# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Platz da! | |
> Weltweit sind immer mehr Elektroautos unterwegs. Politik und Industrie | |
> preisen sie als Klimaretter und verdrängen dabei die Probleme. | |
Bild: Langfristig gibt es keine Alternative zum Abschied vom fossilen Antrieb. … | |
Betonpfeiler und ockergelbe Ödnis. Im Spätsommer 2020 liegt die riesige | |
Tesla-Baustelle in Grünheide trostlos in der ausgetrockneten Mark | |
Brandenburg. Ein scharfer Kontrast zum glitzernden Entwurf der Architekten | |
mit den blühenden Landschaften im Umfeld. 93 Hektar Wald wurden in | |
Grünheide abrasiert. Aber eigentlich sei es gar kein Wald, sondern nur eine | |
Holzplantage minderwertigen Wuchses, wie selbst einige Grünen-Politiker | |
versicherten. Alle haben Tesla den roten Teppich ausgerollt für die | |
Gigafactory Berlin-Brandenburg. Für die „fortschrittlichste | |
Serienproduktionsstätte für Elektrofahrzeuge der Welt“, so die | |
Eigenwerbung. | |
Im Herzen des größten europäischen Autolands greift der weltweit führende | |
Hersteller von Elektroautos die deutsche Vorzeigeindustrie an. 500.000 | |
Fahrzeuge sollen in Grünheide ab 2021 jährlich vom Band laufen. Sie werden | |
von den leistungsstärksten Batterie-systemen angetrieben und sollen „in | |
noch nie dagewesener Farb-tontiefe“ erstrahlen. Die brandenburgische | |
Landesregierung fährtzwar weiterhin mit besonders klimaschädlichen | |
Verbrennern der Luxusklasse in Grünheide vor, sie ist aber restlos | |
begeistert von der [1][Standortwahl des Tesla-Chefs Elon Musk]. | |
Musk hat im Sommer die ersten Passagiere ins All befördert; er redet gern | |
von der Besiedlung ferner Gestirne. Hienieden auf der Erde bricht er | |
einstweilen alle Rekorde. Mit 360.700 Neuzulassungen von Elektroautos im | |
vergangenen Jahr ist [2][Tesla weltweiter Marktführer vor den chinesischen | |
Herstellern BYD und Baic.] Tesla hat 2019 viermal so viele Stromer verkauft | |
wie Dieselbankrotteur VW (92.500); und mehr als alle großen deutschen | |
Hersteller zusammen. Auch was Batteriesysteme, Ladesäulen oder die | |
Vernetzung der Autos mit Smartphone und Internet angeht: Tesla ist besser. | |
## Überforderte deutsche Hersteller | |
Hektisch versuchen die deutschen Autobauer Anschluss zu finden, unterstützt | |
von üppigen staatlichen Kaufprämien für Elektrofahrzeuge. Doch die | |
deutschen Hersteller scheinen überfordert, Kunden warten teilweise bis zu | |
einem Jahr auf ihr bestelltes Fahrzeug. Es fehlt an Batteriezellen und | |
Stromtankstellen, an neuen Modellen und einer guten IT-Vernetzung der | |
Autos. Und inzwischen fehlt es auch am jahrelang demonstrativ gezeigten | |
Hyperselbstbewusstsein der Branche. | |
Im ersten Halbjahr 2020 sind die Verkäufe zwar sprunghaft angestiegen, doch | |
beim heimischen Boom liegen Plug-in-Hybridfahrzeuge vorn, die mit 49 541 | |
Neuzulassungen in den ersten sechs Monaten die reinen Elektroautos (44 307) | |
überholten. Hybride fahren zwar auch elektrisch, doch der Benzintank bleibt | |
bei vielen Modellen die wichtigere Antriebsquelle. „Plug-in-Hybridfahrzeuge | |
sind nicht automatisch umwelt- und klimafreundlicher“, kritisiert der ADAC: | |
Je nach Motorisierung und Art der Benutzung könne ein Plug-in-Hybrid sogar | |
mehr CO2 emittieren und mehr Sprit verbrauchen als ein Diesel oder | |
Benziner. | |
Bei manchen Nutzern, so die Beobachtung von Ressourcenökonom Andreas | |
Püttner vom Zentrum für Solar- und Wasserstoffforschung, liege das | |
Ladekabel auch nach Monaten noch originalverpackt im Kofferraum. Sie fahren | |
