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# taz.de -- Gesundheitsforscher über Krankenhäuser: „Schließungen sind kei…
> Karl-Heinz Wehkamp erklärt, warum die Krankenhäuser nicht weniger werden
> sollten und kleine Häuser nicht schlechter sein müssen als große.
Bild: Soll mit zwei anderen Häusern zusammengelegt werden: Die Ubbo-Emmius-Kli…
taz: Herr Wehkamp, wie steht das deutsche Gesundheitssystem in
Coronazeiten da?
Karl-Heinz Wehkamp: Die Bundesrepublik schlägt sich international in Bezug
auf die Coronakrise recht gut. Dazu tragen die [1][Public-Health-Kompetenz
der Regierung] bei und dass viele Menschen die Botschaft verstanden haben.
Auch das Gesundheitssystem bringt Vorzüge mit: Viele Patienten wurden schon
im Hausärztesystem aufgefangen und gut erstbehandelt. Die niedrigere
Sterblichkeit liegt auch an den Krankenhäusern.
Sind die Kliniken also gar nicht kaputtgespart, wie Sie mal behauptet
haben?
Unter [2][extrem hohem persönlichen Einsatz der Mitarbeite]r leisten die
Krankenhäuser bisher gute Arbeit. Aber viele mussten dafür zusätzliche
finanzielle Unterstützung vom Staat anfordern. Im Fallpauschalensystem gibt
es keine ausreichenden Mittel, um mit einer Krise zurechtzukommen – und
schon vor Corona haben sich [3][viele Krankenhäuser in Insolvenzgefahr]
befunden. Wenn nicht der Wille bestünde, außergewöhnliche
Finanzierungshilfen zu gewähren, würden gerade viele Kliniken vom
sogenannten Krankenhausmarkt verschwinden.
Letztes Jahr wurde in einer [4][Bertelsmann-Studie] gefordert, die Zahl der
[5][Krankenhäuser zu reduziere]n, um die Qualität zu erhöhen. Vielleicht
wäre es gar nicht schlimm, wenn kleine Kliniken schließen müssten?
Bis zur Coronakrise war von Überkapazitäten die Rede, wenn irgendwo
Intensivbetten frei waren. Nun ist man froh, in dieser Hinsicht in
Deutschland gut aufgestellt zu sein. Ein schrittweises Krankenhaussterben
nach ökonomischen Gesichtspunkten kann nicht die Lösung sein. Das Ziel muss
eine wohnortnahe, menschengerechte Versorgung sein. Wenn man Kliniken
schließt, braucht man entsprechende Alternativen.
Aber man könnte Kliniken schließen und durch Gesundheitszentren ersetzen?
Es gibt Argumente für die Verringerung: Schlechte Krankenhäuser können
tatsächlich zu Fallen für Patienten werden, wenn sie dort nicht die
Versorgung bekommen, die nötig wäre. Die Qualität bemisst sich aber nicht
zwangsläufig nach klein oder groß.
Kleine Krankenhäuser schneiden laut Bertelsmann-Studie schlechter ab.
Ja, die gemessenen Ergebnisse sind oft schlechter. Aber das ist eine
Korrelation, keine Kausalität. Es gibt kein Naturgesetz, wonach die
Qualität der Versorgung von der Größe abhängt. Tatsächlich sind unter den
aktuellen Wettbewerbsbedingungen kleinere Häuser oft unzureichend
ausgestattet. Wären kleine Kliniken personell und materiell besser
gestellt, würde auch die Qualität stimmen. Die Frage, ob groß oder klein,
ist falsch gestellt. Einheiten unterschiedlicher Größe und Art müssten
durch Kooperation Netzwerke bilden. Die Lösung liegt in der
Spezialisierung. In Bayern sind viele kleine Krankenhäuser jeweils in einem
Gebiet hoch spezialisiert.
In Dänemark soll die Bevölkerung mit nur acht Großkliniken versorgt werden.
Das dänische Modell ist [6][ein noch nicht abgeschlossenes Experiment] im
Rahmen eines staatlichen und steuerfinanzierten Systems. Von daher ist es
schwer übertragbar. Die Konzentration auf wenige Standorte verlängert die
Anfahrzeiten, ein Problem für die ländlichen Regionen. Minuten können über
Leben und Tod entscheiden. Schließlich beruht das dänische System auf einer
maximalen Digitalisierung aller Prozesse, was sicherlich der Wirtschaft
dient, was aber auch sehr störanfällig sein kann.
Was stört Sie an der Digitalisierung?
Der Anspruch einer totalen digitalen Kontrolle aller Prozesse, Geräte und
Mitarbeiter. Mir wäre es lieber, wenn der Gedanke der Gesundheitsförderung
bezogen auf Patienten und Personal und die menschliche Zugewandtheit im
Vordergrund stünden. Ich befürchte eine fabrikmäßige Ökonomisierung unterm
Primat der Effizienz, also ein Fabrikmodell unter betriebswirtschaftlicher
und ingenieurstechnischer Führung. Aber vielleicht liege ich da auch
falsch. Mir persönlich ist Dänemark jedenfalls bislang kein Vorbild.
Ist die Forderung nach zentralen Krankenhäusern denn aus epidemiologischer
Sicht noch zeitgemäß?
In der Wirtschaft gehen die Trends in Richtung Konzentration, unter dem
Gesichtspunkt drohender Infektionen müsste es bei Krankenhäusern umgekehrt
sein. In Zeiten von Louis Pasteur und [7][Robert Koch,] den großen
Forschern zu den Infektionskrankheiten, wurden Krankenhäuser im
Pavillonstil gebaut, da man davon ausging, dass sich Infektionen in
zentralen Häusern gefährlich schnell verbreiten könnten. Man sieht das noch
allerorten: in Hamburg-Eppendorf, in Ochsenzoll, auch in Bremen-Mitte und
-Ost.
