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# taz.de -- Volksentscheid Berlin autofrei: Die Auto-Korrektur
> Der Volksentscheid Berlin autofrei will die Innenstadt von Autos
> befreien. Vorgesehen sind Ausnahmeregelungen und eine lange
> Übergangszeit.
Bild: Berlin noch nicht autofrei
Berlin taz | Es ist eine große, geradezu radikale Idee: eine Berliner
Innenstadt ohne Autos. Bislang eher ein Gedankenspiel, wird die Forderung
nun konkret. Am Mittwoch ist der [1][Volksentscheid Berlin autofrei] mit
einer Pressekonferenz im derzeit [2][autobefreiten Teil der
Friedrichstraße] an die Öffentlichkeit getreten. Die Vision: Ab Mitte der
2020er Jahre werden die Autos aus dem Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings
größtenteils verdrängt sein, Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und der
öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) genießen Vorrang.
Dass es aber nicht ganz ohne motorisierten Verkehr gehen wird, zeigte sich
dabei zum Auftakt des Pressegesprächs. Während die Moderatorin den
Ermöglichern der temporär autofreien Friedrichstraße dankt, brettert ein
Lkw über die Fahrradspuren.
Die kurze Irritation ist sinnbildlich für den schwierigen Weg, den die
Initiative vor sich hat, aber auch Ausdruck davon, dass es tatsächlich um
eine „autoreduzierte Innenstadt“ gehen soll. Verkehr zu öffentlichen
Zwecken, etwa für Rettungsdienste, Müllabfuhr und Wirtschaftsverkehr oder
für Menschen mit Beeinträchtigungen soll es weiterhin geben.
Berlin autofrei, das nächsten Frühjahr mit der Unterschriftensammlung für
die erste Stufe des Volksbegehrens starten möchte, geht es nach
Kampagnensprecherin Anne Gläser um eine „echte Verkehrswende“ und eine
„höhere Lebensqualität“. Ihre Botschaft: „Eine autofreie Stadt sorgt f�…
Klimaschutz, Gesundheit, Sicherheit im Straßenverkehr und mehr Platz für
alle.“
## Umwidmung von Straßen
Um zu diesem Ziel zu gelangen, haben die Initiatoren, eine unabhängige
Gruppe von im Kern 20 Aktivist*innen, seit einem Jahr an einem
Gesetzentwurf gearbeitet, der bis Dezember fertiggestellt und dann an den
Senat zur Kostenschätzung gegeben werden soll. Kernpunkte des Gesetzes sind
die Umwidmung der Straßen und die Beschränkung ihrer Nutzung auf den
Gemeingebrauch des Umweltverbundes, also Fuß-, Rad- und öffentlicher
Personennahverkehr. Die Nutzung durch Autos bedarf grundsätzlich einer
Sondererlaubnis.
Initiativen-Anwalt Paul Friedl zeigte sich zuversichtlich, dass der
erarbeitete Entwurf „verfassungskonform“ sei. Risiken bestünden dennoch, da
es sich um rechtliches Neuland handele. Auch sei die Nutzungsbeschränkung
für Autos von Anwohner*innen innerhalb des Rings eine Einschränkung des
Eigentumsrechts nach Grundgesetzartikel 14. Die Gründe dafür seien jedoch
„von übergeordnetem Interesse“ und daher verhältnismäßig. Auch die lange
Übergangszeit – erst vier Jahre nach einem möglichen erfolgreichen
Volksentscheid 2023 sollen die Autos verbannt werden – und
Härtefallregelungen für bestimmte notwendige Autofahrten sollen das Gesetz
rechtssicher machen.
Weitergehende Forderungen will Berlin autofrei nicht per Gesetz
durchsetzen, sondern öffentlich bewerben. Dazu gehöre laut Sprecher Ludwig
Lindner der Ausbau des ÖPNV, der zudem günstiger, langfristig auch
kostenfrei werden soll, Tempo 30 auf allen Straßen, flächendeckende
Parkraumbewirtschaftung am Rande des Rings und die Herabstufung aller
Bundes- zu Landesstraßen. Frei werdende Flächen aufgrund wegfallender
Parkplätze und -häuser oder Tankstellen sollen nicht privatisiert werden
dürfen – auch, um möglichen Gentrifizierungstendenzen in der dann
lebenswerteren Stadt entgegenzutreten.
## Keine Partner, viele Sympathisanten
Trotz der ambitionierten Ziele probiert es die Initiative aus
Privatpersonen zunächst ohne bekannte Kampagnenpartner der
Verkehrswendelobby. Laut Lindner habe es aber bereits Gespräche mit
bestehenden Organisationen gegeben, die derzeit fortgesetzt würden.
[3][Heinrich Strößenreuther], Initiator des [4][Volksentscheids Fahrrad],
sagte auf Anfrage der taz, er habe erst vor wenigen Tagen von den Plänen
gehört: „Ich bin völlig überrascht, aber freue mich sehr.“
Nach dem Fahrrad-Volksentscheid sei dies „der logische nächste Schritt“.
Dass etwa BUND, Changing Cities oder der ADFC noch nicht mit im Boot sind,
bezeichnet Strößenreuther als „strategisch schlau“, da ohne angestammte
Verbände „schneller agiert“ werden könne. Er gehe davon aus, dass sich mit
einem „guten Aufschlag“ viele neue Mitstreiter gewinnen ließen.
Um positive Rückmeldungen waren am Mittwoch Grüne und Linke bemüht.
Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek und der verkehrspolitische Sprecher der
Grünen Harald Moritz teilten mit: Der geplante Volksentscheid zeige, „dass
die Verkehrswende eine soziale Frage ist, die die Menschen bewegt“. Sie
teilten das „Bedürfnis nach mehr Verkehrssicherheit, saubererer Luft und
mehr Platz im öffentlichem Raum, der nicht von Autos blockiert wird“.
Michael Efler, Sprecher für Energie- und Klimapolitik der Linken, schrieb
auf Twitter, das Vorhaben sei „mutig und ambitioniert, gut durchdacht, mit
sinnvollen Ausnahmen“.
Aus der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hieß es: „Wir
haben den Umbau einer über viele Jahrzehnte auf den Autoverkehr
ausgerichteten Stadt bereits begonnen“ – etwa durch das
„[5][Mobilitätsgesetz], das ÖPNV, Rad- und Fußverkehr den Vorrang gibt“.
Eine Bewertung der Initiative sei ohne einen vorliegenden Entwurf noch
nicht möglich. Gleichwohl hieß es: „Das Vorhaben einer weitgehend
autofreien Innenstadt ist juristisch hochkomplex und bedarf für eine
Bewertung einer gründlichen Prüfung.“
21 Oct 2020
## LINKS
[1] http://volksentscheid-berlin-autofrei.de
[2] /Berliner-Friedrichstrasse-autofrei/!5707204
[3] /Deutschlands-erfolgreichster-Radaktivist/!5512283
[4] /Berliner-Radgesetz-wird-verabschiedet/!5512281
[5] /Berlin-sucht-die-Mobilitaetswende/!5668404
## AUTOREN
Erik Peter
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