# taz.de -- Jobabbau beim Autokonzern: Wie Daimler Werke rasiert | |
> Der Autokonzern muss sparen und Milliarden in Forschung und Entwicklung | |
> investieren. Zur Not auf Kosten der Beschäftigten – oder des Werks in | |
> Berlin. | |
Bild: 2.500 Jobs: Das Werk in Berlin-Marienfelde gehört zu den kleineren Stand… | |
Berlin taz | Spätestens als Ola Källenius dem FDP-Bundesvorsitzenden | |
Christian Lindner zuletzt die neue Strategie seiner Daimler AG erörtert, | |
ist klar, dass es ernst wird: „Wir müssen Kapital freimachen, um in die | |
Zukunft investieren zu können“, sagt der Vorstandsvorsitzende des | |
Autokonzerns. Die [1][MitarbeiterInnen des Berliner Daimler-Werkes] | |
glauben, dass es nicht ihre Zukunft ist, in die da investiert werden soll. | |
Jan Otto, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Berlin, fasst es so | |
zusammen: „Der Daimler will das Werk rasieren.“ | |
Das Werk in Berlin-Marienfelde gehört mit rund 2.500 MitarbeiterInnen zu | |
den kleineren Standorten von Daimler. An seinem Beispiel jedoch zeigt sich | |
der Konflikt, der derzeit den ganzen Konzern betrifft: [2][Die anstehende | |
Transformation wird nicht nur Gewinner haben]. „Die größte Verarsche, die | |
ich in 40 Jahren erlebt habe“, kommentiert etwa Gerhard* auf einer | |
Demonstration der IG Metall gegen den geplanten Stellenabbau Ende | |
vergangenen Jahres in Berlin. Er kam 1980 als Dreher ins Werk. Zwei Tage | |
nach seinem Jubiläum habe er von den Stellenstreichungen erfahren. | |
Daimler hat sich im Rahmen des „Projekt Zukunft“ einem | |
Restrukturierungsprogramm verschrieben. Dabei soll die Produktion von Vans, | |
Lkw, Pkw und Bussen in eigenständige Gesellschaften aufgegliedert werden, | |
Gelder werden in Zukunftstechnologien fließen. Zusätzlich soll am Personal | |
gespart werden. | |
In den Werken in Sindelfingen und Stuttgart-Untertürkheim sind bis zu | |
25.000 MitarbeiterInnen beschäftigt. In ganz Deutschland arbeiten rund | |
173.000 Menschen an mehr als 15 Standorten für den Konzern. Daimler plant | |
die Personalkosten bis 2022 um 1,4 Milliarden Euro zu reduzieren und | |
weltweit Tausende Stellen abzubauen. Dabei will das Unternehmen in | |
Deutschland nach eigenen Angaben auf Abfindungsregelungen und | |
Altersteilzeit zurückgreifen. | |
## Daimler-Konzern ins Schlingern geraten | |
Seit Monaten gibt es auch in Marienfelde kleinere Protestaktionen dagegen. | |
Am 9. Dezember etwa stempelte die Belegschaft aus und legte das Werk bis | |
zur Betriebsversammlung am Mittag still. Damit wollte sie gegen die kurz | |
zuvor bekannt gewordenen Pläne des Managements protestieren, die | |
Motorenproduktion des Werkes an ein chinesisches Unternehmen auszulagern. | |
Tatsächlich ist der Daimler-Konzern ins Schlingern geraten. Von 2018 bis | |
2019 schrumpfte der Gewinn von mehr als 11 Milliarden auf etwas mehr als 4 | |
Milliarden Euro. Die Daimler-Aktie hat in den letzten drei Jahren mehr als | |
20 Prozent an Wert verloren. Am Montagmittag stand sie bei knapp 58 Euro. | |
Den Tiefststand hatte sie im vergangenen März mit rund 21 Euro erreicht. | |
Das Unternehmen führt das auf die Pandemie zurück und darauf, dass die | |
Nachfrage nach Premium-Pkw zurückgegangen sei, vor allem in China. Aber | |
auch Gerichtsprozesse im Abgasskandal drückten den Gewinn um 4 Milliarden | |
Euro. | |
Bereits seit 2015 sieht das Pariser Klimaabkommen verbindlich den Ausstieg | |
aus fossilen Energieträgern vor. Doch erst ab diesem Jahr will Daimler | |
tatsächlich nennenswerte Investitionssteigerungen in Digitalisierung, | |
autonomes Fahren und Elektromobilität vornehmen. Geplant sind 18,8 | |
Milliarden Euro. Dabei wird das Daimler-Werk in Marienfelde kaum | |
berücksichtigt. Eine Batteriefabrik für Mercedes-Benz etwa soll in Polen | |
errichtet werden. Der für 2022 angekündigte E-Smart soll gemeinsam mit dem | |
chinesischen Unternehmen Geely in China gebaut werden. Was für die | |
Belegschaft in Marienfelde besonders schmerzhaft ist: Sogar der Bau neuer | |
Verbrennungsmotoren ist im Gespräch. Allerdings nicht mehr in Berlin. | |
