Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Synagogen-Neubau in Hamburg: Platz für die Vielfalt
> Bis zur Schoah lebten die meisten Hamburger Jüd*innen im Grindelviertel.
> Dort soll wieder eine Synagoge entstehen – aber wie genau soll sie
> aussehen?
Bild: Wo Hamburgs größte Synagoge stand: Gedenkaktion „Grindel leuchtet“ …
Hamburg taz | Es war wie eine kurze Unterbrechung [1][all der
Wahlkampfrituale]: Fünf von sechs Fraktionen – alle in der Hamburgischen
Bürgerschaft vertretenen Parteien außer der AfD – traten [2][Ende Januar
zusammen] vor die Presse. Dazu kam noch der Vorsitzende von [3][Hamburgs
Jüdischer Gemeinde], Philipp Stricharz. Nicht irgendwo stellten sie diese
Einigkeit aus, sondern in der Aula der jüdischen Schule im Hamburger
Grindelviertel nahe der Universität.
Mit gutem Grund: Gleich nebenan, auf dem Platz, der früher einmal Bornplatz
hieß, stand bis 1939 die größte, die selbstbewussteste Synagoge
Norddeutschlands. [4][Und genau dort soll wieder eine entstehen], und das
vielleicht schon in fünf Jahren. Es geht um „die Sichtbarkeit des jüdischen
Lebens in Hamburg“, so steht es [5][im gemeinsamen Antrag der fünf
Parteien]. „Ich glaube, es ist die Pflicht des deutschen Staates und auch
der Freien und Hansestadt Hamburg, das zu ermöglichen“, sagt Anjes Tajrks,
Fraktionschef der Grünen und einer der Väter des ganzen Projekts.
Nicht dass es in Hamburg keine Synagoge gäbe. „Wir fühlen uns da durchaus
wohl“, sagt auch der Gemeindevorsitzende Stricharz. Aber [6][das Gebäude
aus dem Jahr 1960], in einer Nebenstraße im Stadtteil Eimsbüttel gelegen,
sende eben auch „ein Signal von Verstecktheit, von Abgeschottetheit“. Das
soll anders werden durch eine neue Synagoge am alten Platz – da, wo „das
Herz des jüdischen Hamburg schlägt“, wie es Ruben Herzberg einmal gesagt
hat, ein ehemaliger Vorsitzender der Gemeinde.
Stricharz sprach bei dem Termin einmal mehr von einer „Sehnsucht“ seiner
Gemeindemitglieder: danach, die alte Wunde verheilt zu sehen. Das Areal
„wieder jüdisch zu machen“, so Stricharz schon [7][vor Längerem zur taz] …
das wäre aber schon auch „ein später Sieg“. Denn „brisant“ sei, „wi…
mit dem Platz und der Synagoge umgegangen wurde, also nach der Schoah,
durch den wieder demokratisch gewählten Senat“. Da habe etwa der Beamte,
der 1939 den zwangsweisen Verkauf der Synagoge besorgte, nach 1945 die
Verhandlungen zur Entschädigung geführt, so Stricharz – „dieselbe Person�…
## Ein selbstbewusster Bau
Eröffnet wurde die alte Synagoge auf dem Bornplatz im Jahr 1906: ein
selbstbewusster Bau, 40 Meter hoch, entworfen im neoromanischen Stil von
dem Architekten Semmy Engel und dem Hamburger Regierungsbaumeister Ernst
Friedheim. Platz bot sie für bis zu 1.200 Menschen – dass es in einem
Neubau so viele nicht wieder sein werden, darüber besteht weitgehend
Konsens. Die Jüdische Gemeinde hat derzeit um die 3.000 Mitglieder.
Es gibt in der Debatte einflussreiche Stimmen, die dafür sprechen, sich
architektonisch an den damaligen Entwürfen zu orientieren. So ist der
Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs dafür, dass [8][„die
Außenhülle originalgetreu rekonstruiert wird“]. Kahrs ist
haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und hat mit dafür
gesorgt, dass im November 600.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie zum
Wiederaufbau bereitgestellt wurden. Deren Ergebnis soll Ende 2020
vorliegen. Es ist auch die Rede davon gewesen, dass weitere öffentliche
Zuschüsse für einen neuen Bau schwieriger zu beschaffen wären als für eine
Wiederherstellung.
