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# taz.de -- Drogen-Thriller als indigene Geschichte: Indigene Narcos
> Ein Handel, der zum Krieg wird: der kolumbianische Drogen-Thriller „Birds
> of Passage“ von Cristina Gallego und Ciro Guerra.
Bild: Úrsula (Carmiña Martínez) nebst männlichen Vertretern des Wayuu-Stamm…
Zu Beginn der Saga wirkt alles roh, fast archaisch. Kolumbien,
La-Guajira-Halbinsel, es ist das Jahr 1968: Der junge Einzelgänger Rapayet
(José Acosta) hält sich mit kleineren Geschäften über Wasser. Sein Traum
ist es, zu den Wayuu zu gehören, einem indigenen Volk, aus deren Mitte
seine Familie einst verstoßen wurde. Bei einem Fest hält Rapayet daher um
die Hand der schönen Zaida (Natalia Reyes) an. Doch Matriarchin und Mutter
Úrsula (Carmiña Martínez) ist skeptisch und fordert ein exorbitantes
Brautgeld.
Als Rapayet mit seinem Freund und Geschäftspartner Moisés (Jhon Narváez)
auf eine Handvoll Hippies vom U. S. Peace Corps trifft, wittert er ein
Geschäft. Gemeinsam mit seinem Cousin und Plantagenbesitzer Aníbal (Juan
Bautista) baut Rapayet schnell eine florierende Handelslinie mit Marihuana
auf. Dank der üppigen Rendite heiratet er Zaida, wird von den Wayuu
aufgenommen und beteiligt die Familie am illegalen Geschäft. Was folgt, ist
der – auf wahren Begebenheiten beruhende – Aufstieg und Fall eines
indigenen Narco-Imperiums, lange bevor Kolumbien zum berüchtigten
Epizentrum des globalen Drogenhandels wurde.
Was „Birds of Passage“ allerdings zu einem besonderen und neuartigen Film
macht, ist, dass die Regisseure Cristina Gallego und Ciro Guerra ihre
Geschichte aus einer rein indigenen Sicht erzählen. 30 Prozent des Casts
sind tatsächliche Angehörige der Wayuu, die in jahrelanger Arbeit für die
Mitwirkung geschult wurden. Schon damit hebt sich der Film von den gerade
sehr modischen Drogenepen à la „Narcos“ (Netflix) oder „Loving Pablo“
(Biopic über Pablo Escobar) ab.
## Profitversprechen und Bedrohung
Auch ist das Marihuana für die Wayuu weder Faszinosum noch Teil ihres
Lebensstils. Es ist schlicht Handelsware, die tonnenweise in kleinen
Flugzeugen nach Florida ausgeflogen wird und dort als nicht enden wollender
Treibstoff die entfesselte Beat Generation erst möglich macht. Doch schnell
werden der Handel mit den Hippies und dessen immer grenzenlosere
Profitversprechen für die Wayuu zur existenziellen Bedrohung. Alijuna,
dafür gibt es sogar ein Wort in der Sprache der Wayuu. Es meint die
Bedrohung von außen, den Einfluss des Fremden, dem das Volk
jahrhundertelang erfolgreich gegen spanische und französische Kolonialisten
getrotzt hat.
Dass nun ausgerechnet das Peace – globales Friedens- und Versöhnungssymbol
– das Fundament der Wayuu-Familie zersetzt und sie schließlich Amok gegen
sich selbst laufen lässt, schält sich als zentrale, machtvolle Metapher von
Guerras und Gallegos Film heraus.
## Für den Clan zu allem fähig
„Birds of Passage“ vermeidet allerdings jegliche Romantisierung der Wayuu,
sondern konzentriert sich stets auf seine konsequente Erzählung. Die Ehre,
Würde und Tradition der matriarchalen Großfamilie werden dabei zum
Damoklesschwert, das der Handlung die entscheidenden und katastrophalen
Schnitte gibt. „Weißt du, warum ich hier respektiert werde“, fragt die
Clanoberste Úrsala Pushaina den noch ledigen Rapayet. „Weil ich für meine
Familie und für meinen Clan zu allem fähig bin.“
Was sich anfangs noch wie eine einschüchternde Pose anhört, erweist sich
später als jene Wahrheit, die alles in den Abgrund reißen wird. Es ist ein
wirklicher Krieg, den Guerra und Gallego in ihrem Film heraufbeschwören –
blutig, gnadenlos, habgierig. Eingebettet in farbenprächtige, üppige Bilder
vollzieht sich die Handlung chronologisch und stringent wie in einer sich
immer enger ziehenden Schlinge.
Die Szenerie wechselt immer wieder vom windumtosten Wohnsitz der Wayuu in
der Wüste zum Dschungel, in dem das Marihuana angebaut wird, bis zum Export
im steppenhaften Niemandsland. Was nach dem Verkauf mit der Droge passiert,
bleibt unsichtbar. Immer mehr unterläuft das Kapital die Riten und
Gewohnheiten der Wayuu, und das von außen einströmende Geld ist nicht mehr
wie am Anfang alijuna, also etwas Fremdes, sondern wird zur Triebfeder des
Handelns und zersetzt schleichend die familiären Bindungen. „Wo das Wort
ist, da ist Frieden“, sagt Úrsula gegen Anfang des Films.
Am Ende sprechen nur noch die Waffen. Diese Alternativlosigkeit globaler
Machtverhältnisse ist ein Leitmotiv in Guerras Filmen. Zuletzt zu bewundern
in „Der Schamane und die Schlange“ (2015), einer oscarnominierten
Bilderreise in unnachahmlichem, transzendentem Schwarz-Weiß. Der Film
erzählt von zwei Forschern, die Ende des 19. Jahrhunderts im Amazonasgebiet
jene Pflanze suchen, aus deren Essenz sich Kautschuk produzieren lässt. Die
Einheimischen, welche die Pflanze seit jeher verehren, bezahlen diese
Entdeckung mit ihrer eigenen Vernichtung. Jeder Fortschritt ist
gleichzeitig Zerstörung.
4 Apr 2019
## AUTOREN
Johannes Bluth
## TAGS
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