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# taz.de -- Zukunft des Autos: Der lange Abschied vom Ottomotor
> Von Anfang an gab es beim Auto Alternativen zum Verbrennungsmotor. Nun
> werden deren Stärken endlich wiederentdeckt.
Bild: Das Elektroauto „La Jamais Contente“, entworfen von Camille Jenatzy i…
Von einer Welt ohne Autos träumen mit dem [1][Volksentscheid Berlin
autofrei] gerade viele ganz konkret – [2][während sich andere noch mit
ihrem SUV aufbäumen wie Dinos.] Die Zukunft des Autos, so stellt es sich
dar, liegt zwischen Nulllösung und Unsinn. Und diese Zukunft hat bereits
begonnen.
Verschwinden werden Verbrenner nicht wie das Fax, nicht so schnell wie
Raucherabteile in der Bahn. Weder Global Warming noch Peak Oil führten zum
Umlenken, auch nicht Dieselgate oder Fridays for Future – sondern höchstens
die Summe von allem. Oder die Bilanzen der Konzerne, vielleicht
beschleunigt durch Corona.
Kurzarbeit in der Industrie der Viertakter, reelle Angst vor
Massenentlassungen, Streichung der durch alle Krisen durchgezahlten Boni,
für Mitarbeiter das 14. Monatsgehalt. Stuttgart, Graus, o Graus, könnte das
nächste Detroit werden. So finster wie die Aussicht, Deutschland würde den
Anschluss als Exportweltmeister endgültig verlieren.
[3][„Porsche – Pionier der Elektromobilität“ wirbt die Volkswagen AG] in
dieser Gemengelage in Berlin für eine Ausstellung, deren Plakat absurd oder
zynisch-höhnend ein SUV ziert. [4][Vor dem Beäugen des Pioniergeists
zunächst das aktuell Neue]: Wie ein Frühlingserwachen nach der langen Krise
wirkt der VW ID.3 – vollelektrisch, Preis fast wie ein Golf.
## Einfache Rechnung mit viel Gewinn
Den runtergerechneten Kaufpreis ermöglicht die Politik. Statt blauem Himmel
über der Ruhr versprechen Bund und Länder Elektroauto-Kunden Einsparungen
bis zu 11.000 Euro; plus Förderung der Ladeinfrastruktur in manchen
Ländern, in NRW bis zu 15.000 Euro. Was laut Kfz-Experten unmöglich war,
geht also: ein E-Auto für die Massen.
Tesla hat es vorgeführt, zumindest an der Börse alle abgehängt. Wie konnten
Manager Millionengehälter einstreichen und dabei zusehen, wie ihre Branche
in die Sackgasse rast? Die Antwort: Warum etwas riskieren, wenn der Profit
über Jahrzehnte ungebremst steigt? Die Rechnung ging so auf: Wenig mehr als
eine Handvoll Konzerne weltweit + das Produkt überall, wo es Menschen gibt
= Umsatz mehr als eine Billion.
Die Lenker der Kfz-Industrie sind heute, im krassen Gegensatz zu den
Tüftlern, die das Auto auf die Räder stellten, keine Hasardeure wie André
Citroën, sie haben nicht wie Henry Ford nur ein paar Jahre Volksschule auf
dem Buckel, selten werden sie wie Gottlieb Daimler und Carl Benz aus der
Geschäftsführung ihrer eigenen Firma geekelt. Sie sind nicht von einer
Vision getrieben wie Steve Jobs oder Bill Gates, denen die Hersteller von
Großrechnern noch vorrechneten: Euer Produkt will keiner, denn wer sich
einen Personal Computer leisten kann, hat eine Sekretärin.
Eine Lachnummer war es für die alten Autobauer, als Elon Musk, Milliardär
mit Ebay und Dotcoms, die durch Laptops und Handys rasend verbesserten
Akkus in Pkw baute. Was hat man nicht alles schon gesehen, um die 4.000
Hersteller haben Autos gebaut und ins Gras gebissen. Die Überlebenden haben
sich in Laborversuchen an E-Autos versucht: also in Konzernen mit über
100.000 Mitarbeitern eben die paar Dutzend, für die man gerade keine andere
Beschäftigung fand. Fazit: „Geht nicht, unmöglich.“
Es ist ja auch fast magisch, was die Alten entwickelten. Den Ottomotor
(Nicolaus August Otto: Kaufmann und Vertreter) machten Daimler und sein
Protegé Maybach serienreif; wiewohl Viertakter so ähnlich bereits in
Frankreich patentiert worden waren. Komplex wie ein Großrechner: Kolben
werden statt mit Dampf mit Explosionen in Zylindern ruckartig bewegt.
Kolben rasen hoch und runter – und die Wucht dieser zentimeterlangen Stöße
wird auf Räder übertragen, die mehr als eine Tonne aus Blech, Stahl und
viel PVC bewegen: Wer sich mit Fliehkraftreglern, Physik und Kybernetik
auskennt, kann nur bewundern, was diese Pioniere des Autobaus ausgeheckt
haben.
Der Motor als Herz des Automobils
Im Auto, wie wir es seit hundert Jahren kennen, ist der Motor das Herz.
Selten sichtbar, Tausende Teile: für die sehr wenigen Hersteller weltweit
nicht leicht zu entsorgen; für Otto Normalverbraucher ein Ding mit sieben
Siegeln. Bizarr.
