| # taz.de -- Triage von Corona-Kranken in Zittau: Entscheidung über Leben und T… | |
| > In einer Klinik im sächsischen Zittau ist der Ernstfall eingetreten. Es | |
| > gibt nicht genügend Beatmungsgeräte für alle Covid-Patient:innen. | |
| Bild: Was tun, wenn es nicht mehr genug Beatmungsgeräte gibt? | |
| Eigentlich sollte es am Dienstagabend nur eine Dialogrunde sein. Zum | |
| Austausch, zur Debatte, zur Information über das Pandemiegeschehen im | |
| sächsischen Landkreis Görlitz. Geladen waren verschiedene Gäste aus Zittau | |
| und dem Landkreis: Ein Citymanager, ein Journalist, der Oberbürgermeister | |
| von Zittau, das Gesundheitsamt. Und zwei Ärzte. | |
| Einer von Ihnen, Mathias Mengel, ärztlicher Direktor des Klinikums | |
| Oberlausitzer Bergland, verkündete wie nebenbei die Meldung, vor der | |
| Expert:innen seit Monaten gewarnt hatten: Die Überlastung der Klinik in | |
| Zittau aufgrund des Coronavirus ist so hoch, dass eine Auswahl getroffen | |
| werden muss, [1][wer beatmet wird und wer nicht]. | |
| Damit hat ein ärztlicher Direktor erstmals öffentlich bestätigt, dass das | |
| Konzept Triage in Deutschland im Umgang mit Coronakranken angewendet wird. | |
| Das Wort Triage ist aus dem Französischen abgeleitet und bedeutet Auswahl | |
| oder Sichtung. Es beschreibt die Einteilung von Patient:innen nach der | |
| Schwere ihrer Erkrankungen. | |
| Im Ernstfall kann das schnell zum ethischen Dilemma werden – nämlich dann, | |
| wenn weniger Behandlungskapazitäten bereitstehen, als es Kranke gibt. | |
| Bereits im April dieses Jahres veröffentlichte der Ethikrat eine | |
| „Ad-hoc-Empfehlung“, in der der ethische Konflikt einer Triage-Situation | |
| verdeutlicht wurde: Sollte es dazu kommen, dass entschieden werden muss, | |
| wer behandelt wird und wer nicht, seien „tragische Entscheidungen über | |
| Leben und Tod zu treffen“, so der Rat in seinem Papier. Das heißt: Wer | |
| Vorerkrankungen hat, wird im Ernstfall also nicht beatmet. | |
| ## Entscheidungen hängen von den Krankenhäusern ab | |
| Dieser Ernstfall ist nun in Zittau eingetreten: „Wir waren in den | |
| vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden | |
| mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“, sagte Klinikdirektor Mengel | |
| dem Nachrichtenportal t-online. Es werde in erster Linie versucht, die | |
| Patient:innen in eine andere Klinik zu verlegen. Erst wenn dies nicht | |
| möglich sei, entscheide ein kleines Team kurzfristig. Eine solche | |
| Entscheidung könne aber auch bedeuten, dass es für nicht verlegungsfähige | |
| Patient:innen überhaupt keine Hilfe mehr gibt. | |
| Für die taz war Mengel bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Das | |
| Klinikum äußerte sich lediglich in einer allgemeinen Presseerklärung. Darin | |
| heißt es, die intensivmedizinische Betreuung stoße „an die Grenzen des | |
| Leistbaren“. Alle Patient:innen erhielten die „bestmögliche Therapie“. | |
| Doch bestmöglich heißt eben nicht gleich gerecht: [2][Das zu knappe | |
| Personal] kann die Menge der Kranken nicht mehr ausreichend versorgen. | |
| Der Landkreis Görlitz gehört zu den derzeit am schlimmsten vom Virus | |
| betroffenen Gebieten. Der Personalnotstand verschärft die Lage noch, sogar | |
| positiv getestete Pflegekräfte werden eingesetzt. [3][Auch die Bundeswehr | |
