# taz.de -- Hausbesetzung in Berlin-Moabit: Mit Sympathien geräumt | |
> Die Polizei beendet eine Besetzung in Moabit. Die Politik reagiert | |
> hilflos auf den Leerstand der ehemaligen Unterkunft für Wohnungslose. | |
Bild: Der Moment vor der Räumung: besetztes Haus in der Berlichingenstraße | |
BERLIN taz | In den beiden Fenstern des letzten hell beleuchteten Zimmers | |
im ansonsten dunklen Haus erscheinen die Köpfe vermummter BesetzerInnen. | |
Sie signalisieren den etwa 150 UnterstützerInnen auf der Straße drei Etagen | |
tiefer, dass bei ihnen noch alles in Ordnung ist. Unterdessen durchkämmen | |
Polizisten das vierstöckige Gebäude in der Berlichingenstraße 12 in Moabit. | |
Ihr Taschenlampenlicht bewegt sich hinter zuvor dunklen Fenstern, die | |
Geräusche, wenn wieder eine Zimmertür aufgerammt wird, sind über die ganze | |
Straße zu hören. | |
Gegen 20 Uhr, mehr als sechs Stunden nach Beginn der Besetzung, sind die | |
Umrisse eines Polizeihelms im Fenster neben den letzten BesetzerInnen zu | |
erkennen. Kurz sind Geräusche wie von einer Kettensäge zu hören. Wenig | |
später haben die BeamtInnen das verbarrikadierte Zimmer gestürmt. Die | |
BesetzerInnen werden durch den Hinterausgang auf den Hof geführt, wo ihre | |
Personalien aufgenommen werden. 13 sind es, wie die Polizei später sagt. | |
Es ist das Ende eines Versuchs, den geradezu skandalösen Leerstand des | |
Hauses zu beenden. Jahrzehntelang diente es als gut funktionierende | |
[1][Unterkunft für wohnungslose Männer]. Mehr als 30 hatten hier in ihren | |
eigenen Zimmer ein sicheres Zuhause. Ende 2015 wurden sie gekündigt. | |
Der Hauseigentümer, die Berolina Grundbesitz GmbH, hatte zuvor den Vertrag | |
mit dem Betreiber des Wohnheims gekündigt. Mit der Firma Gikon übernahm ein | |
neuer Betreiber zu einer deutlich erhöhten Miete. Die Wohnungslosen, für | |
die das Jobcenter pro Nacht 22,50 Euro zahlt, wollte Gikon durch | |
Flüchtlinge ersetzen – für deren Unterbringung zahlte der Senat bis zu 50 | |
Euro. Ein Geschäft auf dem Rücken der Ärmsten. | |
## Mit Schikanen und Klagen | |
Doch die Männer gingen nicht, wohin auch. Als ihnen mitten im Winter | |
[2][Heizung und Warmwasser abgestellt wurde], half Mittes | |
Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) persönlich. Dafür haben ihn | |
die Eigentümer verklagt. Die letzten Wohnungslosen, die die unhaltbaren | |
Zustände ausgehalten hatten, wurden nach einem Gerichtsentscheid im | |
September 2017 geräumt. | |
Seitdem steht das Haus leer; die neuen Betreiber wollen aus dem Vertrag | |
aussteigen – und streiten mit dem Eigentümer vor Gericht, ob sie das | |
dürfen. Am Samstag sagte von Dassel der taz: „Die Besetzung ist das | |
kleinere Übel gegenüber dem ewigen Leerstand. Der stört den sozialen | |
Frieden.“ | |
Am Mittag gelangten die AktivistInnen der [3][#besetzen-Kampagne] | |
ungehindert ins Haus; sie verbarrikadierten die Türen, hängten Transparente | |
aus den Fenstern. Zwei Dutzend UnterstützerInnen setzten sich vor die | |
Haustür. Auf der Straße spielten Bands, es gab Wraps und Popcorn. Die neuen | |
HausbesetzerInnen sind gut organisiert. | |
Nach dem Auftakt der Kampagne zu Pfingsten, als etwa ein [4][Wohnhaus in | |
Neukölln besetzt wurde], vergeht seit Herbstbeginn kaum ein Wochenende ohne | |
neue Besetzung. [5][Google Campus], [6][Großbeerenstraße], [7][Wohnungen | |
des Eigentümers der Liebigstraße 34], ein Uni-Gebäude in Potsdam. Am | |
