# taz.de -- Theatermacher Michael Batz: "Erschossen in den Wäldern" | |
> Im Auftrag des Hamburger Senats hat Michael Batz ein Theaterstück | |
> geschrieben über die Juden, die ins Rigaer Ghetto wie auch ins nahe | |
> gelegene KZ Jungfernhof deportiert wurden. Wesentlich gestützt hat er | |
> sich dabei auf Prozessakten aus dem Jahr 1977. | |
Bild: Der Theatermacher und Lichtkünstler Michael Batz. | |
taz: Herr Batz, wie viele Juden aus Norddeutschland wurden vom NS-Regime | |
ins Rigaer Ghetto deportiert? | |
Michael Batz: Aus Hamburg stammten 753 Personen. Der Zug wurde am 6. 12. | |
1941 auf dem Güterbahnhof Hamburg-Altona zusammen gestellt und dann nach | |
Bad Oldesloe geführt. Dort kamen weitere 220 Menschen aus Lübeck, Kiel und | |
anderen Städten Schleswig-Holsteins hinzu. | |
Welche Rolle spielte das Rigaer Ghetto in der deutschen | |
Deportationspolitik? | |
Riga war dafür ursprünglich gar nicht vorgesehen, man dachte eher an Städte | |
wie Minsk und Lódz. Dann zeigte sich, dass Minsk nicht zur Verfügung stand: | |
Die Wehrmacht hatte angesichts der sich abzeichnenden Niederlage vor Moskau | |
Protest angemeldet, sodass man nach Riga auswich. Dessen Ghetto, das ja | |
schon 1941 gegründet worden war, war allerdings überfüllt. Dort lebten | |
30.000 lettische Juden. Die SS erschoss sie, um Platz für deutsche Juden zu | |
schaffen. Trotzdem blieben Platzprobleme. Deshalb kamen die Hamburger nicht | |
ins Ghetto, sondern ins KZ Jungfernhof. Das war ein landwirtschaftliches | |
Gut, das die SS beschlagnahmt hatte. Dort gab es zwei große Scheunen ohne | |
Heizung und sanitäre Anlagen. Das alles bei minus 40 Grad Celsius. | |
Wer waren die nach Riga deportierten Hamburger? | |
Die meisten waren Akademiker - zum Beispiel Lehrerinnen, die an jüdischen | |
Schulen gearbeitet hatten. Das Durchschnittalter der Menschen lag bei 48 | |
Jahren. Überlebt haben die wenigsten: Nur 35 Personen sind von diesem | |
Transport zurückgekehrt. | |
Wonach wurde entschieden, wer nach Riga kam? | |
Kriterien sind nicht erkennbar. | |
Wie waren die Lebensbedingungen im Lager? | |
Bei der Ankunft auf dem Bahnhof Skirotava wurden einige Menschen, die nicht | |
schnell genug aus dem Zug herauskamen, sofort erschossen. Anschließend | |
machte die SS ihr übliches Angebot: Ihr könnt zu Fuß zum Lager gehen - oder | |
aber die Autos nehmen. Viele der Älteren haben die Autos gewählt. Sie | |
wurden sofort in den nächsten Wald gebracht und erschossen. Die übrigen | |
fanden im Lager Jungfernhof zunächst einmal gar nichts vor. Sie mussten | |
auch nicht sofort arbeiten, sondern saßen oder lagen in den ersten Wochen | |
in ihren Kojen, weil die SS damit überfordert war, mit diesen | |
Menschenmengen umzugehen. | |
Warum hatte SS-Einsatzgruppenführer Walter Stahlecker überhaupt nach Berlin | |
gemeldet, dass es in Riga Platz für Deportierte gäbe? | |
Das geschah wohl aus einer Karriere-Überlegung heraus. Stahlecker wollte | |
sich durch vorauseilenden Gehorsam qualifizieren. Er wird als extrem | |
ehrgeiziger Mensch beschrieben, der Rekordzahlen präsentieren und als | |
Erster ein judenfreies Gebiet vorweisen wollte. | |
Dann gab es die "Aktion Dünamünde". | |
Ja. Das war eine vom SS-Obersturmführer Gerhard Maywald initiierte Aktion, | |
bei der im März 1942 mindestens 1.500 Personen aus dem Rigaer Ghetto und | |