Was hat sich seitdem geändert?
Seit den Siebzigerjahren wurden Krankenhäuser nur noch als große Zentralen
gebaut – die sind leichter zu organisieren, effizienter und damit scheinbar
wirtschaftlicher. Es scheint sich die Meinung durchgesetzt zu haben, dass
die Menschheit nun die Infektionskrankheiten endgültig besiegt habe. Die
aufkommenden Antibiotikaresistenzen, Aids, fortbestehende Grippe- und
Masernepidemien haben uns das Gegenteil gelehrt.Wenn [8][nun wegen Corona
ganze Abteilungen geschlossen] werden, zeigen sich die Vorteile der
kleineren Einheiten.
Die drei Krankenhäuser Emden, Aurich und Norden sollen bald durch [9][ein
neues zentrales Haus] ersetzt werden. Die Bevölkerung hat 2019 dafür
gestimmt.
In Aurich wurde mit schwacher Mehrheit dafür gestimmt, in Emden gab es
zunächst eine Volksabstimmung dagegen und erst unter erheblichem Druck und
Einschüchterung der Bevölkerung kam es zu einer knappen Mehrheit. Der
Bürgermeister und andere Entscheidungsträger drohten, andernfalls würde es
in der Region gar keine medizinische Versorgung mehr geben. Nach wie vor
gibt es Bürgerproteste gegen das Zentralklinikum.
Was wäre denn eine Alternative?
Ich habe für einen Kooperationsverbund der drei Häuser plädiert, in dem
jedes Haus spezielle Expertise hat. Ein Zentralklinikum in einem Dorf in
der Mitte ist kein attraktiver Ort für das Personal, die Anfahrtswege
nehmen zu viel Zeit in Anspruch. Es gibt mehrere Beispiele von
Verbundkliniken in ähnlich weit voneinander entfernten Städten mit
abgestimmter Arbeitsteilung und ausreichendem wirtschaftlichem Erfolg unter
Wahrung der Wohnortnähe.
Aber kann eine so rar besiedelte Region wirklich drei Krankenhäuser
betreiben?
Emden hat gut 50.000 Einwohner, Aurich 40.000, Norden 30.000, dazu kommen
die Landkreise und die Inseln mit hohen Touristenzahlen. Von einer
Überversorgung kann da keine Rede sein, drei Häuser sind wirklich nicht zu
viel. Ich gehe davon aus, dass ein Zentralklinikum auf dem platten Land die
Versorgung nicht verbessert. Stattdessen gibt es längere Transportzeiten
für Patienten und Angehörige, wesentlich mehr Individualverkehr, größere
Probleme der Personalgewinnung und Verluste für die städtische
Infrastruktur. Immerhin gehören Krankenhäuser zu den größten Arbeitgebern
der Stadt. Und wenn die knappen Geldmittel in den Neubau fließen, der sehr
viele Jahre braucht bis zur Fertigstellung, dann stehen für die nötigen
Instandhaltungsinvestitionen nicht genug Mittel zur Verfügung.
Was ist, wenn Patienten mehrere Erkrankungen gleichzeitig haben? Ist es in
kleineren Spezialkrankenhäusern nicht viel komplizierter, Menschen auf die
richtigen Stationen zu verlegen?
Dann braucht es eine gute Kommunikation und Koordination zwischen den
medizinischen Abteilungen und ein Konzept für Beratungen und Verlegungen,
das frei ist von jedweder wirtschaftlichen Überlegung. Es muss nicht jede
medizinische Kompetenz an jedem Ort sein. Das jetzige Finanzierungsmodell
weist der zuletzt versorgenden Abteilung die höhere Einnahme zu, so dass es
zu einer Konkurrenz um diese Fälle kommen kann– sogar innerhalb eines
Krankenhauses, zwischen zwei Abteilungen.
Wenn Sie sich ein Gesundheitssystem basteln dürften – wie sähe es aus?
Das Fundament muss geändert werden. Die jetzige Struktur des
Gesundheitssystems sieht die Kliniken als Kern einer Gesundheitswirtschaft,
die [10][entsprechend auf Gewinnerzielung, Wettbewerb und Wachstum]
ausgerichtet ist. Eine Senkung von „Gesundheitskosten“ darf es in einer
Wachstumsbranche schon gar nicht geben. Unter diesen Rahmenbedingungen
haben Großkliniken und Krankenhauskonzerne einen Vorteil. Ob das für die
Qualität von Medizin und Pflege mehr Vorteile bringt als ein eher
dezentrales, gemeinwirtschaftlich ausgerichtetes Modell wage ich zu
bezweifeln. Der betriebswirtschaftliche Gewinn sollte nicht länger der
Motor sein, und der Kaufmann sollte nicht länger der Letztentscheider im
Krankenhaus sein.
12 May 2020
## LINKS
[1] /Merkels-Ansprache-zu-Corona/!5672371
[2] https://www.dw.com/de/pflege-auf-der-corona-station-du-kannst-den-menschen-…
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/234031/umfrage/entwicklung-d…
[4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/…
[5] /Bertelsmann-Studie-zu-Krankenhaeusern/!5606973
[6] https://www.arte.tv/de/videos/095880-000-A/daenemark-umstrittene-krankenhau…
[7] /!5675493/
[8] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/corona-bremerhaven-kl…
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Zentralklinik_Georgsheil
[10] /Privatisierung-des-Gesundheitswesens/!5544982
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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