# taz.de -- Schuldenbremse für Landeshaushalt: Berlin will die Schuldenvollbre… | |
> Obwohl Berlin dringend Investitionen braucht, plant SPD-Finanzsenator | |
> Kollatz mehr Haushaltsdisziplin als nötig. Der Wirtschaftsweise Truger | |
> kritisiert das. | |
Bild: Quiiiiiiiiiietsch: Kollatz' Finanzpolitik | |
BERLIN taz | Die Berliner Landesregierung will die Schuldenbremse | |
restriktiver umsetzen als eigentlich nötig. Das ergibt sich aus zwei | |
Vorlagen für Gesetzesänderungen, die der taz vorliegen. Demnach will | |
Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), bekannt als Verfechter von Tilgung | |
und der schwarzen Null, bei der Umsetzung der Schuldenbremse das Land | |
Berlin zu deutlich mehr Haushaltsdisziplin zwingen als es etwa die | |
rot-schwarze Regierung in Niedersachsen verlangt. | |
Zu diesem Zweck will die Senatsverwaltung für Finanzen die Schuldenbremse | |
allgemein in der Landesverfassung verankern und mit einem eher strengen | |
Gesetz den Paragraf 18 der Landeshaushaltsordnung ändern. | |
Ab dem 1. Januar 2020 greift die 2009 im Grundgesetz verankerte | |
Schuldenbremse (Art. 109 GG) auch auf Länderebene. Sie bedeutet die | |
Festschreibung der schwarzen Null für alle Bundesländer – Berlin muss | |
seinen Haushalt dann grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen. | |
Die grundgesetzliche Regelung gilt zwar ohnehin ab 2020 für die | |
Bundesländer, den einzelnen Landesregierungen steht es allerdings frei, | |
eigene landesrechtliche Umsetzungen zur genauen Auslegung der | |
Schuldenbremse zu treffen – um im Falle von Katastrophen oder einer | |
Rezession Ausnahmen zu definieren, die es erlauben, mehr Kredite | |
aufzunehmen. Auch in Berlin enthält die geplante Gesetzesänderung solche | |
Ausnahmeregelungen. | |
## Es geht um die Extras | |
[1][Viele Bundesländer haben die Schuldenbremse bereits in Landesrecht | |
übersetzt], einige davon sehen allerdings von einer harten Schuldenbremse | |
ab – so etwa das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg, die | |
Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, [2][Rot-Schwarz in Niedersachsen] | |
und auch Rot-Rot-Grün in Thüringen. | |
Umso erstaunlicher, dass das ebenfalls rot-rot-grüne Berlin nun offenbar | |
eine Schuldenvollbremsung hinlegen will. Dass Kollatz’ Haus für eine | |
restriktive Schuldenbremse ist, wird deutlich, wenn man die Änderungen in | |
der Landeshaushaltsordnung betrachtet: In Berlin soll die Schuldenbremse | |
laut der geplanten Gesetzesänderung nämlich nicht nur für den Kernhaushalt, | |
sondern auch für die sogenannten Extrahaushalte gelten, die dann ebenfalls | |
nicht mehr zu größeren kreditfinanzierten Investitionen in der Lage wären. | |
Betroffen wären von einer Schuldenbremse also nicht nur der knapp 30 | |
Milliarden Euro umfassende Kernhaushalt des Landes Berlin, sondern laut | |
statistischem Bundesamt auch über 80 landeseigene Unternehmen. Darunter | |
sind unter anderem öffentliche Hochschulen und Unis, Berlin Energie, | |
Bäderbetriebe, Grün Berlin und die Berliner Immobilienmanagement GmbH – | |
[3][die Liste ist lang]. In einem Land wie Niedersachsen, wo die | |
Schuldenbremse nicht für Extrahaushalte gilt, hätten diese Unternehmen eine | |
deutlich freiere Hand für Investitionen und könnten Kredite zu günstigen | |
Konditionen aufnehmen. | |
Nicht betroffen sind staatliche Unternehmen wie Wohnungsbaugesellschaften, | |
Krankenhäuser oder auch die öffentlichen Verkehrsbetriebe. Die zählen nach | |
geltender Definition nicht zu den Extrahaushalten, weil sie überwiegend ein | |
Angebot für den Markt machen. | |
Zu Details der Vorlage möchte Kollatz sich auf Nachfrage der taz nicht | |
äußern. Sein Haus stimme die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage | |
noch ab, bevor eine offizielle Senatsvorlage Mitte des Jahres eingebracht | |
werden soll. Generell versuche Berlin schon jetzt Kreditaufnahmen in | |
Extrahaushalten „möglichst weitgehend“ zu vermeiden. | |
