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# taz.de -- Mit E-Auto in den Urlaub: So weit die Akkus tragen
> Elektroautos sind für den Stadtverkehr ideal. Doch taugen sie auch für
> eine Frankreich-Reise? Unser Autor hat es mit einem Corsa-E probiert.
Der Pressesprecher bei Opel ist besorgt. Ein bisschen gemein sei das ja
schon, ausgerechnet einen kleinen Corsa über die Autobahn jagen zu wollen.
„Elektroautos sind dafür einfach nicht gemacht“, sagt er. Und ergänzt: �…
glänzen vor allem im Stadtverkehr.“ Nach einem längeren Telefonat stellt
der Konzern trotzdem ein Testfahrzeug bereit – verbunden mit der dringenden
Empfehlung, nicht schneller als 120 km/h zu fahren.
Gemein zu sein ist nicht das Ziel dieses Autotests. Stattdessen soll er
herausfinden, ob man in einem elektrischen Kleinwagen auch über längere
Strecken verreisen kann. Keine Frage: Im Stadtverkehr sind E-Autos
alltagstauglich, besonders dann, wenn man zu Hause eine eigene Ladesäule
hat. Doch auch E-Auto-Besitzer möchten irgendwann einmal die Oma am anderen
Ende des Landes besuchen oder in den Urlaub fahren. Und nicht jeder hat
100.000 Euro für einen „[1][Tesla Model S]“ (Norm-Reichweite: 610
Kilometer) übrig. Daher die Frage: Geht ein solcher Langstrecken-Trip auch
im Kleinwagen?
## Level 1: Aufwärmen
Vom Opel-Stammwerk in Rüsselsheim bis zu meinem Wohnort Bonn sind es knapp
160 Kilometer. Angesichts der Tatsache, dass der [2][Corsa] mit einer
Ladung bis zu 330 Kilometer weit kommen soll, handelt es sich also
lediglich um eine Aufwärm-Runde. Obwohl die Klimaanlage aufgedreht ist und
das Radio läuft, bewegt sich die Akku-Anzeige nur langsam nach unten. Der
Verkehr auf der A 3 spielt dem E-Auto in die Hände. Es ist
Freitagnachmittag und dementsprechend viel los. Schneller als 100 km/h ist
ohnehin niemand unterwegs.
Kurz vorm Ziel ist der Akku noch immer halb voll. Trotzdem wagen wir einen
kleinen Versuch: Wie gut klappt das Aufladen an einer Schnellladesäule?
Theoretisch sollte das Stromtanken genauso einfach gehen wie jenes mit
Benzin. In der Praxis gibt es aber oft Probleme, weil innerhalb
Deutschlands (und Europas) Hunderte von Anbietern existieren, die alle ihre
eigenen Systeme betreiben: von kommunalen Stadtwerken bis hin zu großen
Energiekonzernen.
An der Raststätte Bad Honnef wird die E-Tanke von „Ionity“ betrieben, einem
Ladeverbund, in dem sich mehrere Autokonzerne zusammengeschlossen haben.
Fünf Säulen stehen zur Verfügung, Kostenpunkt: happige 0,77 Euro pro
Kilowattstunde. Um das „Tanken“ zu starten, muss zunächst ein QR-Code
gescannt werden. Website öffnen, Kreditkarten-Daten eingeben, los geht’s!
Oder doch nicht? Nach wenigen Sekunden erscheint eine Fehlermeldung: keine
Internetverbindung. Seltsam, denn alle anderen Websites funktionieren auch.
Anruf bei der Hotline. „Steckt das Kabel schon drin?“, fragt die Dame am
anderen Ende der Leitung. Nein. „Komisch, mir wird angezeigt, dass die
Säule belegt ist. Da scheint irgendwas nicht zu stimmen.“ Die Mitarbeiterin
empfiehlt, eine andere Säule zu nutzen und sicherheitshalber die
dazugehörige App zu installieren. „Am besten funktioniert es aber mit einer
Ladekarte“, sagt sie noch. „Nur so als Tipp.“
Mit der App klappt es tatsächlich, 20 Minuten später ist der Akku wieder
fast voll. Immerhin eine lehrreiche Erfahrung für die weitere Tour. Lektion
eins: Man braucht guten Handy-Empfang. Lektion zwei: Ohne Ladekarte wird es
kompliziert.