dem KZ Jungfernhof in nahen Wäldern erschossen wurden - unter anderem der | |
letzte Hamburger Oberrabbiner Joseph Carlebach, seine Frau und seine drei | |
Töchter. Nur sein Sohn hat überlebt. | |
War das Rigaer SS-Personal besonders verrufen? | |
Die SS hatte natürlich nicht nur dort einen schlechten Ruf. Im Rigaer | |
Ghetto tat sich vor allem der schießwütige Kommandant Krause hervor. Am | |
gefürchtetsten war allerdings SS-Sturmbannführer Rudolf Lange, der das KZ | |
Salaspils mit aufgebaut hatte. Er hat bei jeder Gelegenheit sofort | |
geschossen und wollte persönlich dazu beitragen, dass es möglichst schnell | |
keine Juden mehr gab. Es gab allerdings Spannungen zwischen SS und den | |
Gebietskommissaren der zivilen Verwaltungsstruktur in den Ostgebieten: Die | |
SS erschoss auch Menschen, die arbeitsfähig waren. Die brauchte man aber | |
dringend in den Zulieferbetrieben für die Wehrmacht. Riga war Schneiderei | |
und Wäscherei der Wehrmacht. Auch die Logistik der Wehrmacht für den | |
russisch-lettischen Bereich wurde über Riga koordiniert. | |
Gab es in Lettland besonders viele Kollaborateure? | |
Ja. Die SS konnte hier auf einen lettischen Nationalismus zurückgreifen, | |
der stark antisemitisch war. Pogrome anzuzetteln war deshalb kein Problem. | |
Vikitor Arajs war der bekannteste Kollaborateur. Er war maßgeblich an den | |
Massenerschießungen im Rigaer Ghetto beteiligt. Fest steht, dass die | |
Judenvernichtung dort ohne die lettischen SS-Leute und Hilfsmannschaften | |
nicht funktioniert hätte. | |
Aus welchen Quellen speist sich Ihr Stück "Nach Riga", das nun in Hamburg | |
aufgeführt wird? | |
Die wichtigste Quelle war das Konvolut aus dem Prozess gegen | |
SS-Obersturmführer Gerhard Maywald, der das KZ Salaspils leitete. Er wurde | |
1977 zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt. Im Zuge der | |
Vorermittlungen entstanden etliche Zeugenaussagen. | |
Was erzählen diese Menschen? | |
Vor allem, dass sie nicht begreifen, warum sie Kälte, Hunger, Krankheit und | |
Selektionen überlebt haben. Und dass es trotz allem im Lager einen starken | |
Überlebenswillen gab. Joseph Carlebach etwa muss eine regelrechte | |
Lichtgestalt gewesen sein. Er stellte einen Lehrplan auf und versuchte | |
zumindest in den ersten Monaten, so etwas wie Unterricht zu geben. | |
Wie lange glaubten, den Quellen zufolge, die Menschen denn noch, dass sie | |
zum Arbeiten in den Osten gebracht wurden? | |
Bis zur Ankunft im Lager. Als sie am 9. 12. 1941 in Riga ankamen und sofort | |
mit Gewehrschüssen, Kolben- und Peitschenschlägen, Stockhieben und | |
Erschießungen konfrontiert wurden, war ihnen klar, dass sie nicht zur | |
Arbeit hergekommen waren. | |
Warum nicht schon früher? | |
Vielleicht wollten sie es glauben. Zumindest die Hamburger waren vor der | |
Deportation zivil behandelt worden. Mehrere Zeugen bestätigen, dass es hier | |
keine Ausschreitungen der Gestapo gab. Es wurde nicht gebrüllt oder | |
geschlagen, sondern man hat ihnen ganz vernünftig gesagt, sie sollten sich | |
bereit machen. Und dann sitzt man zwar in diesem Zug, darf nicht raus, und | |
da steht nur ein Eimer in der Ecke. Aber es deutet nicht darauf hin, dass | |
man in den Tod fährt. Denn warum hätten die Nazis dann diesen Aufwand | |
treiben sollen? | |
11 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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