Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unterkunft für Wohnungslose in Berlin: Die Rebellen von Moabit
> In Berlin gibt es seit Jahren ein Haus für Wohnungslose. Jetzt wurde
> ihnen gekündigt, denn Geflüchtete bringen mehr Geld ein. Doch die
> Betroffenen wehren sich.
Bild: Wie eine Trutzburg steht das Gästehaus für Wohnungslose in Berlin Moabit
BERLIN taz | „Für mich geht alles kaputt, wenn ich hier rausmuss“, sagt
Wolfgang Hass. Der hagere Mann, Anfang 50, dunkler Schnauzbart, lebt im
Gästehaus Moabit, einem Heim für wohnungslose Männer in Berlin. Er läuft
unruhig im Zimmer seines Mitbewohners Micha umher und raucht
Selbstgedrehte. „Ich bin hier zur Ruhe gekommen.“ Vor einem halben Jahr saß
er noch im Gefängnis, nun nennt er das Haus, in dem er ein Einzelzimmer
bewohnen darf, sein „Zuhause“. Als Wart kann er sich etwas dazuverdienen,
und hier hat er – erstmals seit Jahren – wieder Kontakt zu seinem
siebenjährigen Sohn.
Doch sein Zuhause ist bedroht. Mitte Dezember erreichten die 33 Bewohner
schlimme Nachrichten. Ab März will der neue Betreiber, die Firma Gikon
Hostels, mit der Weitervermietung Geld verdienen. Und weil das Land höhere
Sätze pro Flüchtling auszahlt, sollen die Wohnungslosen raus.
Der fünfstöckige Altbau steht da wie eine Trutzburg in Moabit. Schmucklos
die Fassade, Fenster ohne Gardinen. Im Haus ist es ruhig, das Treppenhaus
gefegt. Alle Bewohner haben ein eigenes Zimmer, auf jedem Stockwerk teilen
sie sich Küche, Bad und Toilette. Neben dem Hauseingang weist ein kleines
Schild auf das Projekt hin.
Seit Jahrzehnten finden sie in der Berlichingenstraße einen Zufluchtsort.
Manche Bewohner leben selbst schon 20 Jahre hier. Deswegen sind Micha und
Herr Hass nun in Kämpferlaune. Micha befestigte ein weißes Bettlaken an
seinem Fenster. „Friede den Hütten. Krieg den Palästen“ steht darauf.
Micha hat einen orangefarbenem Irokesenschnitt und wohnt seit fünf Jahren
in einem Zimmer im obersten Stock. Seinen Nachnamen will der 33-Jährige
nicht nennen. So macht man das bei Linken. Er ist einer, sagt er, der sich
nie festlegen wollte. Ausbildungen als Holzmechaniker und im „pädagogischen
Bereich“ hat er begonnen – und wieder abgebrochen. Während viele Bewohner
nicht in der Lage sind, sich zu wehren, mag Micha den politischen Kampf:
Blockaden, Besetzungen, offene Briefe.
## „Den Eigentümer in die Knie zwingen“
Von diesen Fähigkeiten profitieren an diesem Dienstag im Januar auch die
anderen. Sechs von ihnen und ebenso viele Unterstützer von außen sitzen in
seinem Zimmer auf dem Bett, der ausgebeulten Couch und auf dem Boden. Auch
Sara Walter vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ ist da. Ebenso zwei
Frauen von lokalen Initiativen gegen Gentrifizierung und zwei grüne
Abgeordnete aus der Bezirksverordnetenversammlung. Sara Walter sagt in das
Stimmengewirr hinein: „Die Frage ist, wie wir den Hauseigentümer in seiner
Geldgier in die Knie zwingen können.“
Das Problem ist folgendes: Während das Jobcenter für die Unterbringung von
Wohnungslosen täglich 22,50 Euro zahlt, überweist die Senatsverwaltung für
Gesundheit und Soziales in Berlin (Lageso) für Flüchtlinge bis zu 50 Euro
am Tag. Und der Profit könnte noch gesteigert werden. Denn Herr Hass
vermutet wohl zu Recht: „Die knallen dann hier in jedes Zimmer fünf
Doppelbetten rein.“
Flüchtlinge, die Obdachlose verdrängen. Für Rechte ein gefundenes Fressen.
In Foren und Netzwerken heizen sie die Stimmung an, auch wenn sie sonst
gegen Wohnungslose hetzen. Das wissen die Bewohner: „Wir lassen uns nicht
gegen die Flüchtlinge ausspielen“, sagt Micha.
