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# taz.de -- Coronapandemie sorgt für Fahrradboom: Buenos Aires steigt aufs Rad
> Die Coronamaßnahmen beschränken den ÖPNV in Argentiniens Hauptstadt. Das
> hat einen Fahrradboom entfacht, neue Räder zum Kauf werden rar.
Bild: Radfahren in Buenos Aires: Pure Notwendigkeit, wenn der ÖPNV ausfällt
Buenos Aires taz | Mit dem Fahrrad hat man es nicht leicht in der
argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. An die herumflitzenden kleinen
Motorräder sind die Autofahrer*innen gewöhnt. Aber auf die immer mehr
Menschen, die nun mit dem Fahrrad unterwegs sind, müssen sie sich noch
einstellen. Weil auch noch die über 10.000 Stadtbusse mit eingebauter
Vorfahrt unterwegs sind, kommen Radfahrer*innen deshalb nur mit höchster
Aufmerksamkeit einigermaßen sicher durch die Dreimillionenstadt.
Dennoch gibt es auf den Straßen immer mehr Radler*innen zu sehen. Eine
Zählung im Stadtgebiet zeigte kürzlich, dass im September mehr als doppelt
so viele Radfahrten stattfanden als vor einem Jahr. Vor allem
Kurzstreckenfahrten unter fünf Kilometer haben enorm zugenommen.
Ganz überraschend ist das nicht. Denn Fahrten mit öffentlichen
Nahverkehrsmitteln wie Bus und U-Bahn sind seit dem 20. März wegen des
Coronavirus erheblich erschwert. Wer nicht als „essenziell Beschäftigter“ …
sozusagen systemrelevant – unterwegs ist, darf gar nicht erst einsteigen,
obwohl alle Bus- und U-Bahn-Linien, wenn auch eingeschränkt, in Betrieb
sind. Werden normalerweise werktäglich rund eine Million U-Bahnfahrten
gezählt, sind es gegenwärtig noch 20.000.
„Um Fahrten im öffentlichen Nahverkehr zu vermeiden oder zu ersetzen,
wollten plötzlich alle Fahrräder“, erklärt Daniel Tigani, Vorsitzender der
für die Herstellung von Motor- und Fahrrädern zuständigen Industrie- und
Handelskammer CIMBRA. Selbst in den Herbst- und Wintermonaten, die
Argentinien gerade hinter sich gelassen hat, habe die Nachfrage nicht
nachgelassen.
## Angebot wird knapp
„Dabei war der Start ins Jahr 2020 alles andere als gut“, sagt Tigani. Noch
im Januar hatte die Kammer einen Absatz von rund 800.000 Fahrrädern für
2020 erwartet. Denn nach dem starken Jahr 2017 mit 1,5 Millionen verkauften
Rädern, waren zuletzt nur noch 600.000 losgeschlagen worden. Seit den
Quarantänemaßnahmen wurden die Prognosen zunehmend besser. Jetzt geht
Tigani davon aus, dass dieses Jahr 1,8 Millionen Fahrräder verkauft werden.
Umgerechnet auf die Einwohnerzahl ist das immerhin schon gut halb so viel
wie in dem deutlich reicheren Deutschland.
Dieser plötzliche Nachfrageboom ist kaum zu decken. In Argentinien gibt es
rund 20 Hersteller und etwa 40 Zulieferer. Seit im Juni der totale Lockdown
in der Industrie aufgehoben wurde, können sie wieder produzieren, wenn sie
Hygienevorgaben einhalten. „Wir verkaufen gerade alles, was wir
produzieren, und wir könnten viel mehr liefern. Aber die Vorgaben schränken
die Produktion sehr ein“, sagt Ángel Berman, der Olom Bike leitet, den
größten Fahrradhersteller des Landes.
Die Importe sind ebenfalls erschwert, fallen aber ohnehin nicht sehr ins
Gewicht. 2019 wurden rund 90.000 Räder eingeführt, vor allem aus China, den
USA und Europa.
## Wochenlange Wartezeiten
Wer ein neues Rad braucht, muss sich deshalb auf Wartezeiten einstellen.
„Alle wollen jetzt ein Mountainbike“, sagt Marco Lavalle vom Fahrradladen
im nördlichen Stadtteil Villa Urquiza. Lieferzeit? „Drei Wochen
mindestens“, sagt er und zeigt auf das blaulackierte Bike, das ihm als
Vorführmodell geblieben ist. „Daneben, das Normale, etwa sieben Tage.“ Alle
Modelle seien im letzten halben Jahr teurer geworden.“ Mindestens 30
Prozent, manche aber auch bis zu 240 Prozent.
„Gibt es noch Kindersitze?“, fragt ein Vater mit dem Sohn an der Hand. Wenn
die Schulen wieder offen sind, will er ihn mit dem Rad statt mit der S-Bahn
hinbringen. „In der Stadt ist das Virus vor allem mit Bus und Bahn
unterwegs.“ Seit er im Homeoffice arbeitet, müsse er selbst auch nicht mehr
in die City pendeln.
[1][Derweil arbeitet die Stadtregierung an einer besseren Radanbindung der
äußeren Stadtteile], von wo aus es zwischen 15 und 20 Kilometer bis in die
Innenstadt sind. Zu den schon bestehenden 250 Kilometern an Radwegen kommen
in wenigen Tagen 17 Kilometer auf den beiden zentralen Verkehrsachsen
Avenida Córdoba und Avenida Corrientes hinzu.
Das halten nicht alle für eine große Hilfe. [2][„Die Radwege sind in einem
jämmerlichen Zustand“,] sagt Carmen Méndez. Eine andere Initiative findet
sie jedoch vorbildlich: Die 34-Jährige macht einmal in der Woche einen
Behördengang für ihre Hausverwaltungsfirma und leiht sich dafür eines der
kostenfreien Fahrräder des stadteigenen Verleihsystems Ecobici aus. Wer
sich registriert hat, kann via Handy eines der orangefarbenen Räder
entsperren und es an anderer Stelle wieder einstellen. Vor seiner
Wiederwahl hatte der konservative Bürgermeister Horacio Rodríguez Larreta
kräftig mit dem Ausbau des kostenlosen Fahrradverleihs sowie des Wegenetzes
geworben. Tatsächlich hatte sich bis dahin einiges getan. „Seit er im
Oktober die Wahl gewonnen hat, wird alles heruntergefahren“, kritisiert
Méndez. Statt mehr gibt es nun weniger Ausleihstationen, 200 nur noch, halb
so viel wie vorher. Und die Wartung werde auch schlampiger. „Vielleicht
schafft das Virus hier ja auch eine neue Normalität“, hofft Mendéz jetzt.
19 Oct 2020
## LINKS
[1] /Fahrradboom-in-Kolumbiens-Hauptstadt/!5695349&s=fahrradboom/
[2] /Fahrrad-Boom-in-Corona-Pandemie/!5694408/
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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