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# taz.de -- Medienkrise in Thüringen: Print first
> In Thüringen beherrscht die Funke-Mediengruppe die Printbranche. Seit
> Kürzungen bekannt wurden, spricht das Land über den Wert des
> Journalismus.
Bild: Funky
Erfurt/Berlin taz | Oldtimer, so nennt Thomas Oettler das Ungetüm hinter
sich. Eine riesige Maschine, hoch wie ein Mehrfamilienhaus, mit
Treppenaufgängen und Türen daran. An einigen Stellen tropft das Öl. Es ist
eine von fünf Druckerpressen [1][im Verlagshaus der Mediengruppe Thüringen]
in Erfurt.
Thomas Oettler arbeitet im Druckzentrum. „Einige Kollegen würden die
Pressen sehr vermissen, wenn sie weg wären“, sagt er. Das Problem ist aber
nicht, dass die Maschinen verschwinden. Das Problem ist, dass sie immer
noch da sind.
Die Maschinen in der Erfurter Druckerei sind veraltet. Seit 1993 laufen
sie, knapp 250.000 Exemplare von Tageszeitungen drucken sie pro Nacht:
Thüringer Allgemeine (TA), Thüringische Landeszeitung (TLZ) und die
Ostthüringer Zeitung (OTZ). Es sind die drei größten Zeitungen des Landes.
Aber die Oldtimer werden träge. Etwa 15-mal schon ist allein in diesem Jahr
eine der Maschinen ausgefallen. Die anderen müssen dann einspringen, die
Redakteure ihre Zeitung schneller fertigstellen. Die Druckerei bräuchte
dringend neue Maschinen. Aber ob es die Thüringer Zeitungen, die
gedruckten, noch lange geben wird, dafür gibt es keine Garantie. „Kein
Verleger kann die geben“, sagt Michael Tallai, der Geschäftsführer der
Mediengruppe.
## Thüringen ohne gedruckte Zeitung
Anfang des Jahres kündigte Funke ein [2][Sparprogramm für all seine
Zeitungen und Druckereien] in Deutschland an. Über die in Thüringen stand
darin nur ein Satz: „Für die Thüringer Titel werden Szenarien erarbeitet,
wie eine Versorgung der Leserinnen und Leser in ländlichen Gebieten mit
digitalen Angeboten gewährleistet werden kann.“ Für Leser, Politiker und
Journalisten klang das, als wolle der Verlag die gedruckten Zeitungen
abschaffen.
Und damit fiele nicht bloß irgendein Provinzblättchen weg. Funke beherrscht
in Thüringen den Markt. 220.000 Exemplare von TA, TLZ und OTZ werden
täglich verkauft, das ist in etwa so viel wie die Frankfurter Allgemeine
bundesweit loswird – und das in einem Bundesland mit 2,2 Millionen
Einwohnern.
In Südthüringen gibt es noch kleinere Zeitungen, die aber nicht
flächendeckend ausgeliefert werden. Sollte Funke den Druck der drei großen
Zeitungen einstellen, dann wäre Thüringen das erste Bundesland ohne
Tageszeitung auf Papier.
## Die Kosten haben sich verdreifacht
Das kleine Bundesland ist aufgeschreckt. Ministerpräsident Bodo Ramelow
(Linke) lud den Geschäftsführer Michael Tallai zur Aussprache in den
Landtag ein, die Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) forderte von
Funke in einem [3][offenen Brief], sich zur Zeitung zu bekennen.
Funke [4][ruderte zurück], Michael Tallai bezeichnet das Gerücht um die
Print-Abschaffung gegenüber der taz und Zapp, [5][dem Medienmagazin des
NDR], heute als „Falschmeldung“. Man habe nicht vor, von heute auf morgen
komplett auf digital umzusteigen. Tallai und Kollegen reisen jetzt durch
das Land und besänftigen die Leser.
Aber das Problem ist ja da: Funke kämpft wie alle Verlage mit schrumpfenden
Auflagen und Anzeigenerlösen. Online verdient der Verlag nicht genug, um
die Verluste beim Papier aufzufangen. Vor allem die Lokalzeitungen trifft
das hart, in den vergangenen Jahren wurden viele verkleinert,
zusammengelegt oder eingestampft.
In Thüringen komme erschwerend hinzu, sagt Tallai, dass das Bundesland so
ländlich sei. Die Wege zwischen den Dörfern sind weit, die Zeitungen von
Briefkasten zu Briefkasten zu tragen, ist teurer als in den
Ballungsgebieten von Nordrhein-Westfalen, Funkes Stammland. Besonders teuer
sei das geworden, seit auch die Zeitungszusteller den gesetzlichen
Mindestlohn bekommen. Der war bis Anfang 2018 ausgesetzt – ein Zugeständnis
der Großen Koalition an die Verlage, um die steigenden Vertriebskosten
abzufangen.
