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# taz.de -- Anwalt über Urteil zu Abgasmanipulation: „Thermofenster für ill…
> Diesel-Pkw mit unzulässig eingeschränkter Abgasminderung müssen
> zurückgerufen werden, fordert der Anwalt der Deutschen Umwelthilfe Remo
> Klinger.
Bild: Kommt der große Rückruf von VW Diesel-Fahrzeugen?
taz: Herr Klinger, muss VW nach dem Abgasurteil des EuGH von voriger Woche
nun Millionen von Diesel-PKW nachrüsten?
Remo Klinger: Davon bin ich als Anwalt der Deutschen Umwelthilfe überzeugt.
Anordnen kann dies aber nur das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg. Dort
wird [1][das EuGH-Urteil] leider noch anders interpretiert. Daher muss das
Amt wohl durch die Gerichte dazu gezwungen werden.
Was hat der EuGH konkret entschieden?
Die Abgasreduktion von Motoren darf nur abgeschaltet werden, um den Motor
vor „plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden“ zu schützen. Der Schut…
Verschmutzung und Versottung des Motors reiche nicht aus.
Und warum muss das Urteil zu einer Rückruf-Aktion bei so vielen PKW führen?
Weil in fast jedem VW-Diesel-Motor weiterhin unzulässige
Abschalteinrichtungen vorhanden sind. Sie sorgen dafür, dass die
Abgasreduktion nur bei warmem Wetter funktioniert – und abgeschaltet wird,
wenn es etwas kühler wird, also meistens. [2][Mit diesen so genannten
Thermofenstern sind die Abgasgrenzwerte von den Fahrzeugen natürlich nicht
einzuhalten].
Hat der EuGH explizit die Thermofenster für unzulässig erklärt?
Der EuGH musste über die Anfrage eines Gerichts aus Frankreich entscheiden.
Dort ging es um eine Abschalteinrichtung, die dafür sorgte, dass die
Abgasreduktion nur auf dem Prüfstand funktionierte, nicht aber im normalen
Fahrbetrieb. Die Antwort des EuGH ist aber universell und natürlich auch
auf Thermofenster anwendbar.
Welche Hersteller nutzen Thermofenster?
Wir gehen davon aus, dass alle Diesel-Hersteller solche Thermofenster
nutzen.
Was sagt das Kraftfahrt-Bundesamt zu den Thermofenstern?
Das Kraftfahrt-Bundesamt übernimmt – wie meistens – die Argumentation der
Autoindustrie. Das Amt hält Thermofenster immer noch für zulässig, weil ein
Motor, der zunehmend versottet, irgendwann auch akut geschädigt werde. Das
hat der EuGH aber sicher nicht gemeint. Denn dann würden die
Abgasvorschriften ja weiter leerlaufen.
Gegen die Betrugssoftware von VW, die dafür sorgte, dass die Abgasreduktion
nur auf dem Prüfstand funktioniert, ist das Kraftfahrt-Bundesamt aber
vorgegangen.
Das stimmt. Das Amt hat im Herbst 2015 angeordnet, dass VW seine
Diesel-Motoren in einen rechtmäßigen Zustand versetzen muss, weil sonst die
Typengenehmigung widerrufen werde. Darauf hat der VW-Konzern für 80
verschiedene Fahrzeug-Typen Software-Lösungen entwickelt, die das
Kraftfahrt-Bundesamt jeweils freigegeben hat. In diesen Freigabebescheiden
hat das Amt allerdings ausdrücklich anerkannt, dass noch weitere
Abschalteinrichtungen in den Motoren verbaut sind, die zulässig seien.
Und was ist seitdem passiert?
Die DUH hat beim Verwaltungsgericht Schleswig gegen die 80
Freigabebescheide für VW geklagt, ebenso gegen 28 Freigabebescheide für
Daimler und zu mehreren Modellen bei Opel. Leider müssen wir in den
Prozessen erst noch eine Grundsatzfrage klären.
Welche?
Es ist noch umstritten, ob die DUH in dieser Konstellation überhaupt klagen
darf. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz sieht vor, dass Umweltverbände nicht
gegen die Typengenehmigung von Autos klagen können. Das hat
Verkehrsminister Scheuer 2017 durchgesetzt. Wir gehen aber davon aus, dass
sich [3][die Klagebefugnis der DUH aus europäischem und internationalem
Recht ergibt – der so genannten Aarhus-Konvention].
Wer entscheidet darüber?
Das VG Schleswig hat Ende 2019 einen Musterfall dem EuGH zur Klärung
vorgelegt. Ich bin sicher, dass der EuGH bald in unserem Sinne entscheiden
wird. Und dann wird wohl auch das VG Schleswig die Thermofenster für
illegal erklären.
Und dann kommt der große Rückruf?
VW wird sicher erstmal durch die Instanzen gehen, bis zum
Bundesverwaltungsgericht. Aber dann muss das Kraftfahrt-Bundesamt die
Nachrüstung aller Diesel-PKW anordnen.
Können Dieselkäufer dann auch Schadensersatz verlangen?
Das steht auf einem anderen Blatt. Der Bundesgerichtshof hat zwar im Mai
2020 entschieden, dass VW viele Dieselkäufer „vorsätzlich sittenwidrig“
geschädigt hat und deshalb schadenersatzpflichtig ist. Das bezog sich aber
auf die Prüfstand-Software. Vieles spricht dafür, dass dies auf die
Thermofenster zu übertragen ist.
24 Dec 2020
## LINKS
[1] /Selbstabschaltende-Diesel-Software/!5739739
[2] /Studie-der-Deutschen-Umwelthilfe/!5498087
[3] http://www.aarhus-konvention.de/
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
DUH
Dieselskandal
EuGH
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Schwerpunkt Klimawandel
Haftbedingungen
Dieselskandal
Lkw
Verkehrswende
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