Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sozialökologischer Umbau: Grün ist die Zukunft
> Ist umweltverträgliches Wachstum im Kapitalismus möglich? Das kann nur
> die Praxis zeigen, mittels einer radikal sozial-ökologischen
> Reformpolitik.
Bild: Aktivist*innen fordern einen „Green New Deal“ beim Klimastreik in Ber…
Gewerkschaften und Umweltbewegung rätseln seit ihrer Gründung darüber, ob
der Kapitalismus das Problem oder Teil der Lösung ist. Der Kapitalismus hat
einen eingebauten Wachstumszwang: Profitorientierte Unternehmen erzeugen
immer mehr Güter in kürzerer Zeit. Die expansive kapitalistische
Produktionsweise machte die Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch wieder
zunichte. Dass grünes Wachstum im Kapitalismus möglich ist, muss also erst
noch bewiesen werden.
Eine radikal sozial-ökologische Reformpolitik wäre der ultimative
Praxistest. Ein grüner Kapitalismus, der kohlenstoffarm produziert, müsste
die energieintensiven Schlüsselsektoren umbauen, die öffentliche
Infrastruktur erneuern und gleichzeitig die soziale Spaltung bekämpfen. Ein
Bündnis aus aufgeklärtem Bürgertum und Arbeitnehmermilieus könnte einen
solchen Green New Deal mehrheitsfähig machen.
Die Idee ist nicht neu. In den 1930er Jahren war der New Deal die
wirtschafts- und sozialpolitische Antwort [1][Franklin D. Roosevelts] auf
die Weltwirtschaftskrise. In den 1980er Jahren wollte die SPD die
Industriegesellschaft ökologisch modernisieren. Bernie Sanders zog mit
einem Green New Deal – Investitionsoffensive für erneuerbare Energien und
staatliche Arbeitsplatzgarantie – in den US-Präsidentschaftswahlkampf. Und
Bündnis90/Die Grünen forderten einen [2][Green New Deal] im Europawahlkampf
2019.
## Das größte Marktversagen
Der Green New Deal besteht im Kern aus Ordnungspolitik (Ökosteuern,
Verbraucherschutz, Auflagen) und einer öffentlichen Investitionsoffensive
(nachwachsende Rohstoffe, öffentliche Infrastruktur, Energieeffizienz,
erneuerbare Energien). Gleichzeitig sollen die Beschäftigten durch den
Ausbau von Bildungswesen und Forschung entsprechend qualifiziert werden.
Dadurch soll eine lange Welle grüner Innovationen entstehen, die für
Beschäftigung und wirtschaftliche Dynamik sorgt.
Im Kapitalismus gibt es immer wieder Marktversagen: Unternehmen können die
Umwelt kostenlos verschmutzen. Für den Ökonomen Nicolas Stern ist der
Klimawandel das größte Marktversagen, das wir je gesehen haben. Hier muss
der Staat ordnungspolitisch handeln. Preise sollten künftig die ökologische
Wahrheit sagen und umweltschonende Produkte und Produktionsverfahren
fördern. Eine ökologische Steuerreform sollte die Energie- und
Rohstoffpreise stetig erhöhen, wobei der Preisanstieg sich am Zuwachs der
Ressourcenproduktivität orientieren könnte. So werden Firmen motiviert,
ihren Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken.
Ordnungspolitik hat aber auch ihre Grenzen. Grüne Märkte allein überwinden
die umweltschädlichen kapitalistischen Produktions- und Konsummuster nicht.
Seit drei Jahrzehnten machen die fossilen Brennstoffe 80 Prozent des
weltweiten Energieverbrauchs aus. Viele Unternehmen werden, ohne einen
Umbau der Infrastrukturen, weiter die Umwelt verschmutzen, für Ausnahmen
und Subventionen streiten oder Strafen zahlen. Viele motorisierte
Berufspendler können nicht auf Bus und Bahn umsteigen. Verbraucher können
sich ohne Kreislaufwirtschaft nicht umweltbewusst verhalten. Nur
einkommensstarke Haushalte können regelmäßig in Bioläden einkaufen, mit
Elektroautos fahren und in Ökohäusern wohnen.
Deshalb muss ein handlungsfähiger Staat die Transformation mit grünen
Investitionen vorantreiben. Dabei geht es um den Ausbau der öffentlichen
Infrastruktur und Daseinsvorsorge.
Für eine Verkehrswende muss der Staat kräftig in den öffentlichen Nah- und
Fernverkehr investieren. Der Verkehr sollte auf die Schiene verlagert, der
fossile Verbrennungsmotor muss durch emissionsfreie Antriebe ersetzt
werden. Eine ökologische Industriepolitik sollte dafür die notwendige
Infrastruktur – Batteriezellenproduktion, Ladestationen,
Wasserstoffproduktion – schaffen. Richtiger Klimaschutz geht aber nur mit
weniger Autos. Ein ökologisches Mobilitätskonzept braucht folglich neue
Produkte und Geschäftsmodelle für die Konversion der [3][Autobauer.]
