| # taz.de -- Synagogen-Initative in Hamburg: Zurück auf den Bornplatz | |
| > Hamburgs größte Synagoge stand gleich neben der Universität – bis zu | |
| > Schändung und Abriss. Jetzt wird über einen Wiederaufbau diskutiert | |
| Bild: Einmal im Jahr: Menschen erinnern auf dem Hamburger Joseph-Carlebach-Plat… | |
| Hamburg taz | Eben noch der Trubel des Uni-Campus. Im Programmkino „Abaton“ | |
| scheint gerade eine Vorstellung zu Ende zu sein: Menschen strömen auf den | |
| Allende-Platz, Autos starten, Fahrräder klappern vorbei. Gegenüber steht | |
| ein weißes Zweckgebäude: Gehört auch zur Uni, irgendwas mit Mathematik, | |
| auffallend dicke Wände, wenn man darauf achtet. | |
| Auf seiner Rückseite ist es ruhiger, aber vielleicht auch nur dunkler an so | |
| einem Spätherbst-Abend. Hier heißt die Freifläche Joseph-Carlebach-Platz, | |
| nach Hamburgs für lange Zeit letztem Hauptrabbiner, 1941 deportiert und | |
| ermordet. An dieser Seite des Gebäudes hängt ein Plakat, in mehreren | |
| Sprachen wird das Überleben beschworen, auch auf Jiddisch. Und ein Plakette | |
| klärt auf über ein Kunstwerk , das hier irgendwo zu sehen sein soll: | |
| [1][Margrit Kahl, „Synagogenmonument“]. | |
| Der heutige Allende- und der Carlebach-Platz sind zwei Hälften dessen, was | |
| einmal der Bornplatz war. Hier stand ab 1906 Hamburgs größte Synagoge, ein | |
| selbstbewusst freistehender Bau im neuromanischen Stil mit einer | |
| eindrucksvollen Kuppel. Die Pogrome am 9. November 1938 überstand sie, wenn | |
| auch beschädigt – im darauffolgenden Frühjahr dann musste die damalige | |
| Israelitische Gemeinde abreißen lassen, was noch stand von der Synagoge. | |
| Ihren Grundriss macht seit 1988 Kahls „Monument“ nachvollziehbar: in Form | |
| von polierten Granitsteinen, die in den Platz eingelassen sind. | |
| „Jeden Tag, an dem ich da vorbei kommen, empfinde ich eine große und weiter | |
| bestehende historische Ungerechtigkeit“, sagt Philipp Stricharz, Anfang 40 | |
| und der 1. Vorsitzende von [2][Hamburgs Jüdischer Gemeinde]. „Da steht | |
| einerseits ein Platz leer – da sollte aber eine Synagoge stehen. | |
| Stattdessen steht da dieser sogenannte Hochbunker – der sollte dort nicht | |
| stehen“: der Uni-Bau mit den dicken Wänden. | |
| „Bis heute brisant“, nennt der Gemeindevorsitzende es, „wie damals mit dem | |
| Platz und der Synagoge umgegangen wurde, also: nach der Schoah, durch den | |
| wieder demokratisch gewählten Senat“. Da habe derselbe Beamte, der 1939 den | |
| zwangsweisen Verkauf der Synagoge besorgte, nach dem Krieg die | |
| Verhandlungen zur Entschädigung geführt: „Das war dieselbe Person. Geld ist | |
| dann geflossen an eine jüdische Organisation, die Jewish Trust Corporation | |
| for Germany, nicht an die Gemeinde selbst – und damit war das Thema | |
| sozusagen gegessen.“ | |
| Dass sich an dieser Ungerechtigkeit etwas ändern könnte: Dafür stehen die | |
| Zeichen in Hamburg gar nicht so schlecht, besser jedenfalls als vor zehn | |
| oder 20 Jahren. Gerade wird in der Stadt darüber diskutiert, ob hier, im | |
| einst jüdisch geprägten Grindelviertel, nicht wieder ein sichtbares Zeichen | |
| jüdischen Lebens entstehen könnte. Genauer genommen: ein weiteres. Am Rand | |
| des Carlebach-Platzes gibt es seit 2007 wieder eine jüdische Schule, in | |
| einem Gebäude, das bis 1942 schon mal eine war; inzwischen ist daraus das | |
| [3][Joseph-Carlebach-Bildungshaus] geworden, das auch Nichtjüd*innen | |
| offensteht. Im kommenden Jahr soll hier ein Abiturjahrgang entlassen | |