Zur restriktiven Auslegung scheint Kollatz sich dennoch tendenziell zu | |
bekennen: „Soweit ich die Lage sehe, plant der Bund in die | |
Berichterstattung über die Länder auch zukünftig den Kernhaushalt und die | |
kreditaufnehmenden Extrahaushalte einzubeziehen. Das entspricht nicht nur | |
der Logik der europäischen Schuldenbremse, sondern auch der Schematik der | |
laufenden Haushaltsüberwachung von Bund und Ländern durch den | |
Stabilitätsrat.“ Zur Einordnung: Das Grundgesetz lässt mehr Spielräume als | |
die EU-Richtlinien zu. | |
Eine deutlich andere Meinung dazu hat der kürzlich in den Rat der | |
Wirtschaftsweisen berufene Achim Truger, Professor für Staatsfinanzen an | |
der Universität Duisburg-Essen. Nach seiner Meinung zur Berliner Version | |
der Schuldenbremse gefragt, fand er deutliche Worte: „Die Umsetzung | |
erscheint mir sehr restriktiv.“ Wenn man die Extrahaushalte einbeziehe, | |
könnten öffentliche Landesunternehmen wie Bäderbetriebe keine Kredite | |
aufnehmen. „Damit verbaut man sich als Land eine wichtige | |
Investitionsmöglichkeit“, so Truger, „nicht umsonst steht in den meisten | |
wirtschaftlichen Lehrbüchern, dass öffentliche Investitionen über Kredite | |
finanziert werden sollen.“ | |
Im Falle eines Konjunktureinbruchs drohe, dass Investitionsprojekte als | |
erstes zusammengestrichen würden – so seien auch im südlichen Europa die | |
Investitionen in der Krise extrem gekürzt worden, so Truger. Öffentliche | |
Investitionen seien Wachstumstreiber – es sei nicht klug, diese zu kürzen. | |
„Dann wird erstens die Infrastruktur schlechter und man dämpft zweitens | |
empfindlich das Wachstum.“ | |
Darüber hinaus befürchtet er, „dass bestehende oder geplante dringend | |
notwendige, größtenteils kreditfinanzierte Lösungen für öffentliche | |
Investitionen in Höhe von 6 Milliarden Euro, zum Beispiel für die | |
BVG-Fahrzeugbeschaffung und S-Bahn-Beschaffung, als nicht zulässig | |
klassifiziert werden könnten.“ Dieses Risiko bestehe, wenn man sich an den | |
europäischen Vorgaben orientiere und diese verschärft würden – das | |
Statistische Amt der Europäischen Union sei in Vergangenheit immer strenger | |
geworden. | |
## Logik der Bremse | |
Truger ist grundsätzlich gegen die Logik der Schuldenbremse und der | |
Meinung, dass öffentliche Investitionen ausgenommen werden sollten. Mit den | |
Extrahaushalten sei dies über günstige Kredite noch möglich – nicht jedoch, | |
wenn diese bei der Schuldenbremse einbezogen würden. „Das ist ein | |
unkontrollierbares Risiko, weil man sich gewissermaßen der europäischen | |
Statistikbehörde ausliefert“, so Truger. | |
Auch innerhalb der Koalition ist mit Kollatz’ Vorstoß Streit | |
vorprogrammiert. Steffen Zillich, haushaltspolitischer Sprecher der Linken | |
im Abgeordnetenhaus sagte: „Wir sind dafür, die Berliner | |
Investitionsfähigkeit möglichst wenig einzuschränken und dagegen, dass die | |
Extrahaushalte miteinbezogen werden.“ In den kursierenden Entwurf seien | |
viele Punkte, die man nicht mittragen werde, so Zillich. Eine Antwort der | |
Grünen blieb aus. | |
Zuspruch bekam Kollatz hingegen aus der Opposition. Sibylle Meister, | |
FDP-Sprecherin für Haushaltspolitik, will die Schuldenbremse ebenfalls | |
möglichst weit fassen. Sie sagte: „Alle Extrahaushalte sollten unbedingt | |
miteinbezogen werden, damit Schattenhaushalte vermieden werden könnten.“ | |
Christian Goiny von der CDU-Fraktion ist wiederum dagegen, Extrahaushalte | |
einzubeziehen, weil er das Entstehen von Schattenhaushalten befürchtet, | |
wenn der Senat größere Aufgaben auslagere – wie zuletzt bei der | |
Schulbau-Offensive des Landes Berlin. | |
26 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesbank.de/resource/blob/764254/548f430a5ff7d61c9d237cb7ba15… | |
[2] https://www.mf.niedersachsen.de/download/139888/Gesetzentwurf_ueber_die_Sch… | |
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentliche-Finanzen/Fonds-Einrich… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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