# taz.de -- Kinostart des Thrillers „Wind River“: Ein vergletscherter Spät… | |
> Die indigenen Nebendarsteller geben den Ton an: Taylor Sheridans „Wind | |
> River“ ist trotz eines fragwürdigen Frauenbilds ein guter Film. | |
Bild: Cory Lambert (Jeremy Renner) und sein Freund Martin Hanson (Gil Birmingha… | |
In US-amerikanischen Indianerreservaten verschwinden immer wieder junge | |
einheimische Frauen. Manchmal werden sie gefunden: vergewaltigt und | |
hingerichtet. Die Hintergründe bleiben meist ungeklärt, die Dunkelziffer | |
der Fälle dürfte noch höher sein. Denn für die Gruppe indigener Frauen wird | |
offiziell kein eigener Eintrag im US-amerikanischen Vermisstenregister | |
geführt, obwohl Schätzungen zeigen, dass diese signifikant häufiger Opfer | |
von Gewalt werden. | |
Die desolate Situation der Natives in den Reservaten kommt hinzu: Die | |
offiziell propagierte Politik der Vereinzelung von Clanstrukturen hat | |
soziale Netze vielerorts nachhaltig zerstört und ermöglicht rechtsfreie | |
Räume. Ein brennendes Thema, das bisher abseits weniger Internetblogs und | |
lokaler Aktivistengruppen nicht beachtet wurde. | |
Dass nun mit „Wind River“ ein großkalibrig produzierter Kinofilm darauf | |
aufmerksam macht, darf als ein echtes Zeichen verstanden werden. Zumal | |
viele indigene Schauspieler mit ihren echten Namen in den Credits des Films | |
auftauchen, welche sie sonst eher verstecken, um in der | |
Hollywood-Maschinerie eine Chance zu haben. | |
Am Set soll sogar eine Gruppe von Clanführern Regisseur Taylor Sheridan | |
einen Besuch abgestattet haben, um den Finger darauf zu legen, dass hier | |
ein real existierendes Problem verfilmt wird und sich die Menschen in den | |
Reservaten von der Regierung und dem Justizsystem im Stich gelassen fühlen. | |
Trotzdem ist „Wind River“ zunächst ein fiktionaler Film und Thriller, der … | |
wie sich noch zeigen wird – auch in einige Fallen des Kino-Konformismus | |
tappt. | |
Bei einer seiner Touren durch den Schnee entdeckt der Wildhüter Cory | |
Lambert (Jeremy Renner) die vergewaltigte Leiche einer jungen, indigenen | |
Frau – mitten in der Wildnis, abseits jeglicher Zivilisation. Corys eigene | |
Tochter verschwand vor vielen Jahren und wurde bis heute nicht gefunden. | |
Die aus Las Vegas abgeordnete FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) | |
übernimmt zunächst die Ermittlungen, zusammen mit dem resignierten | |
Reservats-Sheriff Ben (Graham Greene). Weder Cory noch Ben glauben wirklich | |
daran, dass Aufklärung oder gar Gerechtigkeit im verwahrlosten Wind River | |
möglich ist. Das Verschwinden junger Frauen scheint so etwas wie das | |
kollektive Trauma dieses Orts zu sein, ein unaussprechlicher Schleier, der | |
sich über die schneebedeckten Weiten legt. | |
Das Puzzle aus Trauerstudie, Thriller und Tätersuche fügt sich dann aber | |
überraschend schnörkellos zusammen, als eine Ölbohranlage des | |
Energieministeriums in den Blick gerät, die sich unweit des Tatorts | |
befindet. „Wind River“ ist allerdings weit mehr als die Suche nach dem | |
Täter: Es entsteht ein Milieu, man kann sich die Orte der Handlung fast | |
kartografisch vorstellen. Sie sind deckungsgleich mit dem Reservat der | |
Indigenen. So entsteht eine unheilvolle Geometrie, die den Film prägt und | |
trägt. Es sind klassische Motive des späten Westerns, die Regisseur Taylor | |
Sheridan gewissermaßen vergletschert. | |
Im Mittelpunkt steht Cory als Fährtenleser und traumatisierter | |
Familienvater. „Wind River“ bildet dabei den Abschluss von Sheridans | |
„American Frontier“-Trilogie, in der nach „Sicario“ mit „Hell Or High | |
Water“ bereits ein Western vertreten ist. „Wind River“ ist das Regiedebüt | |
des Drehbuchautors Sheridan, dessen Scripts für simple, scheinbar aus dem | |
Stegreif erdachte Prämissen bei zugleich ausgereifter Figurenentwicklung | |
bekannt sind. | |
Diesmal ist die Prämisse nicht besonders einfach, aber Sheridan gelingt | |