ausschließlich fossil. Und es sind meist große, schwere Fahrzeuge. Bis zur | |
Jahresmitte 2020 ist die deutsche Elektroflotte – E-Autos und | |
Plug-in-Hybride zusammen – auf unseren Straßen auf 310.000 Fahrzeuge | |
angewachsen bei einem Gesamtbestand von 47,7 Millionen Autos. | |
Entscheidender Impulsgeber für den Boom in der ersten Jahreshälfte ist | |
nicht nur die mit dem Corona-Rettungspaket angehobene Förderung. Der | |
zweite, langfristig viel wichtigere Treiber sind die neuen | |
EU-Abgasvorschriften. Danach müssen die Hersteller den Ausstoß des | |
Klimakillers CO2 bis 2030 um 37,5 Prozent reduzieren. Mit fossilen Diesel- | |
und Benzinfahrzeugen ist das nicht zu schaffen. Um milliardenschwere | |
Strafzahlungen zu vermeiden, müssen die Autobauer verstärkt E-Mobile in | |
ihre Flotte integrieren. | |
## Norweger fahren Elektroautos | |
[3][Elektroautos] gelten in der EU-Rechnung als Null-Emissionsfahrzeuge, | |
die den Flottenverbrauch entsprechend drücken. „Nicht die Käufer, die | |
Hersteller entscheiden, was auf den Markt kommt«, sagt der Mobilitäts- und | |
Stadtforscher Felix Creutzig, „die strammen Grenzwerte der EU sind | |
Supercredits für Elektroautos.“ Das passt zur Ankündigung der | |
Internationalen Energie-Agentur. | |
Die IEA hat das Jahr 2020, begleitet von der üblichen Jubelarie, als | |
Eintrittspforte für das „Jahrzehnt elektrischen Fahrens« ausgerufen. Doch | |
auch die IEA kann nicht verbergen, dass das letzte Jahr der alten Dekade | |
enttäuschend verlief. 2019 haben die Verkäufe von weltweit 2,1 Millionen | |
E-Autos das Vorjahr zwar um 6 Prozent übertroffen, doch das Wachstumstempo | |
ist stark zurückgegangen.Entscheidend dafür war die Flaute auf den | |
Leitmärkten in China und den USA, wo die Verkäufe in der zweiten | |
Jahreshälfte als Folge gekürzter oder auslaufender Förderprogramme | |
eingebrochen waren. | |
Prognosen für 2020 sind schwierig. Als Folge der Coronapandemie und der | |
Talfahrt der Wirtschaft erwartet die IEA, dass weltweit bis zu 15 Prozent | |
weniger Autos gekauft werden. Bei den Elektromobilen könnten die Zahlen | |
zwar etwas besser ausfallen, aber allenfalls das Niveau des Vorjahrs | |
erreichen. Es wäre das zweite schwache Jahr in Folge. | |
Wer jetzt am grundsätzlichen Erfolg des Elektroautos zweifelt, dem hält die | |
IEA die Zehnjahresstatistik unter die Nase. 2010 fuhren 17 000 Elektroautos | |
auf dem Planeten, heute sind es 7,2 Millionen. Aktuell liegt der Anteil der | |
Stromer an den weltweiten Autoverkäufen bei 2,6 Prozent. Zum großen | |
Zahlensalat gehört natürlich auch die Länder-, Hersteller- und | |
Modellstatistik. Im Ländervergleich bleibt Norwegen vorn. 56 Prozent aller | |
im Jahr 2019 dort zugelassenen Autos hatten einen elektrischen Antrieb. In | |
Island (Platz zwei) waren es 25,5 und in den Niederlanden 15 Prozent. | |
## Teslas tonnenschwere Ungetüme | |
Bei den Modellen ist wieder Tesla in Front. Das Model 3 des kalifornischen | |
Unternehmens besetzt mit mehr als 300 000 Verkäufen bis zum Jahresende 2019 | |
souverän die Poleposition. Bei reinen Elektroautos hält Tesla inzwischen | |
einen Marktanteil von 22 Prozent. Dass gerade Tesla-Autos tonnenschwere | |
Ungetüme sind – so auch der neue Cybertruck genannte Pick-up –, die | |
gewaltige Batterielasten bewegen, wird selten thematisiert. Es ist reine | |
Physik. Um die enorme Energiedichte und Reichweite von 50 Liter | |
Dieselkraftstoff zu egalisieren, braucht es den Strom von etwa 600 bis 700 | |
Kilogramm Batteriegewicht. | |
Die Batteriekosten sinken zwar kontinuierlich und ihre Effizienz nimmt | |
