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# taz.de -- Unabhängigkeitsbestrebungen in Hawaii: Aloha für die Freiheit
> Für Amerikaner ist Hawaii ein Urlaubsparadies. Für Bumpy Kanahele nicht:
> Der Indigene hat die „Nation of Hawaii“ begründet. Er ist nicht der
> einzige Separatist.
Bild: Holzhäuser zwischen Bananenstauden: die „Nation of Hawaii“
Hawaii taz | Wenn Bumpy Kanahele den Hügel hinaufsteigt, hat er die
Freiheit schon fast erreicht. Zu seinen Füßen erstreckt sich die „Nation of
Hawaii“, bestehend aus einem Dutzend Holzhäusern, einem Festsaal und einem
Maschendrahtzaun, der rund ums Gelände verläuft. Die Anwohner können sich
dank Quellwasser, Bananenstauden und Süßkartoffelbeeten nahezu selbst
versorgen. Sogar ein eigenes Abwassersystem existiert in diesem feuchten,
immergrünen Dschungelcamp. Nur das Wichtigste, das fehlt den Bewohnern der
„Nation“ noch immer: ihr eigener Staat.
Politisch mag dieses Ziel in weiter Ferne liegen. Doch hier, in den Wäldern
östlich von Honolulu, zwischen Hundezwingern, „Free Hawaii“-Bannern und
ausgeschlachteten Autos, ist Kanaheles Wort schon Gesetz. Der 63-jährige
Aktivist war früher mal Golfer. „Ich hatte schon immer Probleme mit
Autoritäten“, sagt Kanahele, auch wenn er in T-Shirt und kurzer Hose eher
wie ein netter Onkel aussieht, der mal eben eine Runde am Strand dreht.
Doch sein Blick ist hart, seine Worte sind ernst: „Wir leben in einem
besetzten Land – einem Land, in dem unser Volk ausgelöscht wird.“
Den meisten US-Amerikanern ist diese Sichtweise fremd. Sie kennen Hawaii
als Urlaubsziel und Sehnsuchtsort, als Paradies aus Palmen, Surferwellen
und ewigem Sonnenschein. Auch strategisch spielt die 4.000 Kilometer vom
Festland entfernte Inselgruppe eine wichtige Rolle. Tausende amerikanische
Soldaten sind auf Hawaii stationiert. Im Marinehafen Pearl Harbor liegt die
US-Pazifikflotte vor Anker – 1941 das Ziel eines verheerenden japanischen
Flugzeugangriffs, heute ein Symbol für amerikanischen Patriotismus,
Durchhaltewillen und Opferbereitschaft im Namen des Vaterlandes.
Doch manche Ureinwohner wie Kanahele haben einen anderen Blickwinkel. Für
sie sind US-Amerikaner vor allem Eindringlinge, die Militärbasen bauen,
Munitionsreste im Meer versenken und Hawaii zur Zielscheibe machen, sollte
der Konflikt mit Nordkorea eskalieren. „Alles, was die Amerikaner machen,
ist Steuern erheben und den Kapitalismus vorantreiben“, schimpft Kanahele.
Schnell fügt er hinzu: „Wir sind nicht antiamerikanisch. Wir sind einfach
nicht amerikanisch.“
## Erst seit 1959 Bundesstaat der USA
Tatsächlich gibt es erstaunlich viele Gemeinsamkeiten zwischen den
„Natives“ auf Hawaii und den Native Americans auf dem Festland. Der weiße
Mann brachte ihnen vor allem eins: Ärger. Angefangen mit dem britischen
Seefahrer James Cook, der die Gastfreundschaft der Insulaner derart
strapazierte, dass er am Ende gelyncht wurde. Gefolgt vom Sturz der
hawaiianischen Königsfamilie 1893 durch amerikanische Plantagenbesitzer bis
hin zur unrühmlichen Annexion des Landes – ein Unrecht, für das sich
US-Präsident Bill Clinton Jahrzehnte später entschuldigte. Erst seit 1959
ist Hawaii der 50. Bundesstaat der USA.
