# taz.de -- Mouctar D. über Leben im Lager: „Sie zerbrechen deine Träume“ | |
> Seit 15 Monaten lebt Mouctar D. in der Erstaufnahme des Landes Bremen. Im | |
> Interview erzählt er, warum er diese nur als eine Hölle bezeichnen kann | |
Bild: An der Demo Mitte April konnte Mouctar D. wegen Quarantäne nicht teilneh… | |
taz: Herr D., was bedeutet es, Ramadan [1][in der Lindenstraße] zu begehen? | |
Mouctar D.: Das ist eine Katastrophe. Einmal lebst du da ja nicht alleine, | |
sondern mit sehr vielen Menschen zusammen. Eine Intimsphäre gibt es da | |
nicht. Außerdem ist das Essen wirklich nicht gut. | |
Warum ist das im Ramadan wichtiger als sonst? | |
Für uns Muslime ist das ein heiliger Monat. Du darfst in dem ganzen Monat | |
keine Dummheiten begehen, [2][die Gebete sind besonders wichtig] und du | |
musst die Fastenregeln einhalten. Wenn du mit vielen Leuten zusammen bist, | |
von denen viele nicht fasten, wenn du dir zum Beispiel mit Nichtmuslimen | |
das Zimmer teilen musst, oder sie auch nur direkt nebenan wohnen, dann ist | |
das sehr schwierig. | |
Warum? | |
Naja, die Wände zwischen den Zimmern reichen oben nicht an die Decke. | |
Das sind nur so Raumteiler? | |
Ja, provisorische Wände: Man hört also immer, was im Nachbarraum passiert. | |
Und wenn du beten willst – fünfmal am Tag – und direkt dabei sind Leute, | |
die Musik hören, oder sich streiten: Das nervt, beide Seiten natürlich. Wir | |
haben uns das ja alle nicht ausgesucht, da zu leben und gemeinsam dort zu | |
leben. Wir sind gezwungenermaßen dort zusammen. Das macht einen total | |
fertig. | |
Sie erleben ja schon den zweiten Ramadan dort: Vergangenes Jahr war die | |
Belegdichte viel höher. War das schlimmer? | |
Natürlich war das schlimmer, was das Wohnen angeht und die Betzeiten. Es | |
waren sehr viel mehr Leute im Lager. Aber damals gab es wenigstens dann das | |
[3][Fastenbrechen] in der Moschee: Da sind diejenigen aus der Lindenstraße | |
dann gemeinsam hingegangen, die den Ramadan feiern. Und dort konnten wir | |
dann auch essen. Denn das, was uns von offizieller Seite ins Lager gebracht | |
wird, das ist einfach nur ekelhaft. Reis, der nicht richtig gegart ist, | |
Kartoffeln, die noch nicht durch sind, Hühnerfleisch, das riecht, als wäre | |
es schon drüber … | |
Hat sich das nicht gebessert? | |
Nein: Das ist echt ungenießbar. Ich weiß gar nicht, wie man auf die Idee | |
kommen kann, eine solche Nahrung menschlichen Wesen zuzumuten. Zum Glück | |
kochen [4][Freunde von „Together We Are Bremen“] in der Stadt für uns und | |
bringen es in die Einrichtung. Wenn die das nicht machen würden, keine | |
Ahnung, was ich dann machen würde. Ich habe noch nie während des Ramadan in | |
dem Lager gegessen. | |
Sie sind nicht der einzige Bewohner, der fastet: Hat sich der Caterer denn | |
gar nicht darauf eingestellt? | |
Nein, gar nicht. Die Leute, die fasten, bekommen dasselbe wie die Leute, | |
die den Ramadan nicht begehen. Finde ich unerklärlich. | |
Das allabendliche Fastenbrechen ist ein Fest … | |
Das sollte es sein. Und ich finde, das sollte respektiert werden. Das ist | |
eine Tradition, die heilig ist. Natürlich hast du großen Hunger, wenn du | |
den ganzen Tag nichts gegessen hast. Klar, vergangenes Jahr, in der | |
Moschee, da gab es dann abends auch viel zu essen. Aber hier: Allein diesen | |
