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# taz.de -- Medizinische Versorgung mangelhaft: Abschied vom Landarzt
> Landärzt:innen finden oft keine Nachfolger:in für ihre Praxen. In die
> Lücke stoßen Medizinische Versorgungszentren. Doch wer hat dort das
> Sagen?
Bild: In der ZDF-Serie „Der Landarzt“ war die Welt noch in Ordnung. Die Rea…
Rendsburg taz | Die Praxis liegt unterm Reetdach, auf dem Hof picken Hühner
und alle Probleme sind in 45 Minuten gelöst: So war das damals beim
„Landarzt“, einer Vorabendserie im ZDF, in der von 1986 bis 2009
nacheinander drei Fernsehdoktoren heilten und menschelten. Dann war
Schluss, so wie es auch in der Realität [1][immer weniger „Landärzte“]
alten Schlages gibt.
Vor allem in dünner besiedelten Regionen fällt es schwer, Praxen
weiterzugeben, und in den kommenden Jahren wird sich das Problem
verstärken. Von den rund 1.200 Hausärzt:innen in Mecklenburg-Vorpommern
gehen Prognosen zufolge in den nächsten 15 Jahren 35 Prozent in den
Ruhestand.
In Schleswig-Holstein ist von den rund 1.900 Hausärzt:innen ein knappes
Drittel 60 Jahre oder älter, und in Niedersachsen könnten laut einer
[2][Evaluation des Gesundheitsministeriums] bis zum Jahr 2030 rund 1.000
hausärztliche Sitze frei bleiben.
Mit Geld, [3][Vergünstigungen im Studium] oder Hilfen bei der Übernahme
einer Praxis im ländlichen Raum versuchen die Landesregierungen und
Kassenärztlichen Vereinigungen dem drohenden Mangel entgegenzuwirken. So
hat Mecklenburg-Vorpommern [4][im Januar ein „Landarzt-Gesetz“ erlassen],
mit dem ein Teil der Studienplätze für Studierende reserviert ist, die
später in einer Dorfpraxis arbeiten wollen. Niedersachsen vergibt mit
gleicher Zielrichtung Stipendien.
## Desinteresse der Jungen
Doch die künstliche Beatmung der alten Landarzt-Strukturen scheitert am
Desinteresse der nachfolgenden Generation. Dabei geht es vielen gar nicht
so sehr um den Standort, sondern um die Arbeitsbedingungen. Immer weniger
Mediziner:innen wollen eine eigene Praxis. Zu viel Arbeit, zu hohe
Auflagen, zu große Haftungsrisiken, zu teure Investitionen sind die Gründe.
Das Phänomen ist nicht auf die Flächenländer beschränkt, auch in Städten
scheuen Ärzt:innen die Selbstständigkeit und lassen sich lieber anstellen.
Dafür gibt es seit einigen Jahren das Medizinische Versorgungszentrum, kurz
MVZ. In diesen Gemeinschaftspraxen neuen Typs arbeiten mehrere Ärzt:innen
als Angestellte unter einem Dach, sind entlastet von Geschäftsführung und
Organisation. Für die dort arbeitenden Angestellten sowie für die Kranken
kann das durchaus Vorteile haben. Aber es bedeutet auch eine Konzentration,
weil inzwischen Klinikkonzerne, Praxisverbünde und Investoren durchs Land
ziehen, freie Kassensitze übernehmen und Versorgungszentren eröffnen.
Im Blick sind vor allem die lukrativen Standorte, die guten Lagen in den
Städten oder Praxen in direkter Nachbarschaft eines Krankenhauses. So führt
die Schön-Klinik, laut Selbstbeschreibung die „größte familiengeführte
Klinikgruppe Deutschlands“, in Hamburg-Eilbek ein haus- und fachärztliches
Versorgungszentrum, und der Helios-Konzern hat eines in Schleswig im
Erdgeschoss der von ihm betriebenen Klinik eröffnet.
Doch diese oft bestens ausgestatteten Zentren wirken wie schwarze Löcher,
die aus den ärmeren Teilen der Städte und den dünn besiedelten Landesteilen
im Umkreis erst die freien Kassensitze und dann das Personal abziehen.
## Regeln wie an der Börse
Besonders betroffen sind fachmedizinische Sparten. Hier sind neue Akteure
entstanden, etwa die Hamburger Amedes-Gruppe. Deren Kernzelle waren zwei
Labore, die 1987 in Göttingen gegründet wurden, inzwischen ist daraus durch
Fusionen und die Übernahme von Kassensitzen ein Unternehmen mit 3.800
Beschäftigten an 40 Orten in Deutschland und Belgien geworden, das im Jahr
450.000 Patient:innen versorgt.
23 Standorte liegen in Niedersachsen, sieben in Hamburg. In
Schleswig-Holstein besitzt Amedes unter anderem eine belegärztliche Klinik
in Husum.
Die wachsende Konzentration bereitet inzwischen selbst Befürwortern der
Zentren Sorge. Peter Velling, Mediziner und Vorstandsvorsitzender des
Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren, warnt in einem im Internet
veröffentlichten Aufsatz vor einer Fehlentwicklung:
Neu seien Praxisübernahmen, bei denen „der eigentliche Ertrag damit erzielt
werden soll, dass die getätigten Investitionen nach einem ‚Aufhübschen‘ d…
Braut durch einen raschen Wiederverkauf potenziert werden“, schreibt er.
Das [5][Fachblatt Medical Tribune beschrieb bereits 2017] anhand des
US-Dialyse-Konzerns Da Vita, wie ein großer Player auf den deutschen Markt
vordringt und Arztsitze übernimmt.
Ein Gegenmodell existiert seit 2015 in Schleswig-Holstein: In Büsum
gründete erstmals eine Kommune ein Versorgungszentrum, weitere Orte sind
dem Beispiel gefolgt. Ist das der Weg, um junge Ärzt:innen aufs Land zu
locken? Im Herzen Schleswig-Holsteins, in der Landschaft Stapelholm, wo die
Flüsse Treene und Sorge heißen und das Leben noch nie einfach war, haben
sie gerade mit diesem Experiment begonnen.
Mehr Lesen Sie in der gedruckten taz am wochenende oder [6][hier]
9 Oct 2020
## LINKS
[1] /Aerztemangel/!5076479
[2] https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/service_kontakt/presseinformatio…
[3] /Aerztemangel-auf-dem-platten-Land/!5451327
[4] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Landtag-beschliesst-L…
[5] https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/praxismanagement/artik…
[6] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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