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# taz.de -- Berliner Hausprojekt vor der Räumung: Viel Liebe für die Liebig
> Mieterinis, Anwohnende, Besetzerinnen, Militante und die Linke: Die
> Unterstützung für die Liebig 34 ist groß. Groß wird aber auch der
> Polizeieinsatz.
Bild: „Defend Liebig“-Plakat im Schaufenster eines Cafés
Berlin taz | Zwei Tage vor der geplanten Räumung des linksradikalen
Hausprojekts [1][Liebig 34] ist in Freidrichshain vom bevorstehenden
Polizei-Großeinsatz noch kaum etwas zu erahnen. Über das Kopfsteinpflaster
der Liebigstraße weht Laub, aus der Kita Tausendfüßchen hört man Kinder
singen, ein Paar läuft händchenhaltend Richtung Dorfplatz, vor der Liebig
34 sitzt eine Frau Mitte zwanzig im Schneidersitz. Den einzigen Hinweis auf
die geplante Räumung geben Plakate, die an Hauswänden oder in Fenstern dazu
aufrufen, die Liebig zu verteidigen.
Doch ab Donnerstagmorgen, 5 Uhr wird es mit der bislang nur durch
nächtliche Hubschraubereinsätze gestörten Ruhe vorbei sein. Dann errichtet
die Polizei eine Sperrzone. Zwischen Bersarinplatz und Rigaer Straße 94
sowie entlang der Liebigstraße ist ein Durchkommen nur noch für Anwohnende
oder Personen mit triftigem Grund möglich. Das Abstellen von Pkws ist in
einem noch größeren Bereich bis Sonntag früh untersagt; bis
Freitagmitternacht gilt ein generelles Versammlungsverbot. Schule und Kitas
bleiben geschlossen.
Im Raum steht eine Zahl von bis zu 5.000 Polizist*innen, die die wohl
schwierigste Räumung seit Langem absichern sollen. Ihre Aufgaben: das
angekündigte [2][„Chaos“], das Unterstützer*innen des Hauses in der
Umgebung herbeiführen wollen, unterbinden, den für 7 Uhr angekündigten
Gerichtsvollzieher zum Haus bringen und die verbarrikadierte Trutzburg
einnehmen.
Unterstützer*innen der Liebig haben am Freitagfrüh ab 3 Uhr zwei
Kundgebungen am Bersarin- und am Forckenbeckplatz angemeldet, rufen aber
vor allem dazu auf, eigenständig in der Umgebung durch Blockade- und
Störaktionen aktiv zu werden. Für den Abend ist ab 21 Uhr eine
Demonstration ab Monbijoupark angekündigt.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin, machte auf
eine kuriose Folge des tagelangen Einsatzes aufmerksam. Über Kontrollen
der ab Samstagnacht geltenden Sperrstunde für Kneipen sagte er: „Wir werden
derartige Verstöße eigentlich nur bei Einrichtungen rund um die Liebig 34
kontrollieren können.“ Dort allerdings wird angesichts von Tausenden
Polizist*innen und Demonstrant*innen auf relativ engem Raum das
Abstandsgebot nur schwer einzuhalten sein.
## Zwangsräumung in der Pandemie
Mitten in der Pandemie werden etwa 40 Menschen ihr Zuhause verlieren. Der
Senat hatte Ende September beschlossen, auf Zwangsräumungen bis zum
Jahresende zu verzichten. Dies gilt jedoch nur für die landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften. Der Appell an die freie Wohnungswirtschaft hat
zumindest bei dem Liebig- 34-Eigentümer Padovicz nicht gefruchtet.