Die meisten Hawaiianer haben sich mit ihrer Geschichte inzwischen
arrangiert. Nicht so Bumpy Kanahele. Und diese Sturheit zahlt sich offenbar
aus. Das 20 Hektar große Gelände, auf dem seine „Nation“ liegt, stellt die
hawaiianische Landesregierung als Pacht zur Verfügung. „Die Cops lassen uns
in Ruhe“, sagt Kanahele, „weil sie wissen, dass wir etwas Gutes tun.“ Zur
Bestätigung zeigt er auf zwei große Familienzelte, in denen sich
Camping-Möbel und Matratzen stapeln. „Hier leben Obdachlose, die vorher am
Strand gezeltet haben. Wir haben sie aufgenommen, weil sie Bürger unserer
Nation sind. Und es werden nicht die Letzten sein.“
Noch aber ist die „Nation“ überschaubar. Bis jetzt wohnen nur etwa 80
Personen auf dem Gelände. Auch das Staatsoberhaupt wohnt ein paar Häuser
die Straße hinunter. „Aber wir haben Großes vor“, sagt Kanahele. Eine
eigene Schule, ein eigenes Krankenhaus, eine eigene Bank. Derzeit erstreckt
sich die medizinische Versorgung jedoch auf ein Gewächshaus voller
Cannabis, das die Bewohner „als Naturheilmittel“ einsetzen. „Damit haben
wir sogar schon Krebs geheilt“, behauptet Kanahele, der insgesamt viele
Dinge spirituell oder traditionell erklärt. So auch seine eigene Regierung.
Demokratisch gewählt wurde er nämlich nicht, stattdessen ernannt per
Erbrecht. „Meine Vorfahren waren Könige“, sagt Kanahele. „Ich trage das …
mir.“
Im Alltag müssen die hehren Ziele allerdings manchmal zurücktreten. Die
meisten Aktivisten haben Jobs außerhalb der Nation; ältere Bewohner
beziehen eine staatliche Rente. „Manche sehen darin einen Widerspruch“,
sagt Kanahele. „Aber das ist Quatsch. Die Regierung hat uns so lange
ausgebeutet – die schuldet uns Geld, und wir sollten es nehmen.“ Überhaupt,
die Widersprüche: Längst nicht alle Separatisten folgen dem gleichen Ziel
wie die „Nation“. Auf Hawaii existieren unzählige Gruppen: Manche wollen
die Monarchie wiederherstellen, andere eine parlamentarische Demokratie.
Und wieder andere existieren nur als Facebook-Gruppen, die über
kolonialistische Weiße herziehen („Haole, go home!“).
## Der königstreue Hähnchengriller
Auf Kauai, der grünsten und regenreichsten Insel Hawaiis, verkauft ein
älterer Herr Hähnchen am Straßenrand. Die Plakate und Fahnen neben dem
Grill bewerben aber nicht nur den Imbiss. Auch die Idee eines freien Hawaii
sollen sich die Kunden auf der Zunge zergehen lassen. Keohokui Kauihana,
der Grillmeister, kommt gleich zur Sache. „Jeder Hawaiianer ist
verpflichtet, unserer Königin zu folgen“, sagt er und verweist auf die
gestürzte Monarchie von 1893. „Die meisten aber laufen den Amerikanern
hinterher, obwohl sie Kriegsverbrecher sind.“
Was er dagegen tut? Protestieren und Hähnchen grillen. Und dafür keine
Steuern zahlen. Eine Genehmigung für seinen Stand besitzt Kauihana nicht,
jedenfalls keine offizielle. „Das Königreich hat mir eine Verkaufslizenz
ausgestellt“, sagt er, „das reicht mir.“ Von anderen Gruppen wie der
„Nation“ hält der 64-Jährige wenig. Die seien zu weich, zu
kompromissbereit, hätten sich hinter ihren fahnenbehangenen Zäunen bequem
eingerichtet. „Das sind Marionetten“, sagt Kauihana, „genau wie Trump eine
Marionette der Konzerne ist.“ Die Regierung schaffe es nicht einmal, die
Waffengewalt einzudämmen. „Aber uns wollen sie vorschreiben, wie wir zu
leben haben.“
Mehr will der leidenschaftliche Imbissverkäufer dann doch nicht sagen.