Otto verlangt dagegen Investitionen in E-Mobilität und Digitalisierung | |
statt Einsparungen beim Personal. „Transformation kostet Geld, aber die | |
Belegschaft hat über Jahre die Gewinne des Konzerns erwirtschaftet.“ Nun | |
stelle sich die Frage, was das Management zurückgeben wolle. Die | |
Arbeitgeberseite signalisiere jedoch bisher kaum Verhandlungsbereitschaft | |
und setze die Belegschaft unter Zeitdruck, sagt Otto. | |
## ArbeitnehmerInnen sollen Transformation offenbar bezahlen | |
Dass die Konzernleitung das Werk modernisieren solle, statt es zu | |
schließen, findet auch Ramona*, seit 36 Jahren Mitarbeiterin in | |
Marienfelde. Sie war zunächst in der Produktion, dann in der | |
Ölpumpenfertigung und der Entwicklung angestellt. „Das Management könnte | |
eine Batterieproduktion einrichten und einen gemeinsamen Weg mit | |
Betriebsräten und Gewerkschaften finden“, sagt die Arbeiterin im Gespräch. | |
Ähnlich sieht das Mario*, der seit vier Jahren Meister im Werk ist. „Das | |
Management soll zukunftsfähige Produkte ins Werk bringen – | |
Elektromobilität, Wasserstoffantriebe sind meiner Meinung nach | |
zukunftsträchtig.“ | |
Doch trotz des zuletzt wieder steigenden Aktienkurses sollen offenbar die | |
ArbeitnehmerInnen die Transformation mit ihren Jobs bezahlen: Bei der | |
Neustrukturierung geht es nicht allein um eine klimaneutrale | |
Fahrzeugpalette, sondern auch um die Sanierung der gesunkenen Profite. „Das | |
Erreichen des eigenen Renditeanspruchs und ein solider Cashflow haben dabei | |
absolute Priorität“, heißt es unmissverständlich im Geschäftsbericht. | |
Ein Investitionsplan sieht bis 2025 bis zu 70 Milliarden Euro für Forschung | |
und Entwicklung vor. Lediglich 1 Milliarde Euro soll in einen | |
Transformationsfonds fließen, um „eventuell kommende Brüche“ abzumildern. | |
„In Berlin soll der Fokus auf E-Mobilität und Digitalisierung liegen“, sagt | |
Daimler-Sprecherin Madeleine Herdlitschka. Dafür sollten Mitarbeitende | |
umgeschult werden. In Zukunft würden weniger Beschäftigte gebraucht. Um wie | |
viele Stellen es geht, sagt sie nicht. | |
Otto rechnet lediglich mit einer Rumpfbelegschaft von 500 bis 700 Leuten, | |
die das Management in den nächsten fünf Jahren erhalten wolle. „Das | |
Unternehmen plant, lediglich einen Digitalisierungshub am Standort | |
einzurichten“, sagt der Gewerkschafter. Er verlange hingegen umfassende | |
Mitbestimmungsrechte bei der Transformation des Werkes. | |
Die IG Metall scheint ihre Rolle noch zu suchen. Der Vorstand in Frankfurt | |
am Main treibt die Debatte über die sozial-ökologische Transformation | |
voran, im November startete Otto eine Online-Umfrage in den Berliner | |
Betrieben. Doch nicht alle ArbeiterInnen tragen den Kurs der traditionellen | |
Industriegewerkschaft mit. „Lieber Jan, ich halte sehr viel von Dir, aber | |
bitte nicht auf den Greta-Zug aufspringen“, kommentiert eine Followerin. | |
## Vorbehalte gegenüber der Klimabewegung | |
Es gebe bei den Beschäftigten nach wie vor große Skepsis gegenüber der | |
Klimabewegung, sagt auch Max Schwenn von Fridays for Future, der bei der | |
Kundgebung der IG Metall im Dezember als Gastredner auftrat. Er sieht die | |
eigene Rolle kritisch. „Gerade zu Beginn der Bewegung haben wir in | |
öffentlichen Äußerungen verschlafen, dass der Kampf gegen den Klimawandel | |
nur gemeinsam mit den Beschäftigten möglich ist“, sagt er der taz. Auf der | |
Demonstration in Marienfelde klang das so: „Die Leute, die am | |
allerwenigsten für den Klimawandel können, sollen ihn jetzt nicht ausbaden | |
müssen.“ | |
Im Gespräch kämpft auch Otto für seinen Kurs: „Wir werden bei der | |
Transformation bei weitem nicht so viele Arbeitsplätze verlieren, wie | |
einige glauben.“ Inzwischen komme Bewegung in die Diskussion mit dem | |
Management, sagt der Gewerkschafter wenig später. Genaueres wisse man aber | |
erst im Laufe der nächsten Wochen. | |
*Die ArbeiterInnen möchten aus Sorge um ihre Jobs nicht mit ihren echten | |
Namen genannt werden | |
5 Jan 2021 | |
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Johannes Hub | |
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