Die Energiewende zielt auf Vollversorgung durch erneuerbare Energien. Neben
dem nötigen Ausbau der regenerativen Energien: Die beste Energie ist immer
die, welche nicht verbraucht wird. Zudem sollte eine Kreislaufwirtschaft
mit geschlossenen Stoffkreisläufen aufgebaut werden. Ferner müssen die
globalen Wertschöpfungsketten und Handelsströme stärker regionalisiert
werden. Öffentliche Banken und Versicherungen sollten ihre Kredite und
Investitionen in den ökologischen Umbau lenken und aus der Kohle- und
Erdölindustrie aussteigen.
Ein Green New Deal ist nur dann mehrheitsfähig, wenn er sozial gerecht ist.
Verbrauchssteuern etwa sind problematisch, da die Unternehmen diese häufig
auf die Konsumenten abwälzen können. Die Mehrbelastungen für
Geringverdiener und sozial Benachteiligte müssen ausgeglichen werden.
Damit nicht genug: Die Beschäftigten der Automobilindustrie und der
fossilen Energieversorger brauchen eine Perspektive mit sicheren, guten
Arbeitsplätzen. Ein Zukunftsfonds kann dafür die Finanzmittel
bereitstellen. Die nötigen öffentlichen Umwelt- und
Klimaschutzinvestitionen sollten über Kredite oder über höhere Steuern auf
große Gewinne, Einkommen und Vermögen finanziert werden. Die größten
Klimasünder müssen mehr zum Umweltschutz beitragen.
Ein Green New Deal erfordert aber auch mehr Wirtschaftsdemokratie.
Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften müssen den Umbau
mitgestalten. Umweltinitiativen und -verbände sollten in regional- und
strukturpolitischen Räten ebenfalls Einfluss nehmen können. So können
Umweltbewegung und Gewerkschaften mit sozialen Bewegungen und progressiven
Parteien für eine gerechtere, nachhaltige Gesellschaft streiten.
1 Dec 2020
## LINKS
[1] /Oekologische-und-oekonomische-Krise/!5688574
[2] /Kritik-an-EU-Kommissionschefin/!5720575
[3] /Kaufanreize-fuer-Elektroautos/!5729709
## AUTOREN
Dierk Hirschel
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Green New Deal
Wirtschaftswachstum
Verkehrswende
Energiewende
soziale Ungleichheit
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schlagloch
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehrswende
Lesestück Recherche und Reportage
Green New Deal
Biodiversität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zu Kapitalismus und Umweltpolitik: Wachstum, ein Dilemma
Wieder scheitert eine Studie, die zeigen will, dass „grünes Wachstum“
möglich ist. Es bleibt unklar, wie man ohne Crash auf Wachstum verzichtet.
Aggressionen gegen E-Autos: Straßenbekanntschaften
Wenn schon Auto, dann sollte es ein E-Mobil sein. Das fährt zwar langsam
und noch schlimmer sind die Reaktionen der anderen. Trotzdem.
Die Krisenjahre 2015 und 2020: Apathie hier, Aufbruch dort
2020 zeigt: Die Gesellschaft ist offener, flexibler und hilfsbereiter ist
als die Institutionen, die sie abbilden. Das konnten wir auch schon 2015
sehen.
Seenotretter über das Nord-Süd-Gefälle: „Die große Flucht kommt erst noch…
Gorden Isler ist Unternehmer, Grüner und Seenotretter. Ein Gespräch über
Arschlochquoten, den Klimawandel und wirtschaftliches Wachstum.
Vorschläge für soziale Verkehrswende: Dienstwagen teurer, Bus billiger
Klimaschutz im Verkehr darf nicht zulasten Ärmerer gehen. Nabu und
Sozialverband Deutschland legen Ideen vor, wie das gelingen soll.
Fridays for Future und die Grünen: Die Gradwanderung
Fridays for Future wirft den Grünen Halbherzigkeit im Kampf gegen die
Erderhitzung vor. Wie gefährlich ist das für die Ökopartei?
Kritik an EU-Kommissionschefin: Von der Leyen unter Beschuss
Das EU-Parlament bilanziert ihre Amtszeit. Es fehle an Transparenz, an
Engagement für den „European Green Deal“ und ein krisenfestes Budget.
Selbstverpflichtung statt UN-Erklärung: Vorstoß für biologische Vielfalt
Kurz vor dem UN-Biodiversitätsgipfel stellen 64 Staaten ihren „Leaders’
Pledge for Nature“ vor. Zudem wird ein Rettungsschirm für die Natur
geplant.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.