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# taz.de -- Bilder von der Liebigstraße 34: An der Grenze zur Pornografie
> Die Polizei präsentiert der Presse die geräumte Liebig 34 als
> „Drecksloch“. Ein ekelerregender Verstoß gegen das Recht auf
> Privatsphäre.
Bild: Polizist*innen vor dem geräumten Haus in Berlin-Friedrichshain
In der Nacht vor der Räumung stand ein Polizist oben auf dem Dach des
Hausprojekts Liebig 34. Breitbeinig, mit nach oben gereckten Armen posierte
er offenbar für die Kameras seiner Kollegen auf den Nachbardächern. Wenige
Stunden später wurden Beamte dabei beobachtet, wie sie Selfies vor dem
[1][da schon geräumten Haus machten]. Klar, gerade wenn es gegen ein
anarcha-queer-feministisches Projekt geht, mag es in der männlich
dominierten Polizei en vogue sein, zu demonstrieren, wer den Längsten hat.
Die Fotos dürften mittlerweile in den eingängigen Chatgruppen der Polizei
kursieren.
An die Öffentlichkeit aber gelangten ganz andere Bilder, auch diese mit
tatkräftiger Hilfe der Berliner Polizei. Deren Pressesprecher geleitete
eine Truppe von Journalist*innen durch das frisch geräumte Haus. Anfangs um
die Barrikaden aus Holz und Beton im Treppenhaus zu zeigen, die seine
Kolleg*innn aufbrechen mussten. So weit okay, immerhin erläutert das die
Schwere des gerade beendeten Einsatzes.
Doch dann durfte die Presse, teils per Livestream im Internet, teils als
Fotodokument auch Küchen und Schlafräume ablichten. Pikiert berichteten
später nicht nur Boulevardmedien von schmutzigem Geschirr, Essensresten in
den Küchen und gammeligen Matratzen.
Ekelerregend sind die Fotos tatsächlich. Aber aus einem ganz anderen Grund.
Denn hier wird ein Lebensstil ganz gezielt desavouiert. Hier wird durch die
Macht der Bilder die Behauptung aufgestellt, die Liebig 34 sei tatsächlich
das „Drecksloch“, als das es dank der Steilvorlage der Polizei von
einschlägigen rechten Gruppen im Internet verunglimpft wird.
## Nicht wegen des Spülplans geräumt
Als ob irgendjemand erwartet hätte, dass die Bewohner*innen ihr Haus
besenrein und am besten noch frisch tapeziert dem Gerichtsvollzieher
übergeben würden. Dass das Haus vor dem monatelang angekündigten
Polizeieinsatz wesentlich wohnlicher aussah, [2][zeigen mittlerweile ältere
Bilder auf Twitter].
Doch selbst wenn es so gewesen sein sollte, dass der Einrichtungsstil in
der Liebig 34 nicht den Ansprüchen von Schöner Wohnen oder dem neusten
Ikea-Katalog entsprochen hat. Selbst wenn das Bad nicht wie bei den ach so
sauberen Nachbarn stündlich mit ökologisch korrektem Desinfektionmitteln
keimfrei gepudert wurde. Geht das irgendjemanden etwas an? Ist es die
Aufgabe der Polizei, solche Bilder zuzulassen? Und vor allem: Ist das ein
Grund dafür, die Menschen auf die Straße zu setzen?
Nein. Nein. Und nochmals nein. Das Haus wurde nicht geräumt, weil der
Spülplan in der Gemeinschaftsküche nicht eingehalten oder die Bettwäsche
keinen Persilschein hatte. Das Haus wurde nicht mal geräumt, weil es im
näheren Umfeld immer wieder zu Attacken gegen Polizisten, Autos und auch
andere Häuser in der Nachbarschaft gekommen ist. Es wurde geräumt, weil der
Wert von Eigentum von Gesetzgebern und Richtern höher bewertet wird als das
Recht auf Wohnen.
## Anspruch auf Privatsphäre
Das heißt: Der Zustand im Inneren des Hauses war für den Polizeieinsatz
vollkommen irrelevant. Wenn die Polizei dennoch aktiv dafür sorgt, dass
Bilder aus den Wohnungen für jeden zugänglich werden, dann dient das allein
der öffentlichen Erregung, auf dass sich die feine Gesellschaft in einem
orgastischen Ah-Oh-Ih-Gestöhne ergötzen kann.
Mithin: Es ist an der Grenze zur Pornografie. Gefördert von der Berliner
Polizei, die eigentlich wissen sollte, dass selbst frisch geräumte
Vielleicht-Besetzer*innen noch einen Anspruch auf Privatsphäre haben.
Diese Bilder machen blind. Sie lenken ab [3][vom eigentlichen Skandal]: Es
ist in Deutschland möglich, Menschen vor die Tür zu setzen, auch nach
jahrzehntelanger Nutzung eines Hauses, einer Wohnung, wenn sie den
Renditeinteressen eines Eigentümers im Wege stehen. Und das droht vielen
Mieter*innen, genauso wie den „schmutzigen Chaoten“, auf die sie jetzt mit
dem Finger zeigen.
11 Oct 2020
## LINKS
[1] /Hausprojekt-Liebig-34-in-Berlin/!5719147
[2] https://twitter.com/bbhorne/status/1315038469387890689
[3] /Raeumung-der-Liebig-34/!5717141
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Polizei Berlin
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Räumung
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