Die reichsweiten Pogrome am und nach dem 9. November 1938 hatte die
Bornplatzsynagoge schwer beschädigt überstanden. Einen Winter ohne Schutz
später musste die damalige Israelitische Gemeinde dann abreißen lassen, was
noch stand. Den Grundriss immerhin macht seit 1988 ein Kunstwerk
nachvollziehbar, [9][das „Synagogenmonument“ von Margit Kahl]: in Form von
polierten Granitsteinen, die in den Platz eingelassen sind.
Was damals dort stand, sei ein Zeichen auch dafür gewesen, dass die
Jüd*innen in der Kaufmannsstadt „etwas erreicht hatten“, sagt Marion
Kollbach, Journalistin und Filmemacherin, die heute wieder in der
Nachbarschaft lebt; in dem Viertel, aus dem ihre Familie einst vertrieben
wurde, wenn nicht ermordet. „Man musste sich nicht mehr verstecken im
Hinterhof.“
Kollbach, aktiv auch [10][im Jüdischen Salon ganz in der Nähe], ist absolut
für Bewegung auf dem prominenten Platz – findet es aber „falsch, die alte
Synagoge wieder aufzubauen“. Ein solcher Bau, zumal in Deutschland, müsse
„Erinnerung speichern“, sagt Kollbach. „Und das kann er nicht, wenn er so
tut, als wäre nichts gewesen.“ Sie verweist auf zeitgenössische
Neubauprojekte, etwa das Gebäude der jüdischen Gemeinde am Jakobsplatz in
der Münchener Innenstadt: „Es gibt ein vielfältigeres, ein modernes
Judentum, und dafür muss eine neue Synagoge auch Ausdruck sein.“
Noch weiter geht Miriam Rürup, selbst aufgewachsen „in einer typischen
nachkriegsdeutschen Einheitsgemeinde“, Historikerin und Direktorin des
[11][Instituts für die Geschichte der deutschen Juden] in Hamburg: „Mein
Eindruck ist, dass sich diese einhellige Begeisterung für den Wiederaufbau
– und hier denke ich eher an die nichtjüdische Seite – auch so gelesen
werden könnte, dass man sich als geläuterte Gesellschaft sieht, die
ausreichend der Opfer gedacht habe; als ob sich dort anknüpfen ließe, wo
man vor 1933 aufgehört hat.“
## Der leere Platz
Stricharz hat solche Bedenken als „abgehoben“ bezeichnet, „zynisch“ nan…
sie gar der World Jewish Council, der nach eigenen Angaben jüdische
Gemeinschaften in 100 Ländern vertritt: „Stimmen, die fordern, dass der
Bornplatz leer bleiben müsse, um zu zeigen, was der Jüdischen Gemeinde
angetan wurde, erteilen wir eine klare Absage“, [12][erklärte die
Organisation im Dezember].
Leer ist er aber gar nicht, der Bornplatz: In die Mitte stellte das
NS-Regime einen kleinen Hochbunker, den heute die Universität nutzt, deren
Campus nebenan beginnt. „Das Gelände ist städtebaulich hochgradig
schwierig“, hat der Grünen-Abgeordnete Tjarks im November gesagt. Und: „Die
Probleme sind mannigfaltig und nicht einfach wegzudiskutieren“, neben dem
Geld geht es etwa um Fragen des Denkmalschutzes.
Selbst wenn es, wie von Stricharz und anderen favorisiert, ein Bau in der
alten Anmutung wird: Was soll eigentlich genau drinnen passieren? Die
Nutzung müsse „ausdrücken, was die Gemeinde heute ist“, sagt Michael
Heimann, der ihrem reformierten Zweig angehört – nämlich eine, „in der
viele Strömungen des Judentums Heimat suchen“. Und an alldem noch gar nicht
beteiligt ist bislang Hamburgs [13][jüngere Liberale Jüdische Gemeinde],
die nicht einmal von allen Beteiligten anerkannt wird.