Dass das Haus – wie im Kündigungsschreiben angekündigt – vor dem Einzug d…
Flüchtlinge saniert wird, glaubt hier niemand. „Ein bisschen Farbe an die
Wände – und gut ist“, sagt Hass. „Die werden hier doch kein Geld
reinstecken, wenn es ihnen um maximalen Profit geht“, sagt Micha. Dabei
wäre eine Renovierung nötig. Der Putz bröckelt von den Wänden, an den
Decken zeichnen sich dunkle Flecken von den Wasserschäden ab.
Von Luxussanierungen ist dieser Kiez in Moabit äußerlich noch verschont.
Selbst wenn die Immobilienpreise auch hier in die Höhe schießen, gilt
Moabit als sozialer Brennpunkt. In der nahen Beusselstraße wechseln sich
Spielkasinos und Sportwettenläden ab, dazwischen Ein-Euro-Shops und
türkische Bäcker. Auch das Büro von Gikon Hostels befindet sich hier. Die
Firma, die das Haus ab März mietet und betreibt.
## Zu Besuch bei den Hausbetreibern
Ein steril eingerichtetes Ladenlokal. Hinter einer undurchsichtigen Folie
an der Scheibe haben die Inhaber Hassan Nemr und der großväterlich wirkende
Geschäftsführer Martin Kleiner auf schwarzen Designerstühlen Platz
genommen. Seit dem Plenum im Gästehaus sind anderthalb Wochen vergangen.
Mit schwäbischem Einschlag sagt Kleiner, wie es zu dem Deal kam: Das Haus
sei über ein Immobilienportal ausgeschrieben gewesen für eine monatliche
Kaltmiete von 16.000 Euro. Beim Treffen mit den Eigentümern setzten diese
den Preis auf 22.500 Euro hoch. Gikon schlug zu.
Kleiner hält den Vertrag in der Hand. „Mit Nebenkosten kommen wir auf etwa
35.000 Euro im Monat“, sagt er. Im Verlauf des Gesprächs steigen die Summen
immer weiter.
„Mit den 22,50 Euro können wir nicht arbeiten“, sagt Nemr schließlich. Die
Kosten ließen sich durch die Wohnungslosen nicht decken. Die alten
Betreiber hätten das deswegen gekonnt, weil sie weniger als die Hälfte der
Miete an die Hausbesitzer überweisen mussten, erklärt Kleiner. Was Nemr und
Kleiner vermitteln: Gikon ist in einer schwierigen Situation. „Wir wollen
den Wohnungslosen helfen“, sagt Nemr. Den Flüchtlingen aber auch. Sieben
Flüchtlingsunterkünfte betreibt Gikon bereits. „Wir sind um die besten
Bedingungen, ja auch um Integration bemüht“, sagt Kleiner.
Im Kiez erzählt man sich anderes. Da kommen die Betreiber nicht so gut weg.
Wenn die Geschäftsmänner selber über das Haus und ihre Pläne sprechen,
sagen sie „Hostel“. Ihr Konzept: Viele Flüchtlinge in Berlin erhalten
Gutscheine, die auch für die Unterbringung in Hostels gelten. Die
staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten sind begrenzt, private
Geschäftemacher wittern das große Geschäft. Unterbringen wollen sie 50
Menschen, also etwa zwei pro Zimmer, sagt Kleiner. Doch es müssen nicht
unbedingt Flüchtlinge sein – solange die Einnahmen stimmen. „Wir haben den
Wohnungslosen zwei Etagen des Hauses angeboten“, sagt Kleiner. Auch nach
anderen Wohnplätzen habe man gesucht.
## Doch es gibt Hoffnung
Doch davon weiß Micha nichts. „Uns wurde kein Angebot gemacht“, sagt er.
Einzig das Sozialamt hätte ihm einen Platz in einem Mehrbettzimmer geboten.
Umzug am selben Tag. Micha winkt ab. Bis zum Mittag hätte er die Angebote
von drei Umzugsunternehmen einholen müssen. Sein Etagennachbar, Frank
Kretschmann, berichtet dasselbe. Der kräftige Mann mit den langen blonden
Haaren ist aufgebracht. Mit Möbeln und 20 Kisten ist er hier gelandet,
nachdem er aus seiner Wohnung geworfen wurde. In seinem
10-Quadratmeter-Zimmer ist kaum Platz zum Stehen. Muss er hier raus, hat er
Angst um seine Sachen: „Soll ick die dann alle wegschmeißen“, fragt er.
Aber vielleicht kommt es gar nicht so weit. Denn Gikons Pläne scheinen
bereits Makulatur. Die Firma wolle aus dem Vertrag aussteigen, berichtet
Stephan von Dassel, grüner Sozialstadtrat vom Bezirk Mitte. Durch einen
offenen Brief von „Zwangsräumungen verhindern“ war er auf den Fall
aufmerksam geworden. Schon mehrfach hat er sich mit den Bewohnern
getroffen. Erst am Wochenende war er im Haus. Im Treppenhaus befestigte er
einen Brief an die Bewohner – Briefkästen gibt es keine. Die Aussage: Der
Bezirk betrachtet die Kündigung der Bewohner durch die alte Betreiberfirma
als gegenstandslos.
