# taz.de -- Pressefreiheit bei Räumung der Liebig 34: „Pressearbeit massiv b… | |
> Gewerkschafter Jörg Reichel kritisiert die Polizei für körperliche | |
> Angriffe auf Journalisten, die Rote Zone und die voyeuristische | |
> Hausführung. | |
Bild: Blickwinkel aus dem Pressebereich auf die Polizeiarbeit an der Liebig 34 | |
taz: Jörg Reichel, hat die Polizei die freie Berichterstattung über die | |
[1][Räumung der Liebig 34] am vergangenen Freitag gewährleistet? | |
Jörg Reichel: Nein. | |
Wieso? | |
Im Zusammenhang mit der sogenannte Roten Zone hat sie die Pressearbeit | |
massiv behindert. Durch die Sperrzone rings um die Liebig 34 hat sie keinen | |
freien Zugang gewährleistet, und zwar in Bereichen, die nicht unmittelbar | |
von der Räumung betroffen waren. Ich war zwei Tage vor Ort und musste immer | |
wieder intervenieren, damit Journalist*innen auch hinter den Polizeiketten | |
berichten können – was ihr Recht ist. Vielfach wurde der Status als | |
Journalist*in nicht anerkannt, auch aus Unkenntnis darüber, wie ein | |
Presseausweis aussieht. | |
Sie haben dokumentiert, wie Journalist*innen Opfer von Polizeigewalt | |
wurden. | |
Ich bin mehrfach Augenzeuge von Übergriffen gewesen und habe mit insgesamt | |
20 Kolleg*innen Kontakt gehabt, die von Polizist*innen körperlich | |
angegangen wurden, obwohl sie durch einen Presseausweis oder auch Kameras | |
offensichtlich zu erkennen waren. Dabei sind Beleidigungen oder Schubser | |
gar nicht mitgezählt. Zwar gibt sich die Pressestelle der Polizei | |
pressefreundlich, aber die Polizeihundertschaften im Einsatz prügeln und | |
knüppeln und machen dabei keinen Unterschied zwischen Demonstrant*innen und | |
Journalist*innen. | |
Von welchen Vorfällen sprechen wir? | |
Einem Fotografen wurde am späten Freitagmorgen so ins Gesicht geschlagen, | |
dass danach noch der Abdruck des Handschuhs sichtbar war. Andere Fotografen | |
haben Schlagstöcke gegen die Schienbeine bekommen. Auch habe ich ein Video | |
veröffentlicht, in dem ein Kollege über sich selbst gestolpert ist und | |
dabei seine Brille verloren hat. Ein Polizist kam dann dazu und ist mit | |
einem offensichtlichen Ausfallsschritt auf die Brille getreten. Dabei hat | |
er den Fuß noch so gedreht, als wolle er eine Zigarette austreten. Die | |
Polizei hat Ermittlungen mit dem Hinweis eingestellt, dass es sich um ein | |
Versehen gehandelt habe. | |
Warum passiert das? | |
Das ist eine Frage unzureichender Ausbildung und der Polizeikultur. Das | |
Gegenüber wird nur als Bedrohung und nicht als Pressevertreter*in | |
angesehen. Durch fehlende Schulungen gibt es kein Bewusstsein für die | |
Rechte von Journalist*innen. Für die Kolleg*innen, die über soziale und | |
Straßenproteste Bericht erstatten, bedeutet das eine Gefahr. Ich kenne | |
Journalist*innen, die aufgrund negativer Erfahrungen nicht mehr in die | |
erste Reihe gehen. | |
Was raten sie betroffenen Journalist*innen? | |
Sie sollen sich bei ihrer Gewerkschaft melden. Dann kann ein Vorfall | |
aufgearbeitet werden, auch mit der Pressestelle der Polizei. Wenn man sich | |
selbst beschwert oder Anzeige erstattet, gibt es die Gefahr von | |
Gegenanzeigen, etwa wegen Behinderung der Polizeiarbeit. Vor dem | |
Hintergrund des Rassismus- und Rechtsextremismusproblems innerhalb der | |
Polizei sollte man sich zudem gut überlegen, welche Daten man von sich | |
preisgibt. | |
Die Polizei hat nach der Räumung [2][Journalist*innen durch das Haus | |
geführt]. Was halten Sie davon? | |
Aus meiner Sicht ist das ein Verstoß gegen den Pressekodex und zwar sowohl | |
von der Polizei, die diesen redaktionellen Inhalt angeboten hat, als auch | |
von den Redaktionen, die das veröffentlichen. Die Polizei hat die | |
Berichterstattung aus dem Haus wesentlich geprägt, in dem sie festgelegt | |
hat, durch welche Räume es geht, während der Moderator – Pressesprecher – | |
live übers Internet kommentiert hat. Sie hat aber nicht nur den Eingang und | |
den Hof gezeigt, was in Ordnung gewesen wäre, sondern Wohnräume, die wenige | |
Stunden zuvor noch grundgesetzlich geschützt waren. In diesen Räumen, in | |
denen aus Polizeisicht Täter*innen, aus Sicht der Liebig34 Opfer gewohnt | |
haben, sind Persönlichkeitsrechte zu wahren. Das ist nicht passiert. | |
Stattdessen gab es eine voyeuristische Darstellung, eine | |
Sensationsberichterstattung, die mit dem eigentlichen Thema der | |
Zwangsräumung nichts zu tun hat. | |
Und die dann für viele zum eigentlichen Thema wurde. | |
Ja, Rechtsextreme und zum Teil auch das bürgerliche Milieu haben diesen | |
Rundgang und die dabei entstandenen Bilder zum Anlass genommen, ihre | |
Verachtung über soziale Bewegungen und linke Proteste zu äußern. | |
Der [3][SPD-Abgeordnete Tom Schreiber] hat Sie auf Twitter für ihre | |
„Aktivitäten“, also Ihre Begleitung der Tage, gerügt und den Verdi-Vorsta… | |
informiert. | |
Ich bewerte das als einen Angriff eines SPDlers gegen die Gewerkschaft und | |
gegen den Versuch, Pressefreiheit und Pressearbeit zu schützen. Dadurch | |
soll ein Rechtfertigungsdruck entstehen. Die Verdi-Pressestelle hat dieses | |
Doxing oder diese Denunziation des Abgeordneten gelesen. Man hat das | |
geprüft – und sich bei mir für meine Arbeit bedankt. Wenn man sich | |
Schreibers Twitter-Account anschaut, nimmt er sich – mit wenig Erfolg – | |
immer wieder Leute vor und reiht sich damit in eine Reihe mit Hetzaccounts | |
wie die des [4][Welt-Kolumnisten Don Alphonso] ein. | |
11 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Hausprojekt-Liebig-34-in-Berlin/!5719147 | |
[2] /Bilder-von-der-Liebigstrasse-34/!5719305 | |
[3] https://twitter.com/sebastiank/status/1314572724333940737?s=20 | |
[4] /Bedrohungen-ausgeloest-von-Welt-Autor/!5705120 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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