# taz.de -- Hausärztin über Arbeit auf dem Land: „Eine andere Bindung zum P… | |
> Kristina Spöhrer ist Hausärztin in Winsen/Luhe. Der Ärzt*innenmangel auf | |
> dem Land habe verschiedene Gründe, sagt sie. | |
Bild: Hier kann es schon mal voll werden: Wartezimmer bei einem Arzt | |
taz: Frau Spöhrer, [1][die Ärztin auf dem Land], die immer erreichbar sein | |
muss, auch am Wochenende – ist das ein Klischee oder noch die Wirklichkeit? | |
Kristina Spöhrer: Nein, das ist nicht mehr so. Da gibt es einen großen | |
Strukturwandel. Ich kann die Menschen als Hausärztin begleiten und sie gut | |
versorgen, obwohl ich nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehe. Ich kann | |
mit meinen Patienten ja vereinbaren, wann Sprechzeiten sind, wann ich | |
erreichbar bin. Und darüber hinaus gibt es eine Notfallversorgung. | |
Was unterscheidet denn die Ärztin auf dem Land von der in der Stadt? | |
Ich habe zwischendurch noch ländlicher gearbeitet als jetzt und ich denke, | |
je ländlicher man ist, je mehr man der letzte Ansprechpartner ist, der | |
überhaupt noch zu erreichen ist, desto mehr muss man die gesundheitlichen | |
Probleme der Patienten lösen. Da kommt häufiger die Nachfrage: „Können wir | |
das nicht hier machen? Muss ich wirklich zum Röntgen? Da fahre ich eine | |
Dreiviertelstunde hin.“ Dann gibt es keine Termine beim nächsten Facharzt. | |
Und je mehr solcher Probleme ich lösen muss, desto schwerer fällt natürlich | |
die Abgrenzung. Andererseits, so habe ich es erlebt, je städtischer die | |
Menschen leben, desto mehr gehen sie mal dort und mal hier hin zum Arzt. Da | |
laufen dann eher Behandlungen parallel. Das finde ich unglücklich, auch | |
weil eine gute Behandlung dann schwieriger wird. | |
Warum sind Sie Hausärztin in einer ländlichen Region geworden? | |
Die Grundsatzentscheidung, dass ich mich gerne niederlassen möchte, hat | |
sich im Rahmen meiner Weiterbildungszeit zur Allgemeinmedizinerin | |
entwickelt. Mit einer eigenen Niederlassung kann man noch am ehesten die | |
Rahmenbedingungen für sich selbst festlegen. | |
Und warum ist es Winsen geworden? | |
Ich hatte einen Teil meiner Weiterbildung hier absolviert und war mit der | |
Praxis in Kontakt geblieben. Und weil sie dann jemanden gesucht haben, bot | |
es sich an, hier einzusteigen. Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt | |
und die Praxis ist von meinem Zuhause aus gut zu erreichen. | |
Aber das Risiko ist auch recht hoch, oder? Sie sind ja selbstständig. | |
Der Wunsch, selber gestalten zu können, ist bei mir einfach sehr groß. Wenn | |
ich mir vorstelle, in einer Praxis zu arbeiten, in der eine andere | |
Patientenbindung gelebt wird als bei uns, das würde mir sehr schwer fallen. | |
Was genau meinen Sie, wenn Sie „Patientenbindung“ sagen? | |
Wir haben in unserer Praxis Hausarztverträge. Ich finde einfach, wir | |
brauchen dieses koordinierte System, wo Patienten einen Ansprechpartner | |
haben, der Bescheid weiß über seine Geschichte. Das macht für mich ganz | |
viel Hausarztsein aus! Denn so ergibt sich eine ganz andere Bindung zum | |
Patienten und letztendlich zu ihm als Menschen. Ich als Hausärztin sehe | |
mich als zentraler Dreh- und Angelpunkt in der Gesundheitsfürsorge der | |
Patienten und möchte erster Ansprechpartner sein, der dann die weitere | |
Behandlung und Kontakte, auch zu Fachärzten, koordiniert. Und gemeinsam mit | |
meiner Kollegin kann ich das hier so umsetzen. | |
