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# taz.de -- Hausprojekt Liebig 34 in Berlin: Applaus für die Geräumten
> Das linksradikale Hausprojekt Liebig 34 ist geräumt, Bewohner*innen
> winken beim Gehen. Im Umfeld gab es Rangeleien und Brandstiftungen.
Bild: 9. Oktober 2020: Demonstrierende vor der Liebig 34 am Tag der Räumung
Berlin taz | 24 Stunden nach [1][Errichtung der Roten Zone] im Nordkiez des
Berliner Stadtteils Friedrichshain ist das autonome Hausprojekt [2][Liebig
34] geräumt worden. Polizeibeamte hatten zunächst vor dem Haus ein Gerüst
aufgebaut, von dem aus gegen 7.20 Uhr ein Fenster eingeschlagen wurde.
Stahlstäbe, mit denen es vergittert war, wurden aufgeflext. Im Inneren
stießen sie offenbar auf weitere Hindernisse.
Später fuhr die Polizei einen Leiterwagen vor. Erste Bewohner*innen wurden
über das Fenster im ersten Stock aus dem Haus geholt. Erst nach zwei
Stunden war die Polizei so weit, dass sie Personen auch durch den
Hauseingang rausführen konnte. Offenbar war das Treppenhaus stark
verbarrikadiert gewesen. Aus dem Haus war stundenlang der Einsatz von
Flexgeräten zu hören. Auch Äxte kamen zum Einsatz. Laut Polizei mussten
unter anderem ausgelegte Balken weggeräumt werden. Auch Mauerreste und
Beton seien aufgetürmt worden.
Bis 10 Uhr wurden rund 20 Personen aus dem anarcha-queer-feministischen
Hausprojekt geführt. Die Räumung lief offenbar weitgehend friedlich. Einige
der Geräumten winkten beim Rausgehen den Unterstützer*innen in den
gegenüberliegenden Häusern zu. Eine Person mit regenbogenfarbenen
Strickmütze ließ sich mit stolzer Haltung von zwei Beamten abführen. Andere
wurden mit auf den Rücken gedrehten Armen weggebracht oder die gesamte
Liebiegstraße hochgetragen. Anwohnende und Demonstrant*innen begleiteten
sie mit Applaus.
Aus dem Haus [3][war nach Beginn der Räumung noch getwittert worden, „es
ist noch nicht vorbei. Das Haus ist noch voller Widerstand“]. Die Polizei
[4][meldete wenig später, sie habe Zugang zum Haus und begehe nun Etage für
Etage.] Laut Polizei wurden die Abgeführten überprüft, aber nicht
festgenommen. Es sei noch unklar, ob Ermittlungen etwa wegen
Hausfriedensbruchs eingeleitet werden.
Der Gerichtsvollzieher hatte sich für 7 Uhr angekündigt. Bis zu 5.000
Beamt*innen, darunter 19 Hundertschaften aus anderen Bundesländern, waren
einsatzbereit. Es war die wohl aufwendigste und heikelste Räumung in Berlin
seit 2011, als die gegenüberliegende Liebigstraße 14 geräumt wurde.
Parallel zur Räumung kam es in Sichtweite des Hausprojekts bei einer
Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmer*innen [5][zu
Auseinandersetzungen mit der Polizei]. Als ein am Boden liegender
Demonstrant von Polizisten getreten wurde, bildete sich eine Traube um die
Beamt*innen. Die Polizei ging mit harten Schlägen und Pfefferspray gegen
die Demonstrierenden vor; daraufhin flogen Flaschen und Steine.
Auch ein paar hundert Meter weiter an der Proskauer Straße kam es zu
Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und der Polizei. Die hier
eingesetzten Beamt*innen aus Bayern waren sich zunächst selbst nicht einig,
wie rabiat sie vorgehen sollen, [6][und diskutierten erst mal] – bevor sie
dann [7][doch die Leute Richtung Frankfurter Allee drängten]. Dort kam es
zu [8][weiteren Auseinandersetzungen]. Aus den relativ planlos
umherlaufenden Menschen hat sich eine lose Ansammlung gebildet.
Polizist:innen kesselten sie ein, [9][auch mit Hilfe von Hunden]. Die Leute
riefen: „Wo wart ihr [10][in Hanau]?“
Im Laufe des Vormittags machte sich unter den Räumungsgegner*innen spürbar
Frustration breit. Immer wieder wurden sie ohne erkennbaren Grund von der
Polizei zurückgedrängt. Die Beamt*innen waren zahlenmäßig weit überlegen,
behelmte Trupps griffen immer wieder einzelne Personen aus der Menge der
Demonstrierenden. Kurzzeitig gelang es einem knappem Dutzend, die Kreuzung
am Frankfurter Tor zu blockieren, aber auch hier dauerte es nicht lange,
bis die Polizei die Situation im Griff hatte.