Dabei war schon vor 120 Jahren evident: Die Kraftübertragung mit Strom hat
Vorteile. Kaum schwere Teile und Mechanik, weniger Wartung, kein Ölwechsel.
Benzin hingegen wird selbst beim Stopp an der Ampel angesaugt, vergast,
entzündet. Physikalisch ist der Stromer überlegen. Ohne ständige
Detonationen keine unnötige Abwärme, elektrisch wird fast 100 Prozent der
Energie umgesetzt in den Antrieb, bei einem Explosionsmotor sind es um die
30 Prozent. Ohne Drehmomentwandler, Getriebe usw. wird das stufenlos
hochgefahren wie bei einem Trafo mit der Modelleisenbahn oder einem Dimmer.
Auf mehr als 100 km/h kam im April 1899 ein Elektroauto. Mit „La Jamais
Contente“ (Die nie Zufriedene) schlug Camille Jenatzky die etablierten
Dampf- und neuen Benzinautos. Zeitgenössischen Medien ist zu entnehmen,
dass in der Folge in den USA viele auf dieses Prinzip setzten – und dass
„Elektrische Accumulatoren-Stadt-Wagen“ auch von Jacob Lohner & Co., Wien,
jahrelang angeboten wurden. Deren direkter Vorderradantrieb galt als
„System Lohner-Porsche“, verkürzt nun von PR-Gecken zu Ferdinand Porsche
als „Pionier der Elektromobilität“.
Das Elektroauto des Belgiers Jenatzky war für einige Jahre schneller als
alle anderen. Doch die waren mehr und sie hatten es leichter – beim
Transport ihrer Energie in Form von Sprit statt Strom. Der Benzinmotor
gewann.
Schmutzige Geschäfte ums Öl
Keine Verschwörungstheorie! Aber markant: Mit Öl war schon zuvor
Rockefeller zum reichsten Mann der Welt geworden; im Land des Unbegrenzten
vom Hilfsbuchhalter mit Standard Oil und Holdings wie Kartellen,
Einschüchterung der Konkurrenz „aufgestiegen“. Marktanteil in wenigen
Jahren von 10 Prozent auf 90 Prozent, Gerichtsverfahren zur Zerschlagung
seines Megakonglomerats zogen sich länger hin. Die Geschichte des Autos,
wie wir es kennen – und wie es in vielen Gegenden weltweit noch lange
benutzt werden wird –, ist so unkorrekt wie die von Öl und seinem Derivat
Benzin.
Nehmen wir mal einen Liter. Sprit ist derzeit – wie während
Wirtschaftskrisen üblich – relativ preiswert. Vor Steuern und Abgaben
kostet der Liter in Venezuela etwa 2 Cent, im Iran doppelt so viel, 168
Cent in der Zentralafrikanischen Republik; bei uns mit Steuern und Abgaben
zwischen 120 und 130 Cent.
Bevor wir uns auf dem Weltmarkt verlaufen, kurz zum US-Preis: Da dort die
je nach Bundesstaat variierenden Abgaben immer ungleich niedriger sind als
hierzulande, ist der changierende Wert von Rohöl an Zapfsäulen zwischen
Alaska und Texas deutlicher abzulesen – einhergehend mit guter Konjunktur
staunt und tönt man in der Car Nation dann, dass man, good God!, für einen
Liter Sprit mehr blechen soll als für eine Flasche Mineralwasser.
Dabei reisen für einen Liter Benzin 1,3 Kilogramm Erdöl oft um die halbe
Welt, um in Raffinerien verarbeitet zu werden. Das Ausgangsmaterial
entsteht, wenn sich kohlenstoffreiche Organismen (für 1,3 Kilogramm Erdöl
etwa 23 Tonnen Pflanzenmasse) in pflanzlichen Kohlenstoff verwandeln.
Zusammen mit Komponenten wie Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel
und in winzigen Mengen andere Metalle wird daraus – nach mehreren
Hunderttausend Jahren – Rohöl. Zapfhahn zurück, Tankdeckel drauf, noch mal
kurz auf der Zunge zergehen lassen: Für einen Liter 23.000 Kilo
Pflanzenmasse, Millionen Jahre. Jetzt rein in den SUV, Allrad, gut für 280
km/h – und nach weniger als zwei Minuten verbraucht. So geht das.
Das Geschäft mit Öl war schon vor dem Auto ein schmutziges, der abgedrückte
Preis kriminell. Der Profit, der mit Benzin und den dies schluckenden
Maschinen zu erzielen ist, war einfach zu gut, die ganze Konstruktion zu
raffiniert und kompliziert, um sich davon leichtfertig abzuseilen.
Aber es ändert sich, selbst die Volkswagen AG erinnert nun an „La Toujours
Contente“, einen E-Rennwagen, der einem abseits der von der Industrie
diktierten Geschichtsschreibung fast nie begegnet. Bei allem Wandel aber
bleibt die Haltung serienmäßig eingebaut: Auch beim Umlenken bloß nicht zu
viel umdenken.
30 Oct 2020
## LINKS
[1] /Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353
[2] /Noch-mehr-klimaschaedliche-Pkws/!5650289
[3] https://newsroom.porsche.com/de/2020/unternehmen/porsche-ausstellung-pionie…
[4] /Aus-Le-Monde-diplomatique/!5718960
## AUTOREN
Matthias Penzel
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