es, die Thematik zu einem konzertierten Script zu verarbeiten. In | |
Kombination mit den unbestreitbar schönen Landschaftsaufnahmen, die in der | |
klirrenden Kälte des winterlichen Utah gedreht worden sind, ergibt das eine | |
frische Szenerie, die dem Film ein absolut unverbrauchtes Setting gibt. | |
Genau wie die Filmmusik, die eigens von Nick Cave und Warren Ellis | |
komponiert wurde und mit ihrer kratertiefen, sehnsuchtsvollen Düsternis | |
einen elegischen Bogen um die Handlung spannt. Sie steht zu Recht auf der | |
Shortlist für die kommende Oscar-Verleihung. | |
Komplettiert wird diese Aura von einem großartigen Cast, in dem vor allem | |
die indigenen Nebendarsteller hervorstechen. Ihr persönlicher Bezug zur | |
Thematik wird deutlich. Sie spielen eben nicht nur jene standardisierte und | |
rassifizierte Rolle des „Indianers“, für die sie sonst meistens gecastet | |
werden. Das schaffen nur wenige Produktionen. Man könnte fast sagen, dass | |
„Wind River“ am meisten von seinen Nebendarstellern lebt. | |
## Der wortkarge Mann | |
Denn man kann daran zweifeln, dass die Hauptrolle mit Jeremy Renner | |
wirklich gut besetzt ist. Dieser ist so etwas wie der prominente Archetyp | |
des wortkargen Manns mit Waffe, seine Filmografie beweist es. Hier hätte | |
mehr Mut nicht geschadet, gerade weil „Wind River“ ein brennendes Thema | |
anpackt, es dann aber nicht ganz konsequent angeht: Elizabeth Olsen als | |
FBI-Agentin Jane Banner muss sich stets von den Männern belehren lassen, | |
wie die Dinge am „Wind River“ zugehen. Trotz ihrer resoluten Art wird sie | |
nicht ernst genommen, es sei denn, sie hat ihre Waffe im Anschlag. Wer am | |
Ende wen rettet, sei hier nicht ausgesprochen, aber es passt eben auch ins | |
Bild. | |
So wird das Hollywoodkino von seinen eigenen Dämonen eingeholt. Und die | |
scheinbar eisernen Gesetzen des gut vermarktbaren Filmemachens überlagern | |
die gesellschaftlich relevante Thematik. Das ist schade, weil „Wind River“ | |
in allen anderen Belangen ein tadelloser, ja sehr guter Film ist. Nur | |
versucht er ein wenig, sein klischiertes Frauenbild zu vertuschen. | |
Man kann es allerdings auch so sehen, wie es Starregisseur Denis Villeneuve | |
– der mit „Sicario“ ein Script Sheridans verfilmte – formuliert hat: Die | |
Benachteiligung von Frauen sei eben ein real existierendes Problem und | |
daher sei es doch nicht falsch, wenn Filme dies auch genauso abbilden | |
würden. Heiß diskutiert wird momentan, dass diese Benachteiligung auch | |
finanzielle Folgen hat, denn wie sich herausgestellt hat, ist der | |
sogenannte „gender pay gap“ in Hollywood ganz besonders eklatant. Danach | |
gefragt, antwortete Hauptdarsteller Jeremy Renner jedenfalls in | |
cowboyhafter Abwehrhaltung mit: „That’s not my job.“ | |
Leider passt es da allzu sehr ins Bild, dass Renner ein Liebling der | |
Weinstein Company ist – und kein Geringerer als Mogul Harvey Weinstein | |
„Wind River“ mitproduziert hat. Aus der Sicht des Marketings ist das | |
natürlich mehr als ein Geschmäckle in einem Film über die Rechtlosigkeit | |
der indigenen Bevölkerung und die Vergewaltigung von Frauen. Kurzerhand | |
ließ man das Logo der Weinstein Company aus den Credits entfernen, der | |
Kinostart in der USA fand allerdings wenige Wochen vor Bekanntwerden der | |
Vorwürfe gegen Weinstein statt. Bei 11 Millionen Dollar Produktionskosten, | |
spielte „Wind River“ allein in die USA um die 40 Millionen Dollar ein. Ein | |
beeindruckendes Ergebnis. Fragt sich also, wer letzten Endes von dem Geld | |
an der Kinokasse profitiert? | |
„Wind River“ ist dennoch ein sehr guter und wichtiger Film mit langem | |
Nachhall. Er leistet ohne Zweifel einen Beitrag zu einer aktuellen Debatte | |
und zwar – denn das ist das eigentlich Spannende und Vielversprechende – | |
aus dem System eines US-amerikanischen Studiofilms heraus. | |
7 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Johannes Bluth | |
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