## Level 2: Deutschland-Reise
Drei Tage später trifft die Ladekarte ein. Sie heißt „Shell Recharge“ und
soll an über 165.000 öffentlichen Ladestationen in Europa einsetzbar sein.
Ein verlockendes Angebot, wenn es denn stimmt. Richtig teure Autos wie der
Tesla machen es einem einfach: Sobald man das Ziel ins Navi eingibt,
berechnet der Bordcomputer automatisch die passenden Zwischenstopps.
Ganz so komfortabel funktioniert es in einem Kleinwagen zwar nicht, doch
dafür gibt es zahlreiche Websites, die diesen Job übernehmen. Ich nutze den
Routenplaner „Going Electric“, um den Weg von Bonn nach Freiburg zu
berechnen. Die 420 Kilometer lange Strecke soll über die A 3 und die A 5
führen. Geplante Zwischenstopps: zwei.
Weil aber auf beiden Autobahnen Stau ist, empfiehlt das Corsa-Navi die
Parallelstrecke über die A 61 – was die extra ausgedruckte Route wieder
zunichtemacht. Ein kurzer Schreckmoment: Wird es unterwegs trotzdem
genügend Ladestationen geben?
Die Sorge stellt sich schnell als unbegründet heraus. Fast jede Raststätte
auf dem Weg verfügt über Stromtankstellen. Nach 130 Kilometern mache ich im
Hunsrück halt. Zwar ist der „Tank“ immer noch fast halb voll, aber sicher
ist sicher. Die Ladestation, die vom Energieanbieter EnBW betrieben wird,
harmoniert mit meiner Ladekarte. Einfach dranhalten, Kabel reinstecken,
los! Nach 36 Minuten geht es weiter.
Obwohl der Akku nur zu 80 Prozent voll ist, steuere ich das 180 Kilometer
entfernte Baden-Baden an – eine kleine Herausforderung. Wieder hält der
Kleinwagen, was er verspricht. Trotz Klimaanlage und Radio steht die
Akku-Anzeige bei der Ankunft immer noch auf 20 Prozent. Allerdings halte
ich mich auch eisern an das mir selbst auferlegte Tempolimit von 120 km/h.
Bei höheren Geschwindigkeiten würde es mit solchen Distanzen knapp werden.
Richtig knapp.
Die nächste Stromtankstelle, diesmal von Eon, rührt sich nicht. Weder die
Handy-App noch die Ladekarte vermögen sie in Gang zu setzen. Auch das
Drücken diverser Tasten nützt nichts. Wieder ein Anruf bei der Hotline. „Da
hat der letzte Kunde wohl den Not-Aus-Schalter gedrückt“, erklärt die
Mitarbeiterin. „Wenn das passiert, muss ich das System neu starten.“
Gesagt, getan. Kurze Zeit später fließt der Strom. Die nächsten 35 Minuten
verbringe ich damit, die Raststätte zu erkunden. Die Autobahnkirche St.
Christophorus thront wie eine Pyramide inmitten von Bäumen. Am Wegesrand
erinnert eine Messing-Skulptur an verunfallte Straßenarbeiter. Im
Raststätten-Shop liegen Zeitschriften aus, die das VW-Elektroauto „ID.3“
als „Volksstromer“ feiern – alles Dinge, die bei einem Fünf-Minuten-Stopp
im Benzin-Auto wahrscheinlich nicht aufgefallen wären.
Am Nachmittag kommt das Ortsschild von Freiburg in Sichtweite. Sechs
Stunden hat die Fahrt gedauert, mindestens eine Stunde länger als im
Verbrenner. Und doppelt so lange wie im ICE. Was die Batterien angeht, hat
der Corsa tapfer durchgehalten. Die restlichen 25 Prozent reichen locker,
um am nächsten Tag das nahegelegene Schwarzwald-Örtchen Kirchzarten
anzusteuern. Dort steht, direkt neben einem Café, eine Ladesäule, die das
Auto in einer Stunde wieder randvoll lädt.
