| # taz.de -- Ersatzunterkünfte: Obdachlose ohne Corona-Bleibe | |
| > Eine Obdachlosen-Initiative besetzte ein leer stehendes Haus in Mitte. | |
| > Bezirk und Eigentümer verhandeln weiter, aber die Obdachlosen gehen leer | |
| > aus. | |
| Bild: Hausbesetzung: Aktivist von „Leerstand Hab-Ich-Saath“ vor dem ehemali… | |
| Berlin taz | Ende Oktober besetzte eine [1][Gruppe aus Obdachlosen und | |
| Stadtaktivist*innen] einen überwiegend leer stehenden Plattenbau in der | |
| Habersaathstraße gegenüber der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Sie | |
| prangerten nicht nur symbolisch den spekulativen Leerstand an, sondern | |
| wollten ein sicheres Zuhause, mindestens über den Winter und die | |
| Coronazeit. Obwohl Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) | |
| noch während der Besetzung [2][die Prüfung der Beschlagnahmung] des Hauses | |
| zugesagt hatte, [3][räumte die Polizei] die Gruppe nach wenigen Stunden. | |
| Einen Monat später stellte sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf | |
| die Seite der Obdachlosen. Bei wenigen Gegenstimmen von CDU und FDP | |
| beschlossen die Abgeordneten „die leer stehenden Wohnungen in der | |
| Habersaathstraße 40–48 zu beschlagnahmen und als Wohnraum für obdach- und | |
| wohnungslose Menschen bereitzustellen“, wie es in dem von der Linken | |
| eingebrachten Antrag heißt. Valentina Hauser vom Kollektiv der | |
| Besetzer*innen, sprach gegenüber der taz von einem „richtigen Schritt, den | |
| wir sehr begrüßen“ und forderte eine „zügige Umsetzung dieses Beschlusse… | |
| Doch daraus wird nichts werden. Nicht nur, weil der Beschluss der BVV – wie | |
| alle ihre Beschlüsse – nur ein Appell ans Bezirksamt ist, das sich dann mit | |
| der rechtlich heiklen Angelegenheit befassen muss. Vor allem aber, hat sich | |
| die verfahrene Situation um das Gebäude seitdem grundlegend geändert. | |
| Seit Jahren streitet sich der Bezirk mit dem Eigentümer, der die | |
| überwiegend intakte Platte abreißen lassen will, was ihm der Bezirk | |
| verwehrt. Das Haus wurde 2006 für nur zwei Millionen Euro privatisiert, | |
| gute zehn Jahre später für den fast zehnfachen Preis weiterverkauft. Ein | |
| guter Teil der Mieter*innen wurde vergrault, wenige verbliebene wehren sich | |
| mit Händen und Füßen. Ende November hat nun aber das Verwaltungsgericht | |
| mitgeteilt, dass es die vom Bezirk geforderte Wiedervermietung der | |
| Wohnungen und die Untersagung des Abrisses nicht für angemessen hält, wie | |
| Jugend- und Familienstadträtin Ramona Reiser (Linke) bestätigt. | |
| ## Eigentümer legt Vergleichsangebot vor | |
| Erstmals seit Jahren sitzen nun Bezirk und Eigentümer wieder an einem | |
| Tisch. Letzterer hat ein Vergleichsangebot vorgelegt, dass sich zumindest | |
| in einer zentralen Frage auf den Bezirk zubewegt: dem Eingeständnis, dass | |
| es sich – zumindest bei einem Teil der insgesamt 105 Wohnungen – um | |
| schützenswerten Wohnraum handelt. Dies sieht auch der Bezirk so, für das | |
| ganze Haus: „Es muss nicht alles wie 2020 aussehen“, sagt Reiser. | |
| Die Klassifizierung als schützenswert hat wesentliche Folgen: Ein Abriss | |
| ist dann nur gestattet, wenn angemessener Ersatzwohnraum geschaffen wird, | |
| sowohl was die Zahl, die Qualität als auch den Zuschnitt der Wohnungen | |
| betrifft. Obendrein ist im Zweckentfremdungsverbotsgesetz geregelt, dass | |
| die neuen Wohnungen für nicht mehr als 7,92 Euro pro Quadratmeter vermietet | |
| werden dürfen. Der Eigentümer versucht daher, nicht alle Wohnungen ersetzen | |
| zu müssen, um zumindest einen Teil ohne Preislimit vermieten zu können. | |
| Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, | |
| befürchtet gar, dass er das leere Grundstück einfach weiterverkaufen | |
| könnte. | |
| Immerhin liegen inzwischen konkrete Angebote für die verbliebenen etwa ein | |
| Dutzend Mieter*innen auf dem Tisch. Sie sollen Umsetzwohnungen während der | |
| Baumaßnahme bekommen sowie Angebote für Wohnungen im Neubau oder eine | |
| Abfindung. Am Dienstag verständigte sich das Bezirksamt auf seiner Sitzung | |
