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# taz.de -- Pipeline-Proteste in den USA: Jäger der schwarzen Schlange
> Monatelang protestierten Tausende amerikanische Ureinwohner gegen eine
> neue Pipeline. Obama stoppte den Bau. Dann gewann Trump.
Bild: Das Washington Monument erinnert an die weißen Amerikaner. Jetzt wollen …
Washington taz | Ezekiel Bahee hat sich bei den Männern neben sich
untergehakt, sie stehen dicht gedrängt in einer Reihe an der wichtigsten
Paradestrecke der USA, der Pennsylvania Avenue in Washington D.C., die vom
Kongress zum Weißen Haus führt. Die Männer sind Navaho, Sioux und Cherokee.
Hinter ihrem Rücken befindet sich ein weißes Tipi. Vor ihnen stehen
Polizisten, die ein Hotel bewachen. Fünf Sterne, mehr als 500 Dollar pro
Nacht, es gehört Donald Trump.
„Black Snake Killer“, ruft der 18-jährige Bahee aus voller Kehle in den
Himmel über der Hauptstadt. Andere fallen ein und wiederholen den Ruf. Die
schwarze Schlange ist eine Pipeline, die unter dem Missouri und quer durch
den Mittleren Westen führt, sie wird gerade fertiggestellt. Schon in
wenigen Tagen könnte Öl durch sie hindurchfließen. Die schwarze Schlange
steht zugleich für das Elend, in dem viele Ureinwohner Nordamerikas leben.
Im vergangenen Jahr hat die schwarze Schlange Ureinwohner aus dem ganzen
Land in der Prärie zusammengeführt. Sie bauten Protestcamps aus Tipis und
Jurten, beteten, drängten die Stammesälteren dazu, der US-Regierung die
Stirn zu zeigen, und trotzten der Polizei. Sie wollten so den Bau der
Dakota Access Pipeline verhindern.
## Die eigene Sprache fehlt
Manche Campbewohner haben dafür ihr altes Leben hinter sich gelassen,
andere pendeln zwischen Arbeitsleben und Protest. Sie treffen dort auf
Angehörige anderer Stämme, zum Teil jahrhundertelang verfeindet, auf
Jugendliche, die sich vorher nur vage als Native Americans verstanden
hatten. Bahee, dessen Stimme jetzt, an einem Freitag im März, durch die
Straßen Washingtons hallt, ist einer der Letzteren.
Ezekiel Bahee ist 18 Jahre alt, die langen schwarzen Haare trägt er zum
Zopf gebunden. Er lebt in Flagstaff, Arizona, einer mittelgroßen Stadt im
Südwesten der USA. Bahee wusste immer, dass er ein Navaho ist, die anderen
Kinder auch, sie hänselten ihn damit, nannten ihn Skalpierer. Doch von der
Kultur seiner Vorfahren hatte er keine Ahnung. Seine Großmutter war früh
gestorben, sein Vater im Gefängnis und seine Mutter damit beschäftigt, ihre
sieben Söhne und drei Töchter großzuziehen.
Erst im Protestcamp nahm Bahee zum ersten Mal an rituellen Reinigungen
teil, saß in Schwitzhütten, lernte, Tipis in Rekordzeit aufzubauen. Und die
ersten Worte der Navaho-Sprache Diné. „Yah’ah Tah“, Hallo, sagt er nun,
wenn er andere Ureinwohner trifft. „Das schafft eine ganz andere
Verbindung“, sagt er.
Es schneit, hagelt und regnet, während mehrere tausend meist junge Native
Americans zum Weißen Haus ziehen. Präsident Trump hat direkt nach seinem
Amtsantritt angeordnet, dass sowohl die Pipeline in North Dakota als auch
andere so schnell wie möglich gebaut werden. Sein Vorgänger Barack Obama
hatte am Ende seiner Amtszeit noch auf die Proteste reagiert, den Bau
gestoppt und eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt. Die ist
nun gestrichen.