Die Rückfahrt nach Bonn verläuft wenig spektakulär, diesmal über die A 5
und die A 3. Erster Zwischenstopp in Bruchsal (30 Minuten Schnellladen),
zweiter Stopp in Limburg-Süd. Die dortige Stromtankstelle, genannt
„Fastned“, ist tatsächlich superschnell: Mit bis zu 300 Kilowatt können
Fahrzeuge aufgeladen werden, im besten Fall also nur 15 Minuten für eine
80-Prozent-Ladung. Leider sind die vier superschnellen Plätze schon alle
belegt. Ein holländisches Ehepaar hat Klappstühle aufgestellt, um vor der
Ladesäule zu picknicken.
Übrig bleibt eine 50 kW-Säule, mit der es knapp eine Stunde dauert, den
Corsa wieder aufzutanken. Doch es gibt ein Trostpflaster: Direkt nebenan
befindet sich eine Filiale der Pizzakette Osteria. Im Grunde ein sehr
entspanntes Reisen. Nur eilig darf man es nicht haben. Aber das ist im
Urlaub ja auch selten der Fall.
## Level 3: Tour de France
Jetzt wird’s ernst. Von Bonn aus geht es nach [3][Boulogne-sur-Mer], einer
kleinen Hafenstadt südlich von Calais, wobei die Reise vor der Einstufung
der Region als Risikogebiet wegen der Coronapandemie durchgeführt wurde.
462 Kilometer muss der elektrische Corsa bewältigen und dabei vier
verschiedene Länder durchqueren. Der Online-Routenplaner hat nur zwei
Stopps vorgesehen, einmal in Belgien und einmal kurz vor dem Ziel. Wenn das
stimmt, wäre das wirklich gut. Alle zwei Stunden würde ich sowieso Pause
machen.
Doch ich traue dem Frieden nicht und möchte das Auto gerne auf deutscher
Seite noch einmal volltanken. Es ist der Moment, an dem die Sache
allmählich aus dem Ruder läuft. Erst verpasse ich die Raststätte
Aachen-Nord. Dann wählt das Navi eine andere Route als die, die ich
ausgedruckt habe – ohne dass ich es merke. Statt direkt durch Belgien zu
fahren, rollt der Corsa nun durch Holland. Nervosität macht sich breit.
Was, wenn der Akku leer ist, bevor die nächste Stromtankstelle in
Reichweite rückt?
Die Shell-App würde nun helfen, doch bei 120 km/h auf der Autobahn bleibt
das Handy lieber in der Ablage. Zum Glück zeigt auch das Navi alle
verfügbaren Ladestationen in der Umgebung an, weshalb ich in einem
Städtchen namens Geleen lande. Auf dem Bildschirm rückt das
Tankstellen-Symbol immer näher. Beim Blick durchs Fenster leider nicht.
Einfamilienhäuser sind zu sehen, Fahrräder und Spaziergänger mit
Kinderwagen. Von einer Ladesäule keine Spur. Das Spiel wiederholt sich ein
paar hundert Meter weiter. Die angeblich öffentliche Ladestation befindet
sich auf einem Hotelgelände – hinter einer Schranke.
Also zurück auf die Autobahn. Mit 100 km/h und ausgeschalteter Klimaanlage
steuere ich die nächste Schnellladestation an, die Raststätte Zolder in
Belgien. Das Schneckentempo zeigt Wirkung, denn der Akku ist bei der
Ankunft noch immer zu einem Fünftel voll. Dann der nächste Schock: Die
Ladesäulen sind von einem Bauzaun umgeben – außer Betrieb! Die Kassiererin
erklärt, dass es ein paar Meter weiter noch eine weitere E-Tanke gebe und
die auch wirklich funktioniere. Doch auch dort ist erst einmal Warten
angesagt: Die einzige verfügbare Station wird von einem anderen Elektroauto
blockiert.