weiter zu. Doch die oft beschworene Wunderbatterie, die mit sehr viel | |
weniger Platz und Gewicht auskommt, ist nicht in Sicht. Die begrenzte | |
Reichweite der Autos ist neben der Ladegeschwindigkeit und der | |
Verfügbarkeit von Stromtankstellen noch immer beherrschendes Thema. | |
Mercedes will allen Ernstes bald mit 700 Kilometer Reichweite punkten. | |
Immer deutlicher offenbart sich, dass die alte Rennreiselimousine das | |
Leitbild der Branche bleibt. Die Träume vom kleinen intelligenten | |
Elektromobil, dass im neuen Zeitalter der postfossilen Mobilität mehr | |
geteilt als individuell besessen wird und das nur die Kurz- und | |
Mittelstrecke bedient, scheinen ausgeträumt. | |
„Das Elektroauto wird zum 1:1-Substitut der Verbrenner“, kritisiert | |
Mobilitätsforscher Creutzig, das Auto werde weiter als all-in-one-Modell | |
konzipiert, mit dem man in der Stadt und zur Arbeit fährt und zweimal im | |
Jahr die Fernreise zur Oma antritt. Jetzt ist auch noch der einzige | |
europäische Hersteller eines etwas anderen Elektroautos in die Insolvenz | |
gerutscht. Die Firma e.Go Mo-Die Firma e.Go Mobile des Aachener Professors | |
Günther Schuh präsentierte mit dem e.Go Life den Gegenentwurf. Ein kleines | |
wendiges Elektroauto mit maximal 150 Kilometern Reichweite für 13.000 Euro. | |
Dann kam Corona, und Schuh ging das Geld aus. | |
Noch weiß niemand, wie und ob es weitergeht. E.Go.-Chef Schuh sorgte immer | |
mal wieder für erfrischende Klarheit in der Debatte. „Mit einer | |
3-Prozent-Ökonische kann man nicht die Welt retten“, kommentierte er die | |
Zulassungszahlen oder: „Der Kunde will keine Elektroautos, es gibt für ihn | |
auch keine Notwendigkeit!“ Bisher hätten in Deutschland nur die „Early | |
Adopters“ E-Mobile gekauft, sagt Schuh, das sind die, die auch bereit sind, | |
für einen Biocamembert 20 Prozent mehr zu zahlen. | |
## Abschied vom fossilen Antrieb | |
Für Irritationen sorgen zudem immer wieder kritische Berichte, die den | |
Umweltvorteil von Elektroautos anzweifeln oder Menschenrechtsverletzungen | |
beim Abbau von Lithium und Kobalt kritisieren. 2017 hatte die oft zitierte | |
Studie des schwedischen Umweltinstituts IVL die Ökovorteile des | |
Elektroautos bestritten. Die Neuberechnung der schwedischen Wissenschaftler | |
zwei Jahre später fiel dann deutlich günstiger für die Stromer aus. | |
Ebenfalls 2019 lieferten jedoch der Ex-Präsident des Ifo-Instituts, | |
Hans-Werner Sinn, und der Kölner Physikprofessor Christoph Buchal eine | |
Neuauflage der Kritik. Auch sie stellten die Vorzüge der Elektroautos | |
gegenüber Verbrennern infrage – und wurden heftig attackiert. | |
Bei allen Schwierigkeiten solcher Fußabdruck-Vergleiche ist eines jedoch | |
klar. Mit weltweit zunehmenden Anteilen von grünem Strom wird die | |
Umweltbilanz von Elektroautos immer besser. Gleichzeitig wird die Bilanz | |
der Verbrenner durch mehr Erdöl aus der Tiefsee, aus Fracking und Ölsanden | |
immer schlechter. So gibt es langfristig – wenn man denn schon Auto fährt – | |
keine Alternative zum Abschied vom fossilen Antrieb. Klar muss nur sein, | |
dass das Elektroauto, so das Wuppertal-Institut für Umwelt und Klima, kein | |
„Königsinstrument“ ist und dass der stetig wachsende motorisierte | |
Individualverkehr mit inzwischen panzergroßen Fahrzeugen in die Irre führt. | |
9 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bild-von-kuenftiger-Tesla-Fabrik/!5695067 | |
[2] https://www.zsw-bw.de/mediathek/datenservice.html | |
[3] /Elektroauto/!t5024770/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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