„Aber hier ist jemand, der dir alles in deiner Sprache erklärt“, sagt er
und zeigt auf das Zelt neben dem Grill. Drinnen, auf einem Plastikstuhl,
sitzt Susanne Gottschalk. Die 57-jährige Deutsche lebt seit über zwanzig
Jahren auf Hawaii. Ursprünglich kam sie mit ihrem Ex-Mann, einem
US-Soldaten, auf die Inselgruppe. Über Infoabende entdeckte sie ihr
Interesse für die Unabhängigkeitsbewegung. „Für mich ist das eine Frage der
Moral“, sagt Gottschalk. „Ich kann doch als Einwanderin nicht auch noch
gegen die Natives arbeiten.“
## Die Deutsche, die an der Seite der Indigenen kämpft
Also engagiert sie sich zusammen mit Kauihana für eine Gruppe, die sich
„Lawful Hawaiian Government“ nennt, inklusive jährlicher
Legislativ-Versammlung. „Die Amerikaner nehmen uns nicht ernst“, sagt
Gottschalk, „aber ich glaube an unseren Erfolg. Das Völkerrecht ist auf
unserer Seite.“ Natürlich sehen das nicht alle Einheimischen so, gerade
wenn das lauteste Plädoyer für ein unabhängiges Hawaii von einer
Zugezogenen kommt. Schon mehrfach sei sie als „fucking haole“, als
bescheuerte Weiße, beschimpft worden, erzählt Gottschalk. „Dann antworte
ich: Einer muss doch für eure Sache kämpfen, wenn ihr es selbst nicht tut.“
In der „Nation of Hawaii“ erzählt Bumpy Kanahele unterdessen von seinem
neuesten Projekt. Um finanziell unabhängig zu werden, haben er und seine
Mitstreiter eine Kryptowährung, die „Aloha Coin“, ins Leben gerufen. „Wir
sind wie Wakanda“, sagt Kanahele und lacht. Wakanda ist im Kinofilm „Black
Panther“ ein technologisch weit überlegener, von der Außenwelt
unterschätzter afrikanischer Staat. „Vielleicht haben wir aktuell sogar
Glück“, ergänzt Kanahele. „Obama hat viel geredet, aber nichts bewirkt.
Aber Trump? Der ist so verrückt, dass er uns unser Land vielleicht wirklich
überlässt, einfach so.“
Man mag schmunzeln über solche Sprüche. Über den Anführer, der ein Reich
regiert, in dem Cannabis und Süßkartoffeln wachsen. Über den
Hähnchenverkäufer, der Kunden am Grillstand missioniert. Über die Deutsche,
die Einheimischen erzählen will, was das Beste für sie ist. Und doch ist
die Sache ernster, als es auf den ersten Blick scheint.
Zum Abschied holt Bumpy Kanahele sein Handy hervor. Er öffnet ein Foto, das
den Plenarsaal der Vereinten Nationen in New York zeigt. Als Gastredner am
Mikrofon: Kanaheles Neffe Brandon, der sich an den Ausschuss für indigene
Völker richtet. „Er sitzt da nicht als Amerikaner, sondern als Vertreter
eines souveränen Staates“, sagt Kanahele, und seine Augen leuchten vor
Stolz. Schon bald werde das auch die Mehrheit der Inselbewohner so sehen –
vereint unter seiner Herrschaft, in der „Nation of Hawaii“.
11 Jan 2019
## AUTOREN
Steve Przybilla
## TAGS
Hawaii
Unabhängigkeit
Indigene
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Rassismus
North Dakota
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