Mann. Wenn wir über eine nachhaltige | |
Transformation reden, dann fällt die deutsche Autoindustrie eher dadurch | |
auf, dass sie lobbyiert, dass die Grenzwerte in der EU nicht erhöht werden, | |
dass sie Kaufprämien haben will und dass sie dem ÖPNV Konkurrenz macht. | |
Aber es muss ja nicht ein Gegeneinander sein, es kann auch ein Miteinander | |
funktionieren. | |
Zum Schluss eine Frage, die sich vermutlich alle Grünen anhören müssen. | |
Appelle oder Verbote? | |
Grundsätzlich Selbstverantwortung. Aber wie wollen wir die Klimaschutzziele | |
denn tatsächlich einhalten, wenn wir nicht wagen, auch in bestimmten | |
Bereiche zu sagen, das geht jetzt nicht mehr. Beispiel Pkw: Da appelliert | |
man seit Jahrzehnten, dass man möglichst auf das Auto verzichten sollte. | |
Was passiert? Wir haben steigende Neuwagenkäufe, gerade in den Großstädten. | |
Mich erstaunt immer wieder, mit wie viel Regelungen die Menschen in | |
Coronazeiten umgehen müssen und das auch weitestgehend akzeptieren. Das | |
sind viel stärkere Eingriffe, als wenn ich fordere, dass wir | |
Rahmenbedingungen brauchen für weniger Lärm und Dreck und mehr | |
Lebensqualität. | |
30 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gruene.de/artikel/frauen-machen-mobil-itaet | |
[2] https://katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/vom-fahrradalbtraum… | |
## AUTOREN | |
Maximilian Berkenheide | |
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