Samstag wurden zugleich Räumlichkeiten in der Skalitzer Straße 106 in | |
Kreuzberg in Beschlag genommen. Auch dort ging es bis zum Abend hin und | |
her, schließlich gingen die BesetzerInnen unerkannt, kurz vor der | |
bevorstehenden Räumung. | |
## Sympathisierende Politiker | |
Nicht geräumt werden, das Durchbrechen der [8][Berliner Linie], der | |
polizeilichen Maßgabe, innerhalb von 24 Stunden jede Besetzung zu beenden, | |
das war auch die Hoffnung der AktivistInnen in der Berlichingenstraße. | |
Zumindest verbal gab es dafür Unterstützung: Katrin Schmidberger, | |
wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, appellierte an Innensenator | |
Andreas Geisel (SPD) nicht zu räumen. Sie forderte, das Haus per | |
Treuhändermodell in die öffentliche Hand zu überführen. Doch sie wusste | |
auch: Auf Gewerbeimmobilien ist das Zweckentfremdungsverbotsgesetz nicht | |
anwendbar. | |
Auch vor Ort versuchten Politiker von Grünen und Linken Partei für die | |
BesetzerInnen zu ergreifen. Doch als die breitschultrigen | |
Eigentümervertreter am frühen Abend aufkreuzten und die Räumung forderten, | |
stand Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) hilflos daneben. | |
Zwei Telefongespräche des Linken-Abgeordneten Tobias Schulze und der grünen | |
Bundestagsabgeordneten Canan Bayram mit einem der Eigentümer halfen auch | |
nicht weiter. Schulze zufolge solle das Haus womöglich verkauft werden. Er | |
forderte via Twitter: „Bezirk und Land sollten im #Berlichingen12 im | |
Milieuschutzgebiet Enteignung prüfen. Auch wenn es rechtlich Gewerbe ist, | |
so doch für soziale Wohnnutzung nutzbar.“ | |
Geisel duckte sich weg, ließ die Polizei machen. Als es dämmerte, | |
verschaffte die sich durch den Hintereingang Zugang in das Haus. Den | |
Besetzerinnen werden sich nun wegen Hausfriedensbruch verantworten müssen. | |
Taylan Kurt, Grünen-Abgeordneter der BVV Mitte, sagte der taz: „Dass | |
geräumt wird, zeigt, wie machtlos wir sind.“ Er forderte die Bezirksämter | |
auf, niemanden im Haus unterzubringen und damit dem Eigentümer die Taschen | |
zu füllen. Auch verlangte er schärfere Gesetze: „Gewerblicher Leerstand | |
muss sanktioniert werden können.“ | |
## Gesetzesverschärfung nötig | |
Aus der SPD äußerte sich Fraktionschef Raed Saleh auf Anfrage der taz: | |
„Hausbesetzung geht gar nicht und Häuser grundlos Jahre lang leerstehen zu | |
lassen geht auch nicht.“ Die BesetzerInnen hätten auf ein echtes Problem | |
hingewiesen „Womöglich muss man gesetzlich neue Wege schaffen, um gegen | |
unbegründeten Leerstand vorzugehen, die bisherigen Instrumente reichen | |
nicht aus“, so Saleh. | |
Vorerst fehlt das Haus weiterhin für die Unterbringung von Wohnungs- und | |
Obdachlosen – jenen wollten die BesetzerInnen es wieder zur Verfügung | |
stellen und hatten dafür eigens ein Konzept entwickelt. Unterstützung kam | |
von der Berliner Obdachlosenhilfe e. V. In einem Statement hieß es: „Wir | |
freuen uns, dass die Besetzer*innen das Haus für obdach- und wohnungslose | |
Menschen öffnen wollen.“ Begrüßt wurde das Konzept der Selbstverwaltung, | |
„welches vielen Problemen der ‚klassischen‘ Wohnungslosenhilfe mit | |
alternativen Ansätzen begegnen möchte“. | |
Die Besetzer zeigten sich wütend auf den Senat und twitterten: „Wollen wir | |
wetten, dass beim Herbst der Besetzungen 2019 die #Berlichingen12 immer | |
noch leer steht?“ | |
7 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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