Es sei nicht so, dass auf dem Platz nichts passieren dürfe, findet die
Historikerin Rürup. Aber: „Wenn wir den Platz neu denken wollen, müssen wir
das tun mit den verschiedenen Zeitschichten.“ Wer aber eine orthodoxe
Synagoge aus der Kaiserzeit wieder errichte – und sei es nur als Hülle –,
der werde ja gerade der Vielfalt heutigen Judentums nicht gerecht: Dazu
gehört „ja nicht nur das Religiöse, dazu gehört auch das Kulturelle, das
Weltliche oder auch einfach das Bürgerliche. Und da hat die Stadt [14][eine
große Chance].“
18 Mar 2020
## LINKS
[1] /!t5015647/
[2] /Hamburgs-Parlament-ungewohnt-einig/!5657166/
[3] https://www.jghh.org/de/gemeinde
[4] /Neue-alte-Synagoge/!5640874/
[5] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/69644/wiederaufbau_der_bor…
[6] https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Grundsteinlegung-der-juedischen-G…
[7] /Synagogen-Initative-in-Hamburg/!5637335/
[8] https://kahrs.hamburg/pressemitteilung-johannes-kahrs-spd-und-ruediger-krus…
[9] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/kahl.htm
[10] https://www.salonamgrindel.de/
[11] http://www.igdj-hh.de/profil.html
[12] https://www.presseportal.de/pm/137488/4462932
[13] http://davidstern.de/
[14] /200-Jahre-Reformjudentum/!5464453
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Hamburg
Judentum
Stadtentwicklung
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Architektur
Deutsche Geschichte
Schwerpunkt Stadtland
Antisemitismus
Judentum
Antisemitismus
Synagoge
Antisemitismus
Judentum
Jüdisches Leben
Hamburg
Berlin-Kreuzberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburger Sängerin über jüdische Musik: „Also habe ich Jiddisch gelernt“
An jiddischen Liedern berührt Inge Mandos das Fehlen von Pathos. Um sie zu
singen, sagt sie, müsse man auch die Sprache verstehen.
Synagogen-Neubau in Hamburg: Mut zur Lücke
Die Machbarkeitsstudie zum Synagogen-Neubau in Hamburger Grindelviertel
liegt vor. Nun soll ein Wettbewerb klären, wie das Gebäude aussehen wird.
Historiker über liberales Judentum: „Wandel gab es im Judentum immer“
Es ist die stärkere, aber weniger sichtbare Strömung: Der Historiker
Hartmut Bomhoff hat ein Buch über 250 Jahre liberales Judentum verfasst.
Hamburger Bornplatzsynagoge: Die Wiedergutmachung
Die Unterstützungskampagne ist zu Ende, Geld bewilligt. Je konkreter sich
eine neue Synagoge für Hamburg abzeichnet, umso hitziger der Streit.
Hamburgs neue Synagoge rückt näher: Aufgabe erfüllt
107.000 Unterstützer:innen für eine neue Synagoge:
Bornplatz-Initiative meldet Erfolg – und beendet ihre Aktivitäten.
Hamburger Synagogendebatte: Feigenblätter im Grindelviertel
In der Diskussion um den Hamburger Synagogen-Wiederaufbau herrscht kein
Mangel an Hintergedanken und Böswilligem.
Kampagne gegen Antisemitismus in Hamburg: Dem Haus eine Krone
Nach 82 Jahren kehrt ein Stück Torahschmuck aus der 1939 zerstörten
Hamburger Synagoge zurück. Das soll die Kampagne für einen Neubau
beflügeln.
Hamburgs Parlament ungewohnt einig: Demokraten für Synagoge
Kurze Wahlkampfpause: Grüne, SPD, CDU, FDP und Linke unterstützen die Idee,
am Hamburger Bornplatz eine repräsentative Synagoge zu errichten.
Synagogen-Initative in Hamburg: Zurück auf den Bornplatz
Hamburgs größte Synagoge stand gleich neben der Universität – bis zu
Schändung und Abriss. Jetzt wird über einen Wiederaufbau diskutiert
Synagoge in Kreuzberg: Im Zeichen des Wiederaubaus
Die von den Nazis zerstörte Synagoge am Fraenkelufer soll neu gebaut
werden, um dem jüdischen Leben wieder mehr Platz zu verschaffen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.