„Wie lange dauert’s denn noch?“, frage ich den BMW-Fahrer. „Ungefähr d…
Stunden“, antwortet er. Selbst mit aufgesetztem Mundschutz ist es
offensichtlich, dass er lacht. „Kein Problem. Ich hab Zeit und fahre zur
nächsten Station“, sagt er schließlich. Solidarität unter E-Mobilisten, wer
hätte das gedacht!
Eine halbe Stunde später ist der Akku wieder fast voll. Weiter geht’s zum
nächsten Zwischenstopp, der Raststätte Wetteren. Hier stehen gleich fünf
Parkplätze für Stromer bereit, kein einziger ist belegt. Karte ans
Lesegerät halten, Stecker ins Auto, los! 30 Minuten und ein Nickerchen
später ist der E-Corsa wieder bereit. Und der Fahrer auch.
Doch das Glück währt nicht lange. Obwohl es das Auto bis zum Ziel schaffen
würde, nagt an mir eine andere Frage: Woher bekommt es in Boulogne-sur-Mer
die Energie? Schnellladestationen gibt es dort nicht, und wer weiß, ob die
deutsche Ladekarte in einer französischen Kleinstadt funktioniert. Also
wähle ich erneut einen Umweg und steuere in Calais einen Auchan-Supermarkt
an. Dort können Kunden 30 Minuten kostenlos laden. Während die Sonne
untergeht, vergehen die letzten Kilometer rasch. Am Zielort angekommen,
stellt sich heraus, dass die ganze Sorge umsonst war: Direkt vorm Hotel
steht eine städtische Strom-Tankstelle. Schnell noch die passende App
installieren, schon blinkt die Ladesäule grün. Jetzt hat sich der E-Corsa
seine Nachtruhe verdient.
Der nächste Morgen startet mit einer bösen Überraschung: Die Batterie ist
noch genauso voll (bzw. leer) wie vorher: 43 Kilometer Restkapazität.
Offenbar gab es ein Kommunikationsproblem zwischen Säule und Auto. Oder die
Säule ist schlicht defekt, wer weiß das schon. Stünde an diesem Tag die
Rückfahrt an, wäre das ein echtes Problem. An einer normalen Ladesäule kann
es Stunden dauern, bis das Auto wieder voll ist. Zum Glück gibt es auch in
Boulogne einen „Auchan“ – der allerdings kurz nach meiner Ankunft am
Sonntagmittag schließt. Also ein neuer Versuch an der Säule vorm Hotel,
diesmal am zweiten Anschluss. Und tatsächlich: Der Strom fließt! Billig ist
er aber nicht: So wird die komplette Frankreich-Tour (ca. 950 Kilometer) am
Ende knapp über 80 Euro kosten, also durchaus vergleichbar mit den Kosten
für einen Benziner. Das hängt vor allem an den hohen Preisen an den
Schnellladesäulen.
Beim Rückweg versuche ich jegliche Reichweiten-Angst über Bord zu werfen.
Abstecher zu Supermärkten oder Ähnlichem soll es nicht mehr geben,
stattdessen einen direkten Rückweg mit nur zwei Pausen: einmal in Wetteren
(192 km), einmal in Aachen (200 km). Wieder zeigt sich das inzwischen
bekannte Muster: Das Auto macht, was es soll, stattdessen hapert es an der
Software. In Deutschland ist abermals ein Anruf bei der Service-Hotline
nötig, bevor die Ladesäule (diesmal vom Betreiber Ionity) ihren Dienst
verrichtet.
Die restlichen Kilometer nach Bonn vergehen wie im Flug. Am Ende zeigt
sich, dass trotz mancher Hürde eine Urlaubsfahrt im elektrischen
Kleinwagen durchaus möglich ist – wenn man sie entsprechend plant. Und
einen kühlen Kopf behält.
8 Oct 2020
## LINKS
[1] /Tesla-greift-Mercedes-an/!5165422
[2] https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/autokatalog/marken-modelle/opel/opel-…
[3] https://www.france-voyage.com/frankreich-tourismus/boulogne-mer-635.htm
## AUTOREN
Steve Przybilla
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