Fraß nur anzuschauen erregt Brechreiz. Puh. | |
Sie sind gerade aus der Quarantäne entlassen worden. Wie waren Sie da | |
reingekommen? | |
Anfangs hatten wir ja [5][demonstriert], weil wir Angst hatten vor der | |
Pandemie. | |
Das war sehr früh, noch bevor es mit den anderen staatlichen Maßnahmen | |
richtig losging: Warum war Ihnen klar, dass Corona ein Problem sein würde | |
in der Lindenstraße? | |
Jeder, der es hätte sehen wollen, hätte das sehen müssen, auch die | |
Gesundheitssenatorin und die Sozialsenatorin Frau Stahmann: Einerseits | |
hatten alle mitgekriegt, wie schnell sich die Epidemie in China | |
ausgebreitet hatte. Und: Wir sind da in einer Unterkunft mit sehr vielen | |
Leuten untergebracht. Wir haben auf einem Flur Toiletten und Duschräume, | |
die wir gemeinsam nutzen müssen. Die Zimmer sind nicht richtig voneinander | |
abgetrennt, die Luft zirkuliert in der Einrichtung – und Durchlüften ist | |
nicht möglich. Schon damals war davon die Rede, dass sich das Virus mehrere | |
Stunden, drei oder fünf, in der Luft hält. Wie hätten wir uns da nicht | |
infizieren sollen? Zumal eben einfach weiterhin Leute von außen ins Lager | |
reingesetzt worden sind. Es ist wirklich kein Wunder, dass das Virus dort | |
so sehr gewütet hat wie sonst nirgends in der Stadt. | |
Ja, 170 Infizierte, rund zehn Prozent aller gemeldeten des Landes – für den | |
Senat kam das unerwartet? | |
Nein. Allen war klar, was hier passieren würde. Wir haben uns fast alle | |
angesteckt. Ich war einer der ersten, die in Quarantäne gekommen sind, 14 | |
Tage lang. Zum Glück habe ich keinerlei Symptome entwickelt: Ich bin | |
gesund. Aber ich sitze immer noch in der Lindenstraße. | |
Wie die anderen auch? | |
Nein, auch das ist seltsam: Zu Beginn der Quarantäne waren wir zu viert im | |
Zimmer. Einer von uns ist nach Magdeburg verlegt worden, ein anderer nach | |
Gröpelingen. Wir zwei müssen hier bleiben, immer noch, und ehrlich gesagt | |
ärgert mich das auch ein bisschen: Ich habe eine ganze Reihe von Freunden, | |
die hier innerhalb von Bremen ein anderes Quartier bekommen haben | |
mittlerweile. Ich nicht. Dabei bin ich schon lange hier. Und meine | |
Quarantäne war Ende vergangene Woche vorbei. Wenn ich das den Leuten von | |
der Awo sage, heißt es natürlich nur, wir sind nicht zuständig, ich müsse | |
mich halt gedulden, vielleicht käme ich morgen dran oder am Montag. Und das | |
ist es dann. | |
Sie kommen nicht weiter? | |
Nein, gar nicht: Ich soll das einfach aushalten. Das ist echt hart. | |
Ist denn das Gebäude selbst ein Problem, oder wird es jetzt alles gut, wenn | |
nur noch 250 Menschen dort leben? | |
Dieses Gebäude ist niemals dafür gedacht gewesen, Menschen zu beherbergen, | |
da bin ich ganz sicher: Die Fenster sind dicht, durchlüften ist völlig | |
unmöglich, Trinkwasser müssen wir von den Klowaschbecken holen, das | |
funktioniert vielleicht für Büros oder als Behelf – aber zum Leben? Das ist | |
hier echt scheiße, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, es macht dich | |
völlig fertig. Diese Lindenstraße ist eine Hölle. | |
Das ist ein hartes Wort. | |
Ja, aber ich habe kein anderes. Ich habe auf meinem Weg hierher wirklich | |
heftige Dinge erlebt. Ich komme aus Guinea, ich habe zu Fuß die Wüste | |
durchquert, ich habe Sachen gesehen, die kann ich nicht schildern. Es tut | |
