| # taz.de -- Aggressionen gegen E-Autos: Straßenbekanntschaften | |
| > Wenn schon Auto, dann sollte es ein E-Mobil sein. Das fährt zwar langsam | |
| > und noch schlimmer sind die Reaktionen der anderen. Trotzdem. | |
| Bild: Als Herausforderung erwies sich immer wieder das Aufladen | |
| Wegen Corona habe ich mir ein Auto gekauft. Zum ersten Mal in meinem Leben. | |
| Eine umfangreiche Lesereise stand bevor, und die lose sitzende Maske auf | |
| dem Gesicht der Gesellschaft gab mir kein gutes Gefühl. Als eingefleischter | |
| Fußgänger und Zugreisender empfand ich ein leises, aber beharrlich | |
| schlechtes Gewissen, weswegen ich mich zumindest für einen [1][E-Wagen] | |
| entschied und in dieser Kategorie der geringen Auswahl eines wählte, das | |
| wenigstens zum Teil aus recycelten Materialien bestand. | |
| Kein deutsches Fabrikat, denn es erwies sich bald, dass die hiesige | |
| Autoindustrie in diesem Bereich Nachsprung durch Technik betreibt. Dafür | |
| kostet mich der Wagen monatlich etwas mehr als die Mitgliedschaft in einem | |
| guten Fitnessstudio. Aufgrund der [2][gewaltigen Förderungen von Bund und | |
| Land] (Baden-Württemberg) erwies sich das erste Leasing-Jahr sogar als | |
| kostenlos, also gratis, also umsonst! Ein wenig erstaunte es mich schon, | |
| wie uninteressiert sich der sparsame Volksgeist an diesem großzügigen | |
| Angebot zeigt. | |
| Außerdem könnte man sich auch wundern, dass der Staat den Bürgerinnen und | |
| Bürgern Geld zahlen muss, um etwas Gutes zu tun. Besonders in einer Stadt | |
| wie Stuttgart, wo die Menschen Luft einatmen und Feinstaub aushusten. Ich | |
| fuhr ein wenig umher, der Innenraum so still, ich konnte sogar das Andante | |
| einer Schubert-Sonate genießen. | |
| Mit dem Stolz eines angehenden Chauffeurs parkte ich den Wagen auf der | |
| Straße, umgeben von gewaltigen Vehikeln, neben denen sich mein kleiner | |
| Lufthüter ausnahm wie der Steuermann in einem Ruderachter. Am nächsten | |
| Morgen war die erste Unschuld dahin. Über die gesamte vordere Karosserie | |
| sowie die Windschutzscheibe war eine merkwürdige Mischung aus Konfitüre und | |
| Kippen ausgebreitet. | |
| ## Das erste Leasing-Jahr ist umsonst | |
| Ein Akt jugendlicher Selbstbestätigung, dachte ich zunächst, bis mir | |
| auffiel, dass allein mein Auto derart malträtiert worden war. Alle anderen | |
| Brummer glänzten sauber in der frühsommerlichen Sonne. Es sollte sich als | |
| erstes Signal einer weit verbreiteten Skepsis, um nicht zu sagen Aggression | |
| gegenüber E-Fahrzeugen erweisen. An Neugierde mangelte es meinen | |
| Mitmenschen nicht. | |
| Wo immer ich stehen blieb, meist um die Batterie aufzuladen, wurde ich | |
| angesprochen, in der Nähe meiner Wohnung ebenso wie mitten im Bayerischen | |
| Wald, wo an einem heißen Sonntag die Halbstarken des Städtchens vor der | |
| Realschule ihre frisierten Flitzer auslaufen ließen, um mein Auto zu | |
| begutachten, mit traurigem Kopfschütteln, [3][was die Reichweite] (zwischen | |
| 200 und 300 Kilometern) und die Höchstgeschwindigkeit (immerhin 140 km/h) | |
| betrifft, vom offenbar bescheidenen Image ganz zu schweigen. | |
| Meine Bemerkung, dies sei die Zukunft, wurde mit einem süffisanten Lächeln | |
| quittiert. Immerhin gestand einer der jungen Männer, mein Autochen sei gar | |