| darauf, weitere Nachverhandlungen im Sinne der Mieter*innen zu suchen und | |
| aufgrund der pandemiebedingt eingeschränkten Arbeitssituation auch über die | |
| Einigungsfrist 18. Dezember reden zu wollen. Parallel möchte man, so | |
| Reiser, auch den „Gedanken einer Rekommunalisierung nicht begraben“ und | |
| dafür die alten Kaufverträge überprüfen. | |
| ## Schützenswerter Wohnraum | |
| Bereits an diesem Donnerstag werden Bezirk und Eigentümer weiter über die | |
| Bedingungen des Abrisses verhandeln. Die Obdachlosen, die für sich auf | |
| Wohnraum gehofft hatten, werden aber wohl in jedem Fall leer ausgehen, | |
| selbst wenn das Haus noch einige Monate leer stehen sollte. Denn eine | |
| Beschlagnahmung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) | |
| unterliegt strengen Voraussetzungen und kommt erst bei einer erheblichen | |
| Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Betracht und wenn alle | |
| anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. | |
| Das sind sie aber nicht: Reiser verweist auf „überraschend viele Angebote“, | |
| die nach einer Suchmeldung des Bezirksamts am Tag nach der Besetzung für | |
| Unterkünfte für coronainfizierte Personen eingegangen seien. [4][Der | |
| Grünen-Abgeordnete Taylan Kurt] kritisiert die strenge Auslegung des ASOG. | |
| Im Gespräch mit der taz fordert er die Definition für Ersatzunterkünfte zu | |
| ändern, sodass Personen einen Anspruch auf „abgeschlossene Wohneinheiten“ | |
| haben. Entsprechende Signale aus dem Senat gibt es aber keine. | |
| 16 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Obdachlose-besetzen-Haus-in-Berlin/!5721968 | |
| [2] /Verhandlungen-nach-Hausbesetzung-in-Mitte/!5721167 | |
| [3] /Hausbesetzung-in-Berlin/!5724839 | |
| [4] /Hausbesetzung-in-Berlin-Moabit/!5538102 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| ## TAGS | |
| Stephan von Dassel | |
| Wohnungsleerstand | |
| Obdachlosigkeit | |
| Hausbesetzung | |
| Leerstand | |
| Hausbesetzung | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| IG | |
| Rotes Rathaus | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Polizei Berlin | |
| Berlin-Mitte | |
| Polizei Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Erfolgreiche Besetzung in Berlin: Wohnungslose erkämpfen Haus | |
| In der Habersaathstraße führt eine erneute Besetzung zum Erfolg. Der Bezirk | |
| will die Wohnungen beschlagnahmen und zur Verfügung stellen. | |
| Prozess um Besetzung leerer Wohnungen: Verfahren eingestellt | |
| Initiative wollte Leerstand von Wohnungen anprangern: Einer der Besetzer | |
| der Habersaathstraße 46 wurde zu 360 Sozialstunden verdonnert. | |
| Sheltersuits in Berlin: Ein Overall für Obdachlose | |
| Die Caritas verteilt 80 spendenfinanzierte Schutzanzüge in Berlin. In ihnen | |
| können Menschen auf der Straße warm und trocken leben. | |
| Obdachlosigkeit in Berlin: Besondere Belastung für Obdachlose | |
| Es ist bereits die dritte Mahnwache vor dem Roten Rathaus. Die Forderungen | |
| bleiben gleich: leer stehende Räume zu öffnen | |
| Habersaathstraße in Berlin-Mitte: Aktion gegen Abriss | |
| Wohnungslose kämpfen um ein Haus in der Habersaathstraße. Der Abriss | |
| scheint unausweichlich, bis dahin könnten Pandemiewohnungen entstehen. | |
| Triage von Corona-Kranken in Zittau: Entscheidung über Leben und Tod | |
| In einer Klinik im sächsischen Zittau ist der Ernstfall eingetreten. Es | |
| gibt nicht genügend Beatmungsgeräte für alle Covid-Patient:innen. | |
| Hausbesetzung in Berlin: Obdachlose geräumt | |
| Kurz schien eine politische Lösung für die besetzte Habersaathstraße 46 | |
| greifbar. Aber der Bezirk Mitte ruderte zurück und die Polizei räumte. | |
| Verhandlungen nach Hausbesetzung in Mitte: Sie haben es saath | |
| Nach der Besetzung eines leerstehenden Hauses in Mitte denkt der Bezirk | |
| über eine Beschlagnahmung zugunsten der Besetzer*innen nach. Das wäre ein | |
| Novum. | |
| Hausprojekt Liebig 34 in Berlin: Applaus für die Geräumten | |
| Das linksradikale Hausprojekt Liebig 34 ist geräumt, Bewohner*innen winken | |
| beim Gehen. Im Umfeld gab es Rangeleien und Brandstiftungen. |