Seit der Mindestlohn gelte, sagt Tallai, hätten sich die Kosten für seinen
Verlag verdreifacht. „Das ist in Kombination mit den Umsatzrückgängen eine
sehr schwierige Situation.“
## Keine Internetverbindung
Eine Lösung könnte sein: den Druck einstellen und die Zeitung nur noch als
E-Paper versenden. Dann gäbe es keine Zusteller mehr und auch keine teuren
Druckerpressen. Auf die Idee ist nicht nur Funke gekommen, Auch die taz
bereitet sich auf ein Ende von Print vor, und DuMont, Funkes – ebenfalls
kriselnder – Konkurrent auf dem Regionalzeitungsmarkt, [6][will künftig
mehr auf Digitalabos setzen].
Das Problem ist nur: Momentan sieht es nicht danach aus, als könnte das
Digitalgeschäft bald das gedruckte ablösen. Nur gut drei Prozent der Abos
der drei Thüringer Zeitungen sind digitale. Im Durchschnitt aller deutschen
Tageszeitungen sind es zehn [7][Prozent].
Auch die Grüne Umweltministerin in Thüringen, Anja Siegesmund, die Funke
den offenen Brief geschrieben hat, zweifelt an den Plänen. Thüringen fehle
die digitale Infrastruktur. „Ich will nicht, dass die 80-jährige ältere
Dame auf dem Dorf auf ihre Zeitung verzichten muss, weil sie erstens nicht
die Internetverbindung hat, um die Zeitung täglich herunterzuladen, und
weil sie zweitens vielleicht gar keine Lust hat, mit dem iPad auf dem Sofa
zu sitzen.“
Siegesmund erwartet von Funke, dass sich der Verlag klar zum Nebeneinander
von Print und Digital bekennt. Darauf will sich Michael Tallai nicht
festlegen. „Es geht mir doch nicht um die Frage, ob ich drucke oder nicht.
Es geht mir darum, dass ich vernünftigen Journalismus anbiete, für den die
Menschen bereit sind zu bezahlen – egal ob gedruckt oder digital.“ Damit
die Thüringer Zeitungen bald im ganzen Bundesland digital verbreitet werden
können, berät Funke derzeit mit der Thüringer Landesregierung und
Telekommunikationsunternehmen über den Breitbandausbau.
## Mehr sparen geht nicht
Die Funke Mediengruppe erwirtschaftete zuletzt rund 44 Prozent ihres
Umsatzes mit Tageszeitungen. Aber der Verlag spart massiv. In
Nordrhein-Westfalen hat Funke schon vor Jahren begonnen, Zeitungen zu
verkleinern, zusammenzulegen und gar ganze Redaktionen zu entlassen. 2016
[8][war Thüringen an der Reihe]. Rund ein Drittel der Belegschaft musste
gehen, Fotografen wurden zu schreibenden Redakteuren umfunktioniert.
Um die 30 Sekretärsstellen wurden gestrichen, diese Arbeit erledigen jetzt
einige wenige von der Erfurter Zentrale aus für das ganze Bundesland. TA,
TLZ und OTZ wurden weitgehend zusammengelegt, die überregionalen Inhalte
kommen seitdem aus der Zentralredaktion in Berlin, die Lokalredaktionen vor
Ort produzieren ihre Inhalte zum Teil für die anderen Zeitungen mit. Das
führt dazu, dass beispielsweise in der Erfurter Ausgabe der TA genau
dieselben Texte und Bilder stehen wie in der TLZ. Nur ist das Logo der
einen Zeitung grün und das der anderen blau.
Mehr Sparen geht nicht, sagen Redakteure. Auch Anja Siegesmund, die
Umweltministerin, hat bemerkt, wie ausgedünnt die Zeitungen sind – nicht
nur an den fertigen Ausgaben, sondern auch an der Präsenz von Journalisten
im Alltag. Früher, sagt sie, seien zu ihren Pressekonferenzen drei
Funke-Reporter erschienen. „Heute kommt, wenn überhaupt, einer für drei
Zeitungen – manchmal auch keiner.“ Siegesmund sorgt sich um die Demokratie
in Thüringen. „Die vielfältige Presselandschaft ist mit der friedlichen
Revolution hart erkämpft worden und Grundlage dafür, dass Menschen
politische Entscheidungen treffen können.“ Das sei im Jubiläumsjahr des
Mauerfalls und kurz vor einer Landtagswahl wichtiger denn je.