| werden, der erste jüdische seit Kriegsende – europaweit. | |
| Als die Hamburgische Bürgerschaft vor etwas mehr als zwei Wochen über den | |
| [4][antisemitischen Anschlag in Halle] debattierte, ging es plötzlich auch | |
| um die Schule und den Platz. Ihm sei es wichtig gewesen „auch den Aspekt | |
| der Förderung jüdischen Lebens in unserer Stadt hervorzuheben“, erzählt | |
| Anjes Tjarks, Fraktionschef der Grünen. „In diesem Zusammenhang habe ich | |
| die Erweiterung der Joseph-Carlebach-Schule gelobt und die Idee geäußert, | |
| eine Synagoge zu bauen. Und zwar dort, wo schon mal eine stand.“ | |
| [5][In einem Interview] mit dem Hamburger Abendblatt nahm dann Shlomo | |
| Bistritzky den Ball auf, der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde. Auch dieses | |
| Gespräch drehte sich um Halle und die Bedrohungslage. Aber weil er nun mal | |
| gefragt wurde, unterstützte auch Bistritzky die Idee mit einer Synagoge am | |
| angestammten Platz, und das Blatt hob diesen Aspekt in die Überschrift. | |
| Schon in der Parlamentsdebatte hatten sich erste andere Fraktionen | |
| zustimmend geäußert, zunächst CDU und FDP. Inzwischen haben weitere | |
| Parteien Unterstützung signalisiert, ebenso die Kirchen, auch von | |
| muslimischer Seite solle die Jüdische Gemeinde Post bekommen haben, und | |
| [6][am Freitag nun] bekannte sich auch SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher | |
| zu dem Projekt: Eine Machbarkeitsstudie soll in Auftrag gegeben werden. | |
| Freude über die Bornplatz-Diskussion äußert auch Galina Jarkova, die | |
| Vorsitzende der sehr viel kleineren [7][Liberalen Jüdischen Gemeinde]. | |
| Jedes Zeichen für die Lebendigkeit des Judentums sei gut, sagt sie der taz | |
| – aber sie weist auch drauf hin, dass ihre Gemeinde sich bislang nicht | |
| berücksichtigt fühle. | |
| Bei allem Konsens: „Die Herausforderungen sind mannigfaltig und nicht | |
| einfach wegzudiskutieren“, sagt Tjarks. Neben der Finanzierung oder auch | |
| den Denkmalschutzfragen ist etwa auch offen, was werden könnte aus der | |
| bestehenden, 1960 eröffneten Synagoge. „Die kennen ja viele Menschen gar | |
| nicht“, sagt Stricharz. „Und sie hat, von ihrer Anmutung, etwas von einem | |
| Hochsicherheitstrakt.“ Zwar seien viele der heutigen rund 3.000 | |
| Gemeindemitglieder sozusagen dort groß geworden, aber sie „sendet ein | |
| Signal von Verstecktheit, von Abgeschottetheit“. | |
| Wie er die Aussichten einschätzt, dass es am alten Bornplatz wieder eine | |
| Synagoge geben könnte? Das sei „sehr realistisch“, sagt Stricharz. Es komme | |
| ihm vor, „als wäre der Wille da, auch seitens führender Köpfe in der | |
| Stadt“. Und das Areal „wieder jüdisch zu machen, das mag pathetisch | |
| klingen, wäre ein später Sieg“. | |
| Mehr zu norddeutschen Diskussionen um Synagogen und die Sichtbarkeit | |
| vonJüd*innen lesen Sie in der taz nord am Wochenende 9./10.11. oder | |
| [8][hier] | |
| 8 Nov 2019 | |
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| [1] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/kahl.htm | |
| [2] https://www.jghh.org/de/ | |
| [3] https://www.jcsh.de/ | |
| [4] /!t5013586/ | |
| [5] ttps://www.abendblatt.de/hamburg/article227487585/Rabbi-Lasst-uns-die-Synag… | |
| [6] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Tschentscher-unterstuetzt-Synagogenn… | |
| [7] http://davidstern.de/ | |
| [8] /e-kiosk/!114771/ | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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