# taz.de -- Neubaupläne für Mühlendammbrücke: Brückenbauer gesucht | |
> Die Fronten zwischen der grünen Verkehrsverwaltung und dem SPD-Stadtrat | |
> in Mitte sind verhärtet. Infoveranstaltung zum Neubau der | |
> Mühlendammbrücke. | |
Bild: Nicht so schön: die achtspurige Mühlendammbrücke in der Nähe des Alex… | |
BERLIN taz | Ein grüner Staatssekretär und sein Abteilungsleiter, die sich | |
für den Bau einer breiten Brücke mitten in Berlin stark machen, mit viel | |
Platz für Autos. Und ein SPD-Stadtrat, der „Fridays for Future“ bemüht, um | |
für eine deutlich schmalere Version derselben Brücke mit weniger Platz für | |
Autos zu werben. Dieses ungewohnte, aber auch nicht mehr ganz neue Szenario | |
ließ sich am Montagabend live auf dem Youtube-Kanal der Senatsverwaltung | |
für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz betrachten – zusammen mit | |
Mobilitäts-AktivistInnen und AnwohnerInnen, die sich im Chat klar auf die | |
Seite des SPD-Manns schlugen. | |
Das Bauwerk, um das es geht, ist die knapp 120 Meter lange und 45 Meter | |
breite Mühlendammbrücke, die zwischen Nikolaiviertel und Fischerinsel über | |
die Spree führt. Der Staatssekretär ist Ingmar Streese, im Hause von | |
Senatorin Regine Günther (Grüne) für Verkehr zuständig. Mit seinem | |
Tiefbau-Abteilungsleiter Lutz Adam verteidigt er bei der „Digitalen | |
Bürgerveranstaltung“ den Beschluss, einen nur unwesentlich schlankeren | |
Ersatzneubau für die 1968 fertiggestellte, autobahnbreite Brücke zu | |
errichten. Nach Fertigstellung sollen an jedem Werktag rund 63.000 Autos | |
darüberrollen. | |
Für Ephraim Gothe, Sozialdemokrat und in Mitte für Stadtentwicklung | |
zuständiger Stadtrat, ist das ein Unding. Er opponiert schon seit einiger | |
Zeit gegen diese Planung, für die in Kürze ein Realisisierungwettbewerb | |
ausgelobt werden soll. Viele Initiativen und Vereine wie Changing Cities | |
oder die Interessengemeinschaft (IG) Leipziger Straße stehen dabei hinter | |
ihm. Auch bei der Aussprache am Montagabend, die aus der | |
Stadtmodell-Dauerausstellung im Untergeschoss der Verkehrsverwaltung | |
übertragen und von rund 170 Interessierten im Netz verfolgt wird, greift | |
Gothe den Staatssekretär frontal an. | |
Gothe kritisiert, dass es sich bei dem Termin um die erste und gleichzeitig | |
letzte Informationsveranstaltung in Sachen Mühlendammbrücke handele. Er | |
bemängelt, dass der historische Kontext vernachlässigt werde. Dass gar | |
nicht mehr die Rede davon sei, Hauptverkehrs-Straßenzüge aus dem Zentrum zu | |
verbannen, wie es der vom CDU-Mann Volker Hassemer vorgelegte erste | |
Flächennutzungsplan nach dem Mauerfall noch vorsah. Dass es später die SPD | |
gewesen sei, die die Brücke deutlich schmaler machen wollte, was nun aber | |
die CDU verhindert habe, die den Verkehr fließen lassen wollte. Dass im bis | |
heute gültigen Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr von 2011 die Brücke nur | |
noch für 40.000 bis 50.000 Autos vorgesehen ist. | |
## Bestand der Autos reduzieren | |
Und dann erinnert Gothe an eine Studie, die das Wuppertal Institut im | |
Auftrag von Fridays for Future erstellt hat: Damit Berlin seine | |
selbstgesteckten Klimaziele beim Verkehr erreichen könne, müsse der Bestand | |
an Autos bis 2035 auf ein Drittel reduziert werden. „Die Fertigstellung der | |
neuen Mühlendammbrücke ist für 2030 geplant. Für fünf Jahre baue ich doch | |
keine breite Autobrücke!“ Ganz ohne Pkws und Lastwagen gehe es nicht, so | |
Gothe, aber: „Der Durchgangs- und der Pendlerverkehr müssen raus.“ | |