## Gefahr der Nachrichtenwüste
Wenn die Funke-Zeitungen wegfallen oder zumindest viel weniger gelesen
werden, weil sie nur noch digital zu haben sind, dann entsteht in weiten
Teilen des Bundeslandes das, was sie in den USA „[9][Nachrichtenwüste“]
nennen. Und das in dem Bundesland, wo der NSU seine Wurzeln hat. Wo die
Höcke-AfD drei Monate vor der Landtagswahl in Umfragen mit gut 20 Prozent
drittstärkste Partei ist. Wo Sozialforscher seit Jahren ein Verfestigen
rassistischer Tendenzen [10][bei rund der Hälfte der Bevölkerung
beobachten]. Die Verantwortung sei ihm bewusst, sagt Michael Tallai – aber
es sei eben eine Gratwanderung. „Unser Geschäft muss sich trotzdem lohnen.“
Sergej Lochthofen bezweifelt, dass sich das Geschäft in Thüringen nicht
lohnt. Zwanzig Jahre war er Chefredakteur der Thüringer Allgemeine. 2009
verließ er das Blatt, weil er, wie er sagt, das Sparen nicht mehr mittragen
wollte. „Die Thüringer Allgemeine hat Jahrzehnte Aufbau West betrieben. Aus
Erfurt wurden hohe Millionenbeträge nach Essen überwiesen. Statt das Geld
in die Zeitungen zu investieren, wurde es verfrühstückt.“
Als er die Redaktion verlassen habe, seien mehrere Funke-Zeitungen im
Westen in die roten Zahlen gerutscht, während die Thüringer Allgemeine noch
„fette schwarze Zahlen“ schrieb. 15 Prozent Rendite und mehr galten damals
für die WAZ-Gruppe – heute Funke – als normal, sagt Lochthofen. „Sicher
sind solche Renditen in den Verlagen heute nicht mehr üblich. Aber ich
denke, da wird noch immer gut verdient. Sonst wären die Zeitungen längst
dicht. Mit Mitgefühl braucht da niemand zu rechnen.“
Michael Tallai widerspricht: Funke habe in Thüringen investiert, und zwar
„deutliche Millionenbeträge, vergleichbar mit dem, was wir dort verdient
haben.“ Konkrete Zahlen nennt Tallai jedoch nicht. Die öffentlich
einsehbaren Bilanzen des Verlags reichen soweit nicht zurück.
## Tallais Idee: Subventionen
Michael Tallai sieht die Verantwortung für seine Zeitungen daher auch bei
der Politik. Denn wenn im ländlichen Raum der letzte Laden schließe, es
keinen Arzt, keine Tankstelle und irgendwann auch keine Tageszeitung mehr
gebe, dann habe auch die Politik ein Problem. Tallais Idee: Subventionen
für Zeitungsverlage. Die sind im deutschen Pressewesen bisher noch absolut
tabu. Viele Verleger lehnen sie ab, weil sie um ihre Unabhängigkeit
fürchten. In anderen europäischen Ländern subventioniert der Staat hingegen
längst Technik und Vertrieb der Presse.
Die Landesregierung sei für solche Modelle offen, sagt Umweltministerin
Anja Siegesmund: „Aber es kann eigentlich nicht sein, dass wir eine
Mediengruppe subventionieren, die noch 2013 für eine knappe Milliarde vom
Springer Verlag ein dickes Paket Zeitungen und Zeitschriften gekauft hat.
Wenn Funke jetzt Subventionen fordert, heißt das für mich, dass das
Geschäftsmodell des Verlags nicht trägt.“
Bleibt noch die Frage nach der neuen Druckerpresse in Erfurt. Rund zehn
Millionen Euro würde eine solche kosten – viel Geld für einen Verlag, der
mit der gedruckten Zeitung immer weniger verdient. Aber die Frage nach dem
Druck ist eben auch die entscheidende, wenn es um die Zukunft der Zeitung
geht.
Von den fünf alten Maschinen, die in Erfurt stehen, funktionieren noch
vier. Die fünfte dient als Ersatzteillager. Das alles dürfte noch eine
Weile gut gehen. Wie lange, weiß niemand.
7 Jul 2019
## LINKS
[1] /Zeitungen-in-Thueringen/!5290223
[2] /Funke-Mediengruppe-streicht-Stellen/!5566501/
[3] https://www.thueringen.de/th8/tmuen/aktuell/presse/108717/index.aspx
[4] https://www.thueringer-allgemeine.de/leben/vermischtes/die-thueringer-allge…
[5] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Thueringen-Aus-fuer-gedruckte-Z…
[6] https://www.madsack.de/blog/thomas-dueffert-journalismus-bebeta/
[7] https://www.ivw.de/sites/default/files/pm_auflagenstatistik_20191.pdf
[8] /Zeitungen-in-Thueringen/!5290223/
[9] /!t5545299/
[10] https://www.mdr.de/thueringen/ost-thueringen/jena/thueringen-monitor-vorge…
## AUTOREN
Anne Fromm
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