einfach noch zu weh. Aber hierher kommen und dann – ich kann das schwer | |
erklären. Es gibt schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Babys dort, ein | |
paar Wochen alt nur. Die müssen da leben, beengt, wie in einer | |
Sardinenbüchse. Was soll das? Warum macht man das mit uns? Das ist nicht | |
gut. Es ist nicht gut. Es ist nicht gut, menschliche Wesen so zu behandeln | |
auf diese Weise. Es ist … | |
Sollen wir eine Pause machen …? | |
Nein, lass uns weitermachen, entschuldigen Sie. Ich bin … Und jetzt stellen | |
Sie sich vor: 15 Monate an diesem Ort, ein Raum, den du mit anderen teilen | |
musst, aber kein eigenes Zimmer, keine Privatsphäre, keine Luft zum Atmen, | |
das ist doch nicht normal. | |
Aber es hat nur eine kleine Gruppe dagegen protestiert? | |
Nein, das stimmt nicht. Es waren nicht alle Bewohner*innen, ein paar haben | |
sich nicht getraut, und an den Demonstrationen durften nachher ohnehin nur | |
ein paar teilnehmen. Aber die meisten wollten. | |
Was heißt „ein paar haben sich nicht getraut“? | |
Sie haben Angst vor Repression: Wer in der Lindenstraße lebt, hat keine | |
Rechte. Meinungsfreiheit gibt es dort nicht. Wenn du mit einem Mitarbeiter | |
oder einer Wache streitest, dann drohen Sie dir mit Verlegung – entweder in | |
ein anderes Lager in Bremen, oder in irgendein anderes Bundesland. | |
Verlegung aus der Hölle ist ja keine Drohung? | |
Raus aus Bremen wäre schon eine Drohung: Bremen ist eine gastliche Stadt. | |
Es gibt viele Menschen hier, die offen sind für Immigrant*innen. Du kommst | |
nach Bremen, weil das bekannt ist, und weil du weißt, hier wäre das | |
möglich, was du vorhast. Wir kommen ja hierher mit unseren Hoffnungen, | |
unseren Plänen und Zielen. Du möchtest ja etwas aus dir machen. Aber sie | |
zerbrechen deine Träume. | |
Mit welchen Träumen sind Sie von Guinea aufgebrochen? | |
Ich wollte auf die Schule gehen, das war zu Hause nicht möglich, weil meine | |
Mutter nicht reich genug war, um die Ausbildung zu bezahlen. Ich hatte auch | |
[6][davon geträumt, Fußballer] zu werden. Das war es: Bildung und Fußball. | |
Und eine gute Arbeit. Deshalb habe ich mein Land verlassen. Aber jetzt, | |
hier – verstehe ich mein Leben nicht mehr. | |
Sie hängen fest? | |
Das trifft es. Ich bin jetzt seit über einem Jahr da in der Lindenstraße, | |
seit 15 Monaten. Ich weiß noch immer nicht, ob man mich hier in Bremen | |
leben lässt, oder ob ich morgen in eine andere Stadt verlegt werde. Davor | |
habe ich richtig Angst, denn ich kenne jetzt hier so viele Leute. Ich habe | |
Freunde, mein Fußballteam. Ich bin zur Schule gegangen. Ich mache wirklich | |
viel, um mich zu integrieren – es ist, als könnte ich nie genügen. Da ist | |
immer diese Angst in der Magengrube, dass ich morgen den Bescheid kriege, | |
verlegt zu werden, und ich wieder ganz von vorn anfangen muss. | |
11 May 2020 | |
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[2] https://www.gebetszeiten.de/Bremen/gebetszeiten-Bremen/161596-dit17de | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Iftar | |
[4] https://togetherwearebremen.org/ | |
[5] /Gefluechtete-im-Heim-alleine-gelassen/!5668846 | |
[6] https://www.fr.de/panorama/traum-einem-besseren-leben-11248430.html | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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