In Paris sei man viel weiter: Dort wolle man den Autoverkehr auf den | |
Champs-Elysées massiv reduzieren. Für die Berliner Mitte aber gebe es nicht | |
einmal ein klares Mobilitätskonzept. Dabei sei es „total wichtig“, was in | |
einem größeren Raum passiere, Unter den Linden, auf der Liebknecht- oder | |
der Friedrichtraße, wo gerade eine autofreie Zone erprobt werde. „Da kann | |
man doch nicht einfach sagen, in zehn Jahren haben wir immer noch 60.000 | |
Autos“, erregt sich Gothe, „wann kommt denn das versprochene Jerusalem?“ | |
Hört man dagegen Ingmar Streese zu, klingen die aktuellen Pläne eigentlich | |
ganz grün: „Wir wollen die Brücke jetzt zukunftsfest machen, damit sie eine | |
neue Rolle in der Stadt erhält“, so der Staatssekretär. Das bedeute, dass | |
es künftig statt drei bis vier Spuren pro Richtung für den „MIV“ | |
(Motorisierten Individualverkehr) nur noch zwei geben werde. Dadurch und | |
durch die Tram, die künftig vom Alex über die Mühlendammbrücke zur | |
Leipziger Straße und zum Potsdamer Platz rolle, werde die anfänglich von | |
Bussen und Fahrrädern gemeinsam genutzte Spur zur „Protected Bike Lane“, | |
der MIV-Anteil sinke dann von 60 auf rund 30 Prozent. | |
Die neue Brücke werde auch „ganz anders aussehen“, mit „Pagoden, Kiosken | |
und Grün“ und einem ungehinderten Blick auf die Spree. „Nicht erlauben“ | |
könne man sich eine Umplanung mit deutlich verringerter Breite. Dazu darf | |
Tiefbau-Leiter Adam noch einmal darlegen, wie marode das Spannbetonbauwerk | |
ist, und dass man auf keinen Fall riskiere, dass es wegen etwaiger Risse | |
plötzlich gänzlich oder teilweise gesperrt werden müsse wie die Treptower | |
Elsenbrücke. Es handele sich, so Streese, nun mal um einen Teil der | |
Bundesstraße B1, nach Bundesfernstraßengesetz werde dann ein neues | |
Planfeststellungsverfahren fällig, und das könne dauern. | |
## Weil die Stadt stärker wachse | |
Niedrigere Verkehrsprognosen wie die von Gothe genannten seien längst | |
obsolet: weil die Stadt stärker wachse, und weil man damals noch den | |
Weiterbau der A100 bis nach Friedrichshain geplant habe. Dadurch wäre | |
Verkehr aus dem Zentrum abgeflossen. Dieses Argument wird auch von einer | |
oder zwei Stimmen im Chat vertreten. Im Übrigen dominiert hier klar die | |
Gothe-Fankurve. „Wieso werden Anwohner, Initiativen, Experten und ganzen | |
Bewegungen (FFF) nicht oder nur wenig beachtet? Wieso plant man im Jahr | |
2020 immer noch für den Autoverkehr und nicht für die Menschen?“, heißt es | |
da, oder: „‚Bussonderfahrstreifen mit Radverkehr‘ ist Mist.“ | |
Stefan Lehmkühler von Changing Cities zieht in Zweifel, dass die Protected | |
Bike Lane überhaupt in absehbarer Zeit realisiert wird. Schließlich werde | |
nur die Buslinie 200 durch die Tram ersetzt, die Linie 248 fahre nach | |
aktuellem Stand auch dann noch auf der Brücke. | |
Dass sich an der Auslobung des Wettbewerbs noch irgendetwas ändern könnte, | |
zeichnet sich am Ende der Veranstaltung nicht ab. Immerhin verspricht der | |
Staatssekretär, man „nehme Kritik und Anregungen aus diesem spannenden | |
Dialog mit“ und überlege, in den kommenden Monaten noch eine weitere | |
Veranstaltung nachzuschieben. | |
Hendrik Blaukat von der IG Leipziger Straße, der auch einen fünfminütigen | |
Redebeitrag bekommen hat, dürfte das nicht reichen: „Für uns ist das hier | |
nur das Auftaktgespräch einer Bürgerbeteiligung“, hat er kurz zuvor gesagt. | |
„Es gibt hier 18 Initiativen, die sind alle gesprächsbereit.“ | |
10 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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