Die Ureinwohner wollen das nicht akzeptieren. Sie argumentieren, dass jede
Pipeline früher oder später Lecks hat und in so einem Fall in North Dakota
das Öl in den Missouri fließen könnte – aus ihm bezieht das unmittelbar
südlich angrenzende Standing-Rock-Reservat sein Trinkwasser. Die
Protestierenden sind aber auch wütend, weil Washington ihre Interessen
wieder einmal ignoriert. Es geht um gebrochene Pipelines, um gebrochene
Verträge und um gebrochenes Vertrauen.
Die Alten haben das Sagen
Die meist jungen Demonstranten tragen ein euphorisches „Wir“ in die
Hauptstadt, ein kollektives Selbstbewusstsein, das so neu ist wie ihre
Bewegung. „Wir existieren, wir leisten Widerstand und wir werden stärker“,
steht auf dem großen Transparent, das junge Mädchen in langen bunten Röcken
in der ersten Reihe der Demonstration tragen.
Eine von ihnen ist Alice. Sie ist 13 Jahre alt, Schülerin, sie lebt im
Reservat Standing Rock. Sie war eine von 30 Läufern, die gemeinsam 3.200
Kilometer bis in die Hauptstadt rannten. Unterwegs machten sie in jedem
Reservat Halt, diskutierten mit anderen Jugendlichen und Stammesräten. Die
Läufer nannten sich Wasserschützer und machten einen Satz aus der
Lakota-Sprache bekannt: „Mní Wičhóni“ – Wasser ist Leben. Er wird zum
Slogan der Bewegung.
Die Jugendlichen laufen durch die USA, und plötzlich erscheint es ihnen,
als wäre es möglich, die Dakota Access Pipeline zu verhindern. Ein
Dreivierteljahr später steht die 13-jährige Alice auf dem Lafayette Square
vor dem Weißen Haus. Sie spricht zu Tausenden Menschen über Respekt, Liebe
und Sicherheit: „Deswegen sind wir gegen die Pipeline.“
Dass junge Leute bei den Sioux für ihren Stamm sprechen, ist neu.
Traditionell haben die Alten das Sagen. Die Jungen schweigen. Auch das hat
die schwarze Schlange geändert.
Im Frühjahr vergangenen Jahres, es sah aus, als stünde die Dakota Access
Pipeline, die das Öl aus den Fracking-Bohrungen in North Dakota zu den
Industrien im 1.800 Kilometer entfernten Illinois bringen soll, kurz vor
der Vollendung, veröffentlichten Bewohner des Standing- Rock-Reservats
einen Hilferuf auf Facebook. Sie befürchteten, dass ihre Stammesvertreter
den Widerstand gegen die Pipeline, die niemand in dem Reservat wollte,
aufgegeben hatten.
Washington? Die ignorieren uns doch!
Der 20-jährige Joseph White Eyes aus dem Cheyenne-River-Reservat im
Nachbarbundesstaat South Dakota las den Aufruf und bot seine Hilfe an. Er
ist ein erfahrener Organizer.
White Eyes hatte in seinem Reservat Jugendgruppen zur Selbstmord- und
Drogenprävention gegründet – zwei Übel, die in zahlreichen Reservaten
grassieren. Er hatte Jugendliche in Gebetslager geholt, wo sie in Kontakt
mit ihren eigenen Wurzeln kommen konnten. Auch bei jahrelangen Protesten
gegen eine andere Pipeline, Keystone-XL, war er dabei. Barack Obama hatte
sie schließlich kurz vor dem Pariser Klimagipfel, im Winter 2015,
gestrichen. Auch diese Pipeline will Trump nun doch bauen lassen.
Anfang April versammelte White Eyes eine Handvoll Jugendliche und fuhr mit
ihnen in das zwei Stunden nördlich gelegene Standing-Rock-Reservat. Dort
wurden sie von mehreren Aktivisten empfangen, aber nur von einem
Stammesvertreter. Gemeinsam gründeten sie nahe der geplanten
Missouri-Unterquerung der Pipeline das erste Protestcamp und nannten es
„Sacred Stone“. Sie beteten, hielten Zeremonien ab und beobachteten die
Bauarbeiten.