„Wenn der Hauseigentümer dem alten Betreiber kündigt und einen neuen
beauftragt, hat das mit den Bewohnern nichts zu tun“, so von Dassel. Zumal:
Keiner der Bewohner hat jemals einen Mietvertrag mit den Betreibern
abgeschlossen. „Wir sind der festen Auffassung, dass Sie weiterhin legal in
der Berlichingenstraße wohnen. Sie sind dort legal und mit Wissen des
Eigentümers eingezogen und haben über das Bezirksamt Ihre Wohnkosten stets
pünktlich und vollständig beglichen“, heißt es in von Dassels Brief.
Wochenlang hatten die Mitarbeiter im Bezirksamt nach einer Möglichkeit
gesucht, die Bewohner zu schützen.
Die Bezirksverordneten wollten sogar prüfen lassen, ob es möglich wäre, das
Hauses zu beschlagnahmen. Doch nun sagt von Dassel: „Damit hätten wir nur
die Kündigung der Bewohner anerkannt.“ Spätestens im Sommer hätten sie doch
ausziehen müssen und der Bezirk wäre mit Schadenersatzforderungen
konfrontiert. So habe man hingegen „den Ball auf das gegnerische Feld
zurückgeschlagen“.
Wo genau sich das Feld befindet und wer es bespielt, ist jedoch selbst von
Dassel noch nicht klar. Denn hinter der Firma Gikon verbirgt sich noch der
tatsächlichen Eigentümer der Immobilie. Der bleibt im Dunkeln. Öffentlich
möchte hier niemand sein Handeln erklären.
Wer versucht, zu den drei im Grundbucheintrag genannten Eigentümern des
Hauses oder der Hausverwaltung Kontakt aufzunehmen, findet immer wieder
dieselbe Anschrift in der noblen Charlottenburger Kantstraße 30. Antworten
übermittelt nur ein Rechtsanwalt. „Die Immobilie wurde bereits vor einiger
Zeit an einen Dritten übertragen“, schreibt dieser. Wer nun an der
Vermietung des Hauses verdient, bleibt anonym.
Von Dassel rechnet damit, dass die Besitzer versuchen werden, die Bewohner
herauszuklagen. Er verspricht aber, die Kosten für den Rechtsschutz zu
finanzieren. Dem Eigentümer werde es schwerfallen, sagt er, „das Wohnrecht
der Bewohner zu widerlegen“. Und auch die Bewohner sind optimistisch. Frank
Kretschmann spricht von einem „Siegesgefühl“, weiß aber auch: „Das ist …
ein Etappensieg.“
2 Feb 2016
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Flüchtlinge
Berlin
Schwerpunkt Flucht
Obdachlosigkeit
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Wohnungslosigkeit
Paris
Obdachlosigkeit
Wohnungsnot
Obdachlosigkeit
Schwerpunkt Armut
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hausbesetzung in Berlin-Moabit: Mit Sympathien geräumt
Die Polizei beendet eine Besetzung in Moabit. Die Politik reagiert hilflos
auf den Leerstand der ehemaligen Unterkunft für Wohnungslose.
Wohnungslose in Berlin-Moabit: Schikanen im Gästehaus
Der Eigentümer einer Unterkunft für Wohnungslose will lieber Profit mit
Flüchtlingen machen. Doch die Betroffenen und der Bezirk wehren sich.
Von Flüchtlingen besetztes Gymnasium: In Paris wird konfrontativ geräumt
Eine Menschenkette vor der Schule will verhindern, dass die Polizei 277
Flüchtlinge aus dem Gebäude holt. Es kommt zu Tumulten.
Obdachlose in Berlin: Die Kältehilfe hat geholfen
Diakonie und Caritas ziehen eine positive Bilanz der Winterhilfe und loben
zudem den Senat. Nun ist ein neues Heim für Familien geplant.
Tages- statt Dauermieter: Gelegenheit für Miethaie
In Bremen wird derzeit durchexerziert, was in vielen Städten zu beobachten
ist: Hausbesitzer wollen MieterInnen los werden, um lukrative „Herbergen“
einzurichten.
Obdachlosenhilfe in München: „Jeder bekommt ein Bett“
In München muss im Winter niemand auf der Straße übernachten und dort
erfrieren. Der Sozialarbeiter Franz Herzog erklärt, warum.
Prognose über Wohnungsnot: Fast 540.000 Wohnungslose bis 2018
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe wirft der Regierung
Untätigkeit vor. 2018 werde es über eine halbe Million Menschen ohne Bleibe
geben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.