| wurde bereits zur Unterstützung herangezogen]. Derzeit liegt die | |
| 7-Tage-Inzidenz im Landkreis Görlitz laut RKI bei 701,16 je 100.000 | |
| Einwohner:innen. 267 Corona-Patient:innen sind seit Beginn der Pandemie | |
| gestorben. | |
| Doch wer entscheidet überhaupt darüber, ob ein:e Patient:in beatmet wird | |
| oder nicht? Bereits Ende März veröffentlichte eine Expert:innen-Kommission | |
| von sieben medizinischen Fachgesellschaften eine Leitlinie mit | |
| klinisch-ethischen Handlungsempfehlungen im Falle einer Triage-Situation im | |
| Kontext der Coronakrise. | |
| ## Ausbruch einer Überforderungssituation | |
| Darin finden sich Kriterien zur Entscheidungsfindung und | |
| Prioritätensetzung, darunter Faktoren wie Komorbidität, Allgemeinzustand | |
| und andere medizinische Skalen. Bindend ist diese Leitlinie jedoch nicht. | |
| Es gibt keine Standardregeln, um diese Entscheidungen zu treffen – | |
| beispielsweise dazu, wie viele Ärzt:innen und wie viel ethisch geschultes | |
| Personal an dem Prozess beteiligt sein müssen. Die Entscheidungen hängen im | |
| Ernstfall von den jeweiligen Krankenhäusern ab. Auch ein Gesetz gibt es in | |
| Deutschland dazu nicht. | |
| Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt es ab, das ethische | |
| Dilemma politisch zu regeln und eine Verordnung dafür im Bundestag zu | |
| diskutieren. „Die Entscheidungen zwischen lebenswertem und weniger | |
| lebenswertem Leben sind medizinethische Fragen, über die der Bundestag | |
| nicht entscheiden darf.“ Sollte es zu einer solchen Debatte kommen, werde | |
| die SPD-Fraktion dies nicht mittragen. | |
| Für die kommenden Wochen erwartet er eine „schreckliche Situation“ auf den | |
| Intensivstationen. Denn: Alle Personen, bei denen das Virus in den | |
| kommenden Tagen ausbricht, sind bereits infiziert. Es stehe ein | |
| „dreiwöchiger Kampf gegen den Ausbruch einer Überforderungssituation“ | |
| bevor. | |
| Der Politiker betonte jedoch auch, dass in Zittau eine Sondersituation | |
| eingetreten sei. Sachsen habe „sehr lange gezögert“, sich zu klaren | |
| Lockdown-Entscheidungen zu bekennen. Außerdem habe Ministerpräsident | |
| Michael Kretschmer (CDU) immer wieder versucht, einen Kompromiss mit den | |
| „Querdenkern“ hinzukriegen. Kretschmer selbst hatte vor einigen Wochen | |
| gesagt, man habe das Virus „unterschätzt“. Am Mittwoch lobte er dann den | |
| „sächsischen Weg“. | |
| Um die Situation noch abzuwenden, sagt Lauterbach, hätte es bereits früher | |
| einen harten Lockdown geben müssen. Er hoffe, dass durch die späten | |
| Maßnahmen nun dennoch verhindert werden könne, dass deutschlandweit | |
| Triage-Entscheidungen getroffen werden müssten. Dafür müsse die | |
| Ausgangssperre aber über den 10. Januar hinausgehen – damit die | |
| Neuinfektionen flächendeckend so weit sinken, dass die Intensivkapazitäten | |
| für alle reichen. | |
| Korrektur (18.12.): In einer früheren Version des Artikels hatten wir | |
| behauptet, die Handlungsempfehlung aus dem März stamme von sieben | |
| medizinischen Fachangestellten. Gemeint waren allerdings sieben | |
| medizinische Fachgesellschaften. | |
| 16 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sarah Ulrich | |
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