Im Frühsommer schlug eine Bewohnerin Standing Rocks vor, Staffelläufe und
andere Rennen zu veranstalten. Erst in den Mittleren Westen, dann bis nach
Washington. „Was ist das strategische Ziel?“, hatte White Eyes sie gefragt,
„in Washington haben sie sich noch nie für Ureinwohner interessiert.“ Doch
dann half er, Freiwillige zu rekrutieren, und rannte selbst 23 Tage lang
mit.
Bis auch die Stammesoberen in die Camps kamen und ihre Unterstützung
anboten, sollte einige Zeit vergehen. Der Lauf nach Washington war der
Wendepunkt. Die Camps in der Prärie schwollen an, zeitweise lebten dort
10.000 Bewohner, um zu protestieren.
Kolonialisierte Köpfe
Vertreter aus fast allen der 562 Indianerstämme der USA stellten ihre
Fahnen auf, Ureinwohner aus aller Welt schickten Solidaritätserklärungen
und Spenden, Essen und Baumaterial. Auch Sympathisanten ohne indigene
Wurzeln stießen hinzu. Die jungen Aktivisten mobilisierten immer weiter,
informierten über soziale Medien. Sie hielten keine langen Reden, sondern
sagten direkt, was sie dachten. „Die Älteren haben einen kolonisierten
Kopf“, sagt White Eyes, „wir sind freier als unsere Großeltern.“
Zusätzlich sorgte die Polizei für Schlagzeilen. Je öfter sie die
Campbewohner mit Pfefferspray und bissigen Hunden attackierte, desto
stärker wuchs die Sympathie der Bevölkerung für die Wasserschützer.
Eine alte Sioux-Prophezeiung besagt, dass eine siebte Generation kommen und
für Veränderung sorgen wird. In den letzten Jahrhunderten haben die
Ureinwohner fast alles verloren. Von ihren weiten Ländereien sind ihnen nur
winzige und isolierte Reservate geblieben. Statt ihrer Kulturen haben sie
vor allem Angst, die daher rührt, dass ihre Großeltern zwangsweise in
Internate geschickt worden sind. Dort sollte ihnen alles Indianische
ausgetrieben werden. „Das hat unsere Familien zerstört“, sagt White Eyes.
Die meisten Camps am Missouri sind inzwischen geräumt. Und die Dakota
Access Pipeline wird demnächst fertiggestellt. Aber die Wasserschützer
geben sich nicht geschlagen. Manche denken jetzt darüber nach, Ventile zu
verschließen. Andere wollen die schwarze Schlange wegbeten. Wieder andere
hoffen auf das Gerichtsverfahren vor einem Bundesgericht, das im April
entscheiden will.
Gebraucht werden
Für den 18-jährigen Ezekiel waren die letzten Monate der Beginn einer
Lehrzeit. Als er auf seiner Baustelle in Flagstaff gekündigt hatte, sagte
er zu seinem Vorarbeiter: „Ich muss an einen Ort gehen, wo ich gebraucht
werde.“ Der Vorarbeiter, ebenfalls ein Ureinwohner, verstand. In North
Dakota, mehr als 2.100 Kilometer nördlich seiner Heimatstadt, entdeckte
Bahee seine Identität und seine Stärke. „Als Kind habe ich viel Gewalt und
Missbrauch gesehen“, sagt er, „jetzt kann ich endlich das tun, wofür ich
damals zu klein war: Ich kann andere schützen.“
Er will zu anderen Orten in den USA weiterziehen, dorthin, wo indianische
Aktivisten begonnen haben, gegen Pipelines, Ölbohrungen und Kohleabbau zu
protestieren. „Wenn ich genug gelernt habe“, sagt er, „gehe ich nach Hause
zurück, um dort zu kämpfen.“
14 Mar 2017
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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