# taz.de -- Bremen drangsaliert Geflüchtete: Anlassloser Blick ins Zimmer | |
> Bremens Sozialsenatorin missachte Grundrechte der Menschen in | |
> Übergangswohnheimen, sagt der Flüchtlingsrat. | |
Bild: Anja Stahmann (rechts) kontrolliert 2016 eine Not-Unterkunft: Völlig oka… | |
BREMEN taz | Mit täglichen Zimmerkontrollen, die bestenfalls an | |
Knastroutinen erinnern, traktiert die Bremer Sozialsenatorin Geflüchtete, | |
die in sogenannten Übergangswohnheimen untergebracht sind. Zudem werden die | |
Bewohner mit dem Rauswurf bedroht, sollten sie sich einmal über 24 Stunden | |
nicht beim Wachpersonal melden. | |
Eine entsprechende Anweisung aus dem [1][Ressort von Anja Stahmann] (Grüne) | |
[2][dokumentiert der Bremer Flüchtlingsrat] – verbunden mit der | |
Aufforderung, die Praxis sofort zu beenden. | |
In einem Schreiben, das nach taz-Erkenntnissen direkt von der Leitungsebene | |
des Fachreferats stammt, wird festgelegt, dass die mit dem Objektschutz | |
betrauten Security-Kräfte eine „Anwesenheitskontrolle“ durchzuführen haben | |
– und checken müssen, ob verbotener Besuch auf dem Zimmer ist. | |
Einen Auftrag, sich notfalls mit Gewalt Zutritt zu verschaffen, haben sie | |
nicht. Wenn ihnen aber nach Klopfen geöffnet werde, „sollen die Bewohner | |
zurücktreten“, so das Schreiben, „und der Sicherheitsdienstmitarbeiter | |
guckt, ob sich andere Personen in den Räumlichkeiten aufhalten“, heißt es | |
in der Mail an die Träger der Einrichtungen. „Durchsuchungen finden nicht | |
statt“, bewertet das Ressort denselben Vorgang anders. | |
## Anlasslose Zimmerkontrolle | |
Tatsächlich müsste, um Untersuchungen rechtmäßig durchzuführen, ja zunäch… | |
ein Anlass vorliegen, ein Anfangsverdacht – was sich mit der Idee einer | |
routinemäßigen Überprüfung beißt. Da aber die Quartiere in den Wohnheimen | |
mit einem Blick zu überschauen sind, ist die Abgrenzung einer Kontrolle zu | |
einer Untersuchung schwer möglich. „Mit der Regelung sind keine Eingriffe | |
in Grundrechte verbunden“, erläutert Bernd Schneider, der Sprecher der | |
Sozialsenatorin, die Auffassung des Ressorts. | |
„Diese ‚Regelung‘ ist rechtswidrig, sie ist unzumutbar, sie entbehrt jeder | |
Verhältnismäßigkeit“, stellt dagegen Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat | |
fest. Tatsächlich gilt auch in Bremen das Grundgesetz der Bundesrepublik | |
Deutschland. In dem steht, dass die Wohnung unverletzlich ist. | |
„Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch | |
durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in | |
der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden“, führt Artikel 13 | |
weiter aus. | |
Er ist ein direkter Ausfluss des Artikels 8 der [3][Europäischen | |
Menschenrechtskonvention]. Und während juristisch noch umstritten ist, ob | |
auch Gemeinschaftsräume in solchen Unterbringungen dieser geschützten | |
Sphäre zuzuordnen sind, geht es hier um Schlafräume. Bei denen ist laut | |
Deutschem Institut für Menschenrechte „grundsätzlich von einer Wohnung | |
auszugehen“. Daher müsse für sie der Status der Unverletzlichkeit allemal | |
gelten. | |
## Die Begründung: #StayHome | |
„Der Staat“, so schreiben Hendrik Cremer und Claudia Engelmann in der | |
Handreichung „Hausordnungen menschenrechtskonform gestalten“, bleibe an die | |
Grund- und Menschenrechte gebunden. „Er kann sich seiner Verantwortung | |
nicht entledigen, indem er durch einfaches Gesetz oder eine Auflage ein | |
besonderes Rechtsverhältnis schafft, in dem die Grundrechte nicht gelten | |
sollen.“ | |
Die Möglichkeit, sich dieser Kontrolle zu entziehen, besteht zwar. Sie ist | |
aber mit einer massiven Drohung belegt. Denn laut einer wenige Tage älteren | |
Mail der für die Unterbringung von Zuwanderern zuständigen Mitarbeiterin | |
sollen die Insassen der Übergangswohnheime (ÜHW) darüber in Kenntnis | |
gesetzt werden, dass „das Verlassen des ÜWH über Nacht bzw. länger als 24 | |
Stunden zum Verlust des Platzes führen“ könne. | |
Begründet wird das allein mit der Bitte der Bundesregierung, „sich | |
möglichst nur zu Hause aufzuhalten“. Also bei Abwesnheit Rauswurf in die | |
Kälte? Das Schreiben der Sozialbehörde stellt jedenfalls keine Alternative | |
zur Aussicht. Die gebe es aber, beteuert Bernd Schneider, Sprecher der | |
Senatorin. „Eine Entlassung in die Obdachlosigkeit ist mit der Regelung | |
nicht verbunden.“ | |
Der Verlust des Platzes führe nur „zur Aufnahme in einer anderen | |
Einrichtung“ Bremen stelle die Unterbringung in jedem Fall sicher. Die | |
Regelung mit der 24-Stunden-Frist diene dazu, Leerstand zu vermeiden. „Wir | |
halten an dem Anspruch fest, Plätze, die nicht genutzt werden, anderweitig | |
zu vergeben.“ Sie solle aber „einer Prüfung unterzogen werden“, so | |
Schneider. | |
[4][Schon in der Vergangenheit] waren Flüchtlingsrat und Sozialsenatorin | |
hart aufeinander geprallt. Schon bevor im Frühjahr die Massenunterkünfte zu | |
Corona-Hotspots avancierten, hatten deren Insassen auf die Gefahr | |
hingewiesen und auf Auflösung der schlecht belüfteten, lagerartigen | |
Unterbringungen mit mangelhafter Hygiene-Ausstattung gedrängt. | |
Sozialsenatorin Stahmann hatte die Proteste zunächst bagatellisiert. | |
Als die Infektionszahlen explodiert waren, hatte sie darauf mit einer | |
Bemerkung, das sei für Infektiologen interessant, den Vorgang wie einen | |
Menschenversuch erscheinen lassen. Tatsächlich fußen zahlreiche | |
Erkenntnisse der Infektiologie auf unfreiwilligen Experimenten an Menschen | |
in von Kolonialmächten wie Deutschland, Frankreich, Belgien und | |
Großbritannien besetzten und ausgebeuteten Ländern. | |
Mittlerweile sind die Bewohner*innenzahlen der Unterkünfte deutlich | |
gesenkt, Einzelzimmer gelten als Standard. Auch versichert das Ressort auf | |
Nachfrage, man habe die Gemeinschaftsunterkünfte „beim Gesundheitsamt als | |
prioritär zur Impfung angemeldet“. | |
11 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.soziales.bremen.de/das_ressort/senatorin_anja_stahmann-2445 | |
[2] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/sozialressort-ordnet-ta%CC%88gliche-z… | |
[3] https://www.menschenrechtskonvention.eu/ | |
[4] /!5724184/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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