Viele Anwohnende sind trotz aller Scherereien solidarisch mit ihren
Nachbar*innen. „Die Vorstellung, dass sie aus ihrem Zuhause vertrieben
werden, finde ich furchtbar. Wo sollen sie denn hin?“, fragt am Mittwoch
eine 26-jährige Passantin vor der Bäckerei 2000 direkt am Dorfplatz. Ein
Obdachloser, der in der Rigaer Straße unter einem Balkon lebt, sagt: „Die
Stimmung im Kiez ist gedrückt. Das bunte, dreckige Berlin, das viele so
lieben, wird es nicht mehr geben, wenn Projekte wie die Liebig zerstört
werden.“
Das Bündnis Mietenwahnsinn hat sich in einem offenen Brief mit scharfer
Kritik an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses gewandt. Verwiesen wird
darauf, dass Padovicz viele seiner Immobilien leer stehen lasse. Dass
trotzdem und angesichts der chronischen Wohnungsnot Mieter*innen geräumt
werden sollen, sei offenbar „die Logik des Marktes. Eine Logik, der wir uns
nicht fügen sollten.“ An den Senat wird appelliert, „das Menschenrecht auf
Wohnen zu garantieren“ und alle Zwangsräumungen auszusetzen.
## Linke solidarisiert sich
Die Linke bedauerte in einer Stellungnahme die anstehende Räumung. Sie sei
„Ausdruck davon, wie sich Spekulanten gestützt auf geltendes Recht die
Stadt als Renditeobjekt aneignen können“. Den Innensenator forderte die
Partei auf, seine Spielräume bei der Unterstützung des Gerichtsvollziehers,
etwa durch „zeitliches Aufschieben, eine andere Einsatzgröße und -taktik“,
zu nutzen.
Die Linken-Vorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Kerstin Wolter,
kritisierte gegenüber der taz, dass sich Padowicz auf keine
Verhandlunsgversuche oder einen möglichen Ankauf des Hauses durch die Stadt
eingelassen habe: „Unternehmer wie Padovicz sind Teil von einer
antisozialen Mietenpolitik, die sich grundsätzlich ändern muss“, so Wolter.
Der Berliner Mieterverein appelliert an den Eigentümer, das
Berufungsverfahren gegen das Räumungsurteil vor dem Kammergericht
abzuwarten. „Der Vermieter mag aus dem Urteil des Landgerichts vollstrecken
dürfen, doch damit befindet er sich auf dünnem Eis“, so der Mieterverein.
Liebig-Anwalt Moritz Heusinger argumentiert, dass die Bewohner*innen trotz
des ausgelaufenen Gewerbemietvertrages als Mieter*innen angesehen werden
müssten, die nicht einfach auf die Straße gesetzt werden könnten.
## Militanz und Vorverurteilung
Unterdessen wurde in Bezugnahme auf die Liebig ein Polizeigebäude in
Lichtenberg attackiert und Fahrzeuge beschädigt und die Scheiben eines
SPD-Büros in Neukölln eingeworfen. Am Nachmittag besetzte eine Gruppe
Jugendlicher ein seit zehn Jahren leerstehendes Haus in der Perleberger
Straße 50 in Moabit. Transparente hingen kurz darauf auch aus einem Gebäude
in der Siegfriedstraße in Pankow.
Der Vereinschef des Nutzervereins der Liebig 34, Janko E., hat nach
taz-Informationen eine Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Im
RBB-Magazin „Kontraste“ war er namentlich erwähnt worden, samt dem Hinweis,
er sei wegen Körperverletzung zwei Mal verurteilt worden. Für den nicht
vorbestraften E. steht fest, dass die Information unrechtmäßig aus
Polizeikreisen weitergegeben worden sei.
Im selben Beitrag war eine weitere Aktivistin mit Meldeadresse und einem
gegen sie ergangenen Strafbefehl erwähnt worden. Gegen die weitere
Verbreitung des Beitrages geht E. mittels einer einstweiligen Verfügung
vor.
7 Oct 2020
## LINKS
[1] /Hausprojekt-in-Berlin-Friedrichshain/!5716120
[2] /Raeumung-der-Liebig-34/!5713181
## AUTOREN
Erik Peter
Rieke Wiemann
## TAGS
Polizei Berlin
Liebig34
Zwangsräumung
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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