| nicht mal so hässlich. Als Herausforderung erwies sich immer wieder das | |
| Aufladen. Nicht nur wegen der Tücken der Technik, auch weil die | |
| entsprechenden Parkplätze von SUVs okkupiert waren, deren Eigentümer, wenn | |
| ich sie denn überhaupt zu Gesicht bekam, ohne Entschuldigung | |
| davonrauschten. | |
| An einer Autobahnraststätte hatte ein großer Camper als Querparker alle | |
| drei vorgesehenen Ladeplätze besetzt. Weil meine Batterie leer war, musste | |
| ich warten. Als endlich ein junger Mann erschien, kam es fast zu einer | |
| Handgreiflichkeit, weil er nicht nur schicksalsschwer erklärte, es sei | |
| nirgendwo sonst frei gewesen, sondern auf meinen Hinwies hin, unsereiner | |
| sei abhängig von dem Zugang zu den wenigen Ladesäulen, erwiderte: „Na, so | |
| hat halt jeder seine Sorgen.“ | |
| ## Zugeparkte Ladesäulen | |
| Ja, die Not der anderen ertragen wir mit Geduld. Auch im Verkehr ging es | |
| wenig kulant zu. Weil eine akzeptable Reichweite nur zu erzielen ist, wenn | |
| man im Durchschnitt auf Autobahnen etwa 100 km/h fährt, und weil | |
| gelegentlich Lastwagen zu überholen sind, wurde ich immer wieder Adressat | |
| von strengen [4][Lichthupenbotschaften], ausgesandt von Menschen, die der | |
| Ansicht zu sein scheinen, nicht abbremsen zu müssen sei ein Grundrecht. | |
| Mehrfach wurde ich mit heftigen Gesten beschimpft. | |
| Wer langsam fährt, ist ein Störenfried. Zu gern hätte ich gewusst, wohin | |
| sie rasen, es können ja unmöglich alle Ärzte im Noteinsatz gewesen sein. | |
| Das langsame Tempo verstörte auch bei manchem Gespräch. Schnell von A nach | |
| B zu kommen hat sich inzwischen als sinn- und zweckbefreites Bedürfnis | |
| eingenistet. | |
| Wenn ich von gemütlichen Fahrten erzählte, mit vergnüglichen Hörbüchern | |
| bzw. musikalischen Entdeckungen, unterbrochen von Kaffeepausen, | |
| Spaziergängen durch unbekannte Parks und Wälder sowie heimattouristischen | |
| Erkundungen während der ein bis zwei Stunden Ladezeit, klagten nicht | |
| wenige, das müsse man sich leisten können, das sei nichts für eine längere | |
| Strecke, das dauere ihnen zu lang, und so weiter. Selbst die Vorteile des | |
| E-Wagens wurden gelegentlich ins Gegenteil gekehrt. | |
| Eine fahrradfahrende Bekannte reagierte auf die von mir gelobte meditative | |
| Stille so erzürnt, als würde ich sie potenziell gefährden, weil sie sich im | |
| Verkehr „vor allem anhand der Geräusche orientiere“. Der Verweis auf die | |
| sphärischen Klänge meines Autos bei einer Geschwindigkeit von unter 30 km/h | |
| half weniger als erhofft. Dass es weniger auf die Technik und mehr auf | |
| Vorsicht und Umsicht ankommt, wollte ich mit ihr nicht auch noch | |
| ausdiskutieren. | |
| ## Langsam ist uncool | |
| Fast jeder, mit dem ich sprach, hatte ein Argument parat, wieso ihr oder | |
| sein Umsteigen auf einen E-Wagen nicht möglich, nicht günstig sein würde. | |
| Und so endete mein erstes Jahr mit dem neuen E-Wagen in der schmerzlichen | |
| Erkenntnis, dass selbst eine derart geringe Umstellung den meisten Menschen | |
| als massives, unzumutbares Opfer erscheint. Solange Bequemlichkeit | |
| opportuner ist als Umweltschutz, wird sich daran – fürchte ich – wenig | |
| ändern. | |
| 25 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ilija Trojanow | |
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