Sie arbeiten also nicht allein. Das ist bestimmt ein Vorteil. Ich kann mir | |
vorstellen, dass einige die Niederlassung auf dem Land fürchten, weil sie | |
sich allein gelassen fühlen könnten. | |
Ich genieße es total, nicht alleine zu arbeiten. Wenn ich eine medizinische | |
Fragestellung habe, kann ich meine Kollegin hinzurufen. Wenn mein Kind | |
plötzlich krank ist, kann ich sie bitten, für mich einzuspringen. Das ist | |
sehr wichtig. Das war früher sicherlich anders, da hieß es: Das sind meine | |
Patienten, pfusch mir nicht rein. Aber da gibt es einen Sinneswandel. Die | |
Vernetzung zwischen den Kollegen und Kolleginnen ist sehr wichtig. | |
Nun fehlen auf dem Land aber Ärzt*innen. Was glauben Sie, woran liegt das? | |
Ich glaube, da kommen ein paar Sachen zusammen. Die Allgemeinmedizin wird | |
meiner Meinung nach während der universitären Ausbildung nach wie vor | |
stiefmütterlich behandelt. Die Institute für Allgemeinmedizin an den Unis | |
bestehen im Vergleich zu anderen Fakultäten und Instituten noch nicht so | |
lange, sodass wir auch deshalb einen Mangel an Kolleginnen und Kollegen | |
haben, die die Allgemeinmedizin als Fach für sich als Möglichkeit sehen. | |
Hinzu kommt, dass es ja auch in anderen ländlichen Bereichen einen | |
Strukturwandel gibt. Die Post ist nicht mehr vor Ort, die Bank nicht mehr, | |
keine Kita oder Schule. Und überall, wo eine solche Infrastruktur | |
wegbricht, ist es auch schwerer, eine Hausärztin oder einen Hausarzt zu | |
finden, zumal, wenn diese keine familiäre Anbindung an den Ort haben oder | |
aus der Region selbst stammen. | |
Gilt das auch für andere Fachrichtungen? | |
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hat kürzlich [2][eine Studie] | |
vorgestellt, in der auch bei Augenärzten, HNO-Ärzten, Hautärzten, | |
Nervenärzten und Urologen eine Unterversorgung in den ländlichen Bereichen | |
prognostiziert wird. Aber generell ist es jetzt schon so, dass die | |
ländliche Versorgung schwerpunktmäßig von Hausärzten getragen wird. | |
Welche Folgen hat der Ärzt*innenmangel auf dem Land für die Menschen, die | |
dort leben? | |
Wir erleben immer wieder, dass Patienten auf dem Land, aber inzwischen auch | |
in sozialen Brennpunkten in Städten,keinen Hausarzt finden und sie uns bei | |
ihrem ersten Kontakt mit der Praxis berichten, dass sie drei Jahre gesucht | |
haben. Gerade bei multimorbiden Patienten, also Patienten, die mehrere | |
Erkrankungen haben, wird es so schwierig, regelmäßige Kontrollen | |
durchzuführen. Und es ist auch schlecht für den Verlauf der Erkrankung, | |
wenn es keine Kontinuität in der Behandlung gibt. Das ist natürlich | |
problematisch. Es ist eine Herausforderung, die Versorgung in ländlichen | |
Bereichen zu sichern. Dafür braucht es Lösungskonzepte. | |
Haben Sie konkrete Ansätze? | |
Da muss vieles Hand in Hand gehen. In Bleckede beispielsweise gibt es einen | |
Ruf-Fahrdienst der Kommune, der die Menschen zum Arzt bringen kann. Wenn | |
die Kommunen wieder einen Hausarzt haben wollen, müssen sie sich überlegen, | |
was sie anbieten können. Zum Beispiel einen Raum anmieten, in dem der Arzt | |
aus dem Nachbarort ein- oder zweimal die Woche Sprechstunde hat. | |
Es gibt auch Ideen, die schon beim Studium anfangen, beispielsweise die | |
Landarztquote... | |
Ja, solche Ansätze gibt es, aber sie werden nicht immer konsequent | |
verfolgt. Da wird lange diskutiert, zum anderen ist es eine Kostenfrage und | |
dann gibt es plötzlich vermeintlich drängendere Probleme. Ich denke, es | |