Aus einem Haus gegenüber die Liebig 34 spielten derweil Anwohner einen
[11][Klassiker von Ton Steine Scherben]. „Der Traum ist aus. Aber ich werd
alles geben, dass er Wirklichkeit wird“, war zu hören, während auf der
Straße einige Polizisten schon wieder ihre Helme abgesetzt hatten. Die
Nachbarn legen nach und spielen [12][“Polizisten“ von Extrabreit]. „Tag u…
Nacht wird sie bei dir sein“. Wenigstens das Musikprogramm stimmt an diesem
Tag.
## Proteste seit dem frühen Morgen
Bereits seit dem frühen Morgen hatte es Kundgebungen gegen die Räumung
gegeben. In Sichtweite der Liebig 34 hatten sich gegen 5 Uhr ein paar
hundert Menschen auf der Rigaer Straße versammelt. Aus dem Hausprojekt
erklärte eine Frauenstimme per Megafon: „Wir sind nicht das Problem. Das
Problem heißt Kapitalismus.“ Als die Polizei in die Menge ging und zwei
Personen rausnahm, flogen die ersten Flaschen. Kurz darauf hatte sich die
Situation aber wieder beruhigt.
Weiter östlich in der Rigaer stieg Feuerwerk in den Himmel, während im
hermetisch abgeriegelten Bereich vor der Liebig 34 nur Polizei zu sehen –
und andauerndes Topfschlagen von Anwohnenden zu hören war. Insgesamt ist
der Protest nach Einschätzung der taz relativ gering, es dürften am Morgen
kaum mehr als 1.000 Menschen unterwegs gewesen sein.
Auch eine Fahrraddemo mit etwa 70 Personen radelte durch den Kiez, die
Polizei fuhr hinterher. Auf der Frankfurter Allee splitteten sich die
Fahrradfahrer:innen auf. Es gab Tumult, einige Menschen fielen von ihren
Rädern. Etwa zwölf Personen wurden von Polizist*innen durchsucht und
festgehalten, die anderen fuhren mit ihren Rädern weiter.
Im südlichen Teil Friedrichshains zogen gegen 6 Uhr kleinere Gruppen
Vermummter durch den Kiez, das Blaulicht der Polizei war allgegenwärtig. An
der Wühlischstraße brannten [13][ein Mercedes] und mehrere Mülltonnen.
Polizist*innen sicherten die Stelle, konnten aber nur zugucken, wie sich
die Flammen ausbreiteten. Ein Anwohner mit leerem Feuerlöscher stand
entgeistert daneben und fragte: „Wollen die das nicht mal ausmachen?“
Schließlich traf die Feuerwehr ein und löschte den Brand. Derweil wurden an
mehreren Stellen in der Umgebung des Hauses [14][kleinere Barrikaden
errichtet].
Die Polizei berichtete [15][von mehreren Bränden im Stadtgebiet]. Zur
Löschung sei der [16][Einsatz von Wasserwerfern freigegeben].
Die Polizei war am Morgen noch [17][zu der Erkenntnis gekommen: „Es wirkt
zunächst nicht so, als wolle man das Objekt bereitwillig übergeben.“] Über
dem Kiez kreiste kurzzeitig ein Hubschrauber. Das Haus selbst wurde schon
die ganze Nacht über von Scheinwerfern angestrahlt. Davor hatte die Polizei
[18][einen Räumpanzer, einen Bagger und einen Leiterwagen postiert].
Canan Bayram, die grüne Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises
Friedrichshain-Kreuzberg, hatte nach einem ersten Rundgang am Morgen den
Eindruck, dass der Kiez belagert sei. „Ich wundere mich, dass so ein
Polizeieinsatz [19][unter Covid-19-Bedingungen] stattfindet“, sagte Bayram
der taz. Das Robert-Koch-Institut meldete am Morgen mehr als 4.500
Neuinfizierte bundesweit, ein neuer Rekordwert. Bayram fürchtet, durch
diesen Einsatz gehe bei vielen Wähler*innen das Vertrauen verloren, dass
sich unter einem rot-rot-grünen Senat in Berlin etwas grundlegend ändere.
