# taz.de -- Volksentscheid „Berlin autofrei“: Autos sollen frei bekommen | |
> Die Initiative „Berlin autofrei“ hat dem Senat ihren Gesetzentwurf | |
> vorgelegt. Zu einem Volksentscheid käme es erst 2023. | |
Bild: Erprobt wird die Autofreiheit bereits in der Friedrichstraße | |
In den letzten Wochen hatte sie schon fleißig in der Stadt plakatiert, am | |
Mittwoch dann reichte die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ ihren | |
Gesetzentwurf bei der Senatsverwaltung für Inneres zur Kostenschätzung ein. | |
Zum Gesetzestext von 10 Seiten kommen knapp 40 Seiten Begründung. Auch die | |
Allgemeinheit ist eingeladen, [1][das Dokument im Internet zu studieren], | |
an dem laut „Berlin autofrei“ ein Team von JuristInnen ein Jahr lang | |
getüftelt hat. | |
Die Verwaltung von Andreas Geisel (SPD) hat nun zwei Monate Zeit, eine | |
amtliche Kostenschätzung abzugeben. „Berlin autofrei“ selbst beziffert die | |
jährlichen Kosten des Gesetzes für die Verwaltung mit 5 Millionen Euro, | |
gleichzeitig spare das Land jährlich rund 425 Millionen Euro ein – unter | |
anderem durch geringere Kosten bei „Straßenbau und -unterhaltung, Unfällen, | |
Klimawandel, Luftschadstoff- und Lärmimmissionen, Natur- und | |
Landschaftszerstörung“. | |
Die Initiative stellte am Donnerstag ihr Projekt noch einmal vor. Der Senat | |
habe „kein sinnvolles Konzept für eine zukunftsweisende und gerechte | |
Verkehrswende“, kritisierte Sprecher Manuel Wiemann, „E-Busse und ein paar | |
Kilometer Radweg in fünf Jahren reichen nicht aus“. Es seien zu viele Autos | |
auf der Straße, Reifenabrieb verschmutze die Luft, sie belegten viel zu | |
viel Platz und gefährdeten Menschenleben, „egal ob Elektro oder Diesel“. | |
„Unser Gesetz verbessert die Lebensqualität aller Berlinerinnen und | |
Berliner“, sagte Sprecherin Nina Noblé. „Wir möchten, dass die Menschen b… | |
offenem Fenster schlafen können und Kinder wieder auf der Straße spielen. | |
Oft sind gerade Kinder und Senior*innen durch Autos gefährdet.“ | |
Wirklich „autofrei“ würde Berlin aber auch mit dem Gesetz nicht, räumte d… | |
Initiative ein. Sie hat ihren Entwurf „Berliner Gesetz für | |
gemeinwohlorientierte Straßennutzung“ genannt. Grob gesagt – aber eben nur | |
grob – verbannt es private Kfz aus der Umweltzone, also dem S-Bahn-Ring. | |
Für Busse, Taxen, Rettungswagen, Polizeiautos, Liefer- und Lastwagen, aber | |
etwa auch Sharing-Autos gälte das nicht. | |
Eigentlich scheint das ein Ding der Unmöglichkeit, denn die | |
Straßenverkehrsordnung ist Bundesrecht. Der Kniff der Initiative: Sie nutzt | |
das Straßenrecht, nicht das Straßenverkehrsrecht: Ihr Gesetz wandelt alle | |
Straßen unter Verwaltung des Landes nach vier Jahren Übergangszeit in | |
„autoreduzierte Straßen“ um. Für die Bundesstraßen in Berlins Zentrum g�… | |
das nicht. Auch gibt es viele Ausnahmen für private FahrerInnen wie etwa | |
Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder HandwerkerInnen, die nachweisen | |
können, dass sie eine schwere Ausrüstung mitführen müssen. | |
Neben einer allgemeinen Sondererlaubnis soll aber auch eine begrenzte Zahl | |
privater Nutzungen möglich sein, sei es, um eine Kommode von A nach B zu | |
bringen oder um mit der Familie an die Ostsee zu fahren. | |
Zwölf solche Slots hätte jedeR im Jahr, in einem späteren Stadium nur noch | |
sechs. Der Verwaltungsaufwand soll gering gehalten werden, indem die | |
Berechtigung in diesen Fällen nur nach Aufforderung nachzuweisen ist. | |
Regelverletzungen sollen drakonisch geahndet werden, mit Geldbußen bis zu | |
100.000 Euro. | |
Es gibt aber noch mehr potenzielle Schlupflöcher: So gibt es eine | |
Härtefallregelung, wenn Berufstätige aufgrund später Arbeitszeiten deutlich | |
länger als üblich mit dem ÖPNV bräuchten, oder „wenn ohne die Nutzung ein… | |
Kraftfahrzeugs den spezifischen Schutz- und Sicherheitsbedürfnissen | |
insbesondere zu Nachtzeiten einer von Diskriminierung betroffenen Person im | |
öffentlichen Raum nicht entsprochen werden kann“. Die Initiative erläuterte | |
das am Beispiel einer Frau, die sich nachts in der S-Bahn unsicher fühle. | |
Liegt die amtliche Kostenschätzung vor, will die Initiative bis Juni 20.000 | |
Unterschriften für den Antrag auf ein Volksbegehren sammeln. Die | |
Unterschriftensammlung für das Begehren selbst fände erst von Juli bis | |
Oktober 2022 statt, nach rechtlicher Prüfung des Textes durch den Senat und | |
seine Behandlung im Abgeordnetenhaus. Zum Volksentscheid käme es wohl | |
Anfang 2023. | |
In einer ersten Reaktion versuchten die Grünen, die Initiative zu loben, | |
ohne die eigene Verkehrspolitik zu kritisieren: „Das Volksbegehren „Berlin | |
autofrei“ verdeutlicht einmal mehr, wie frustriert viele Berliner*innen | |
von der Bevorzugung des Pkw-Verkehrs sind“, so Landesvorsitzender Werner | |
Graf. Die Initiative sei „Rückenwind für uns, um die Verkehrswende weiter | |
konsequent umzusetzen“. | |
18 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://volksentscheid-berlin-autofrei.de/wie.php?lang=de | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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