gibt nicht nur den einen Ansatz, der hilft. Da müssen viele Ansätze | |
ineinandergreifen. | |
Könnte nicht vielleicht auch die Bezahlung eine Rolle spielen? | |
Hausärzt*innen verdienen sicherlich weniger als Herzchirurg*innen. | |
Ich glaube schon. Als Medizinstudent spielt bei der Wahl der Fachrichtung | |
sicherlich auch eine Rolle, wie viel ich wo verdienen kann. Es ist | |
menschlich, dass man sich für Wege entscheidet, die besser vergütet werden. | |
Hier müssen Krankenkassen und Politik letztlich entscheiden, welche Gelder | |
wofür ausgegeben werden sollen. | |
Als ein Grund für den Ärzt*innenmangel wird der [3][steigenden Frauenanteil | |
in dem Beruf] angeführt. Frauen würden andere Lebensmodelle wählen als | |
Männer, eventuell weniger Verantwortung übernehmen wollen. Was halten Sie | |
davon? | |
Ich finde, man sollte sich freuen, dass so viele Frauen Ärzt*innen werden | |
wollen. Dieses Argument ist vorgeschoben. Ich erlebe in der gesamten | |
Gesellschaft einen Wandel in der Frage, wie Beruf und Familie verstanden | |
werden. Ich glaube nicht, dass männliche Kollegen es erstrebenswert finden, | |
eine 80-Stunden-Woche zu haben und ihre Familie nicht mehr zu sehen. Bei | |
allen Kollegen, mit denen ich spreche, egal ob Männer oder Frauen, ist der | |
Anspruch vorhanden, Teil der Familie und nicht nur ein Schatten zu sein, | |
der zu Hause mal durchgeistert. | |
Sind die Strukturen des Ärzt*innenberufs also einfach zu veraltet? | |
Wir kommen aus einer Zeit, in der 36-Stunden-Schichten in der Klinik die | |
Regel waren, man den Chefarzt nicht zur falschen Zeit ansprechen durfte und | |
es extreme Hierarchien gab. Die Patientenkommunikation lief in der Regel | |
so: Ich bin Doktor, du Patient, und ich entscheide. Das alles bricht auf | |
und ich persönlich begrüße das sehr. Für mich war das zum Beispiel bei | |
meiner Ausbildung in der Klinik sehr schlimm. Daher fiel für mich mit der | |
Geburt meiner Kinder auch die Entscheidung, die Klinik zu verlassen und die | |
Selbstständigkeit anzustreben. Ich habe da Kolleginnen gesehen, die | |
versucht haben, im Krankenhaus Teilzeit zu arbeiten. Die sind nur | |
umhergerannt, um ja nur die Aufgaben zu schaffen. Aber ich glaube, auch da | |
kommt viel Bewegung rein. Es gibt auf Twitter beispielsweise die Bewegung | |
„[4][Twankenhaus]“. Da wird, wie ich finde, sehr positiv diskutiert, wie | |
wir das System verändern können. | |
Da, wo für Praxen keine Nachfolger*innen gefunden werden, [5][kaufen auch | |
private Konzerne Arztsitze auf]. Was halten Sie davon? | |
Das ist im Städtischen deutlich ausgeprägter als im Ländlichen. Hamburg | |
beispielsweise muss da sehr aufpassen. Das ist eine sehr ungute | |
Entwicklung. Denn was treibt denn einen Konzern dazu, einen Arztsitz zu | |
kaufen? Wahrscheinlich das Ziel, Geld zu erwirtschaften, manchmal auch noch | |
für Aktionäre. Da sollte man sich wirklich fragen, ob man das als | |
Gesellschaft will. | |
12 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Medizinische-Versorgung-mangelhaft/!5717094 | |
[2] https://www.kvn.de/internet_media/%C3%9Cber+uns/Termine/KVN_Symposium_+%C3%… | |
[3] /Aerztinnenmangel-auf-dem-Land/!5553782 | |
[4] https://twitter.com/twankenhaus?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctw… | |
[5] /Krankenhauskonzerne-kaufen-Arztpraxen/!5538109 | |
## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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