Damit die Polizei zumindest von außen ungestört in das Haus eindringen
kann, waren die Liebigstraße und ein Teil der Rigaer Straße bereits seit
Donnerstag [20][zur Verbotszone erklärt worden], die nur noch Anwohnende
passieren dürfen. Schule und Kitas in der Nachbarschaft bleiben am Freitag
geschlossen. Schon den ganzen Donnerstag war die Stimmung im Kiez
gespenstisch: In menschenleeren Straßen fuhren Wannen Patrouille, auf den
[21][Dächern der umliegenden Häuser und der Liebig 34 selbst postierten
sich Polizist*innen]. Sie spannten dort teilweise Nato-Draht. Aus dem
bunten Altbau Liebig 34 dröhnten derweil Geräusche von Akkuschraubern und
Hämmern.
Vor allem im gegenüberliegenden Hausprojekt Liebigstraße 15 gingen die
Beamten auch am Freitagmorgen ein und aus, um auf das Dach zu gelangen. Die
irritierten Bewohner*innen des Projekts, das einer Genossenschaft gehört,
hatten den Eindruck, dass ihr Dachboden zur Kommandozentrale umfunktioniert
worden sei.
## Keine Chance vor Gericht
Im juristischen Ringen um die Räumung hatten die Bewohner*innen der Liebig
34 am Donnerstag eine weitere Niederlage erlitten. Das Kammergericht wies
den Antrag, die Vollstreckung des Räumungsurteils vorerst auszusetzen,
zurück.
Nachdem Ende 2018 ein zehnjähriger Pachtvertrag ausgelaufen war, hatte der
Hauseigentümer, der Berliner Immobilienspekulant Gijora Padovicz, auf
Räumung geklagt und Ende August [22][vor dem Landgericht Recht bekommen].
Laut der Liebig 34 und ihrer Anwälte ist der zur Herausgabe verurteilte
Verein Raduga e.V. gar nicht mehr im Besitz der Räume, sondern der
ehemalige Untermieterverein Mittendrin e.V. – gegen diesen erging jedoch
kein Räumungstitel.
Als die Räumung schon im Gange war und die Polizisten versuchten in das
Haus einzudringen, wartete Lukas Theune, Anwalt des Vereins Mittendrin
e.V., der aktuell im Besitz der Räumlichkeiten ist, immer noch an der
Polizeiabsperrung in der nördlichen Liebigstraße. Seit 20 Minuten werde
geprüft, ob er hineindarf, sagte Theune der taz. Ein Einwirken auf den
Gerichtsvollzieher, der einen Räumungstitel gegen den Verein Raduga e. V.
hat, werde dadurch verunmöglicht.
Die Liebig 34 gilt in linksradikalen, anarchistischen und
queerfeministischen Kreisen als Symbol und hat die Szene weit über Berlin
hinaus mobilisiert. Kritisiert wird, dass ein einzigartiger Schutzraum
wegfällt, die etwa 40 Bewohner*innen mitten in der Pandemie auf die Straße
gesetzt werden und mit die Gentrifizierung der Nachbarschaft ohne das
widerständige Projekt noch schneller voranschreiten wird. Die Linke Berlin
hatte sich mit den Projekt solidarisch erklärt, auch die Grünen im Bezirk.
Eine politische Lösung jedoch wurde nicht versucht zu erzwingen und
scheiterte am Unwillen des Eigentümers.
Mitarbeit: Jonas Wahmkow, Christina Gutsmiedl.
8 Oct 2020
## LINKS
[1] /Raeumung-in-Berlin-Friedrichshain/!5719013
[2] /Hausprojekt-in-Berlin-Friedrichshain/!5716120
[3] https://twitter.com/liebig34bleibt/status/1314446904999194625
[4] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1314450223348015104
[5] https://twitter.com/abbaszahid24/status/1314449019758837760
[6] https://twitter.com/cri_mearivah/status/1314461236361297920
[7] https://twitter.com/cri_mearivah/status/1314464123346980864
[8] https://twitter.com/cri_mearivah/status/1314467723099996161
[9] https://twitter.com/cri_mearivah/status/1314473874331967488
[10] /Hanau-Opfer-in-Berlin/!5716314
[11] https://youtu.be/a1vgwHZj0xQ
[12] https://youtu.be/b5ekGLc-2Ao
[13] https://twitter.com/JonasWkw/status/1314417603620864000
[14] https://twitter.com/retep_kire/status/1314421126983016448
[15] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1314421673739902976
[16] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1314422162858618880
[17] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1314409214396313600
[18] https://twitter.com/gereonas/status/1314422659644612608
[19] /Berlin-ist-Corona-Risikogebiet/!5719155
[20] https://twitter.com/PolizeiBerlin_E/status/1314108071501869056
[21] /Raeumung-in-Berlin-Friedrichshain/!5719013
[22] /Linkes-Hausprojekt-in-Berlin/!5710218
## AUTOREN
Erik Peter
Gereon Asmuth
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