# taz.de -- Räumung der Liebig 34: Wenn der Markt regiert | |
> Die Räumung der Liebig 34 zeigt: Ohne demokratische Kontrolle des | |
> Wohnungsmarkts ist es egal, welche Parteien an der Regierung sind. | |
Bild: Ende eines alternativen Ortes: Räumung der Liebig 34 | |
Mit der am Freitagvormittag vollendeten [1][Räumung des Hausprojekts Liebig | |
34] verliert Berlin einen weiteren Ort, der die Stadt seit dem Fall der | |
Mauer so interessant gemacht hat. Die Lebendigkeit Berlins ging nie von | |
ihren Bürotürmen, Townhouses oder Mercedes-Benz-Plätzen aus, sondern von | |
ihren Freiräumen, selbstverwalteten Strukturen, ihrer Kultur und Politik | |
von unten. All dies wird seit Jahren zerstört, unabhängig von der | |
jeweiligen Regierungsmehrheit. | |
Die Wut der Bewohner*innen und Sympathisant*innen der Liebig 34, deren | |
Geschichte nach mehr als 30 Jahren zu Ende gegangen ist, ist daher | |
verständlich. Dutzende Demonstrationen, spektakuläre Aktionen wie die | |
[2][Besteigung des Molecule-Man], [3][Allianzen mit der etablierten | |
Kulturszene] oder ausdauernde [4][juristische Bemühungen] zeugen von einem | |
bedingungslosen Engagement für den Erhalt ihres Projekts. All dies blieb | |
ohne jeden Erfolg. Übrig blieb nur noch die Wut. | |
Mit militanten Attacken auf die Polizei, Immobilienfirmen und Parteibüros | |
im Vorfeld ließ sich aber kein Staat gewinnen. Außer in der Form eines noch | |
martialischeren Einsatzes, der jeden nachvollziehbaren Rahmen sprengte. Die | |
Polizei zog ins Feld, als gelte es, einen bewaffneten Aufstand | |
niederzuschlagen. Tatsächlich konnte sie damit das für den Räumungstag | |
angekündigte Chaos in sehr begrenztem Rahmen halten. Das allerdings liegt | |
auch an den Autonomen selbst, die längst nicht mehr so handlungsfähig sind | |
wie etwa Anfang der 1990er Jahre bei der Räumung der Mainzer Straße. | |
Die Drohung im Vorfeld, notfalls auch das SEK einzusetzen, wirkt nun noch | |
absurder. Aber sie war eine Grenzüberschreitung, mit der der | |
Möglichkeitsraum eröffnet wurde, notfalls auf Demonstrant*innen zu | |
schießen. Belarus kann näher sein, als man denkt. Für diese unangemessene | |
staatliche Gewaltdemonstration trägt Rot-Rot-Grün die politische | |
Verantwortung. | |
## Fehler im System | |
Gleichwohl ist der Verlust der Liebig 34, wie schon zuvor der Kneipe | |
[5][Syndikat], nicht einem Versagen der Regierungsparteien zuzuschreiben. | |
Dass der Räumung nichts entgegengesetzt werden konnte, ist Ausdruck der | |
politischen und gesellschaftlichen Handlungsunfähigkeit in einem | |
privatwirtschaftlichem Wohnungsmarkt. Wo der Zugriff auf Wohnraum privaten | |
Spekulanten überlassen ist, kann der Staat die gesetzlich gedeckten | |
Profitinteressen eben nur noch ausführen. Wenn der Markt herrscht, ist es | |
egal, wer regiert. Für eine demokratische Gesellschaft ist das ein | |
Armutszeugnis. | |
Die Antwort auf den Schlamassel kann nur die Stärkung staatlicher und | |
gemeinwohlorientierter Akteure auf dem Wohnungsmarkt sein. Der größte und | |
radikalste Ansatz dafür ist das Volksbegehren [6][Deutsche Wohnen und Co | |
enteignen]. Die Vergesellschaftung hunderttausender Wohnungen wäre die | |
demokratische Antwort auf die profitgetriebene Zerstörung der Stadt. Es ist | |
womöglich die letzte Möglichkeit, dass Berlin auch in Zukunft noch | |
interessant und lebendig bleibt. | |
9 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Hausprojekt-Liebig-34-in-Berlin/!5719147 | |
[2] /Liebig34-Aktion-am-Molecule-Man/!5694840 | |
[3] /Prominente-unterstuetzen-linke-Projekte/!5655605 | |
[4] /Linkes-Hausprojekt-in-Berlin/!5710218 | |
[5] /Raeumung-der-Kneipe-Syndikat-in-Berlin/!5705833 | |
[6] /Enteignungs-Volksbegehren-zulaessig/!5711156 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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