| # taz.de -- Berlinale-Regisseur Babak Jalali: „Etwas von der Wut zeigen“ | |
| > In „Land“ erzählt Babak Jalali von einer indigenen Community in New | |
| > Mexico. Für den Film hat er in 31 Reservaten gelebt. | |
| Bild: Babak Jalali in Berlin, Februar 2017 | |
| taz: Herr Jalali, in „Land“ erzählen Sie eine Geschichte aus den USA mit | |
| indigenen Protagonisten, der Familie Denetclaw, die in einem Reservat in | |
| New Mexico lebt. Was hat Sie auf das Thema gebracht? | |
| Babak Jalali: Ich wusste einiges über die Kultur und Geschichte der Native | |
| Americans, ich interessierte mich dafür, wusste aber nicht viel über ihre | |
| gegenwärtige Lage. Mir war klar, dass einige Native Americans in Reservaten | |
| leben, doch von den Verhältnissen dort hatte ich nicht viel mitbekommen. | |
| Vor sieben Jahren las ich in einer Londoner Zeitung einen Artikel über ein | |
| Reservat in South Dakota. Was mich wirklich überrascht hat, war die | |
| Statistik zu den Lebensbedingungen. Da gibt es also mitten in den USA, die | |
| als das wohlhabendste Land der Welt gelten, Gemeinden, in denen die | |
| Lebenserwartung bei 47 Jahren liegt, mit einer Arbeitslosenquote von 80 | |
| Prozent, und wo Diabetes stark verbreitet ist. Das hat mich schockiert. Ich | |
| bin darauf in dieses Reservat gefahren, habe dort ein wenig Zeit verbracht. | |
| Die nächsten vier, fünf Jahre über bin ich dann in 30 Reservate in 15 | |
| verschiedenen Staaten der USA gereist. Am Ende fiel die Wahl auf ein | |
| Reservat in New Mexico, wenngleich ein fiktives. | |
| Wie viel Zeit haben Sie denn in den einzelnen Reservaten verbracht? | |
| Ich habe jedes Mal ein paar Monate in den Reservaten gelebt. | |
| In allen 30 Reservaten? | |
| 31, um genau zu sein. In Staaten wie Oregon, Washington State, Idaho, | |
| Wyoming, Montana, North Dakota, South Dakota, Arizona, Utah und New Mexico. | |
| Hatten Sie schon beim Besuch des ersten Reservats an den Film gedacht? | |
| Das Grundgerüst für den Film hatte ich ausformuliert, als ich in das erste | |
| Reservat in South Dakota gefahren bin. Und den ersten Entwurf des Drehbuchs | |
| fing ich dort an zu schreiben. | |
| „Land“ wird als „Anti-Western“ bezeichnet. Könnte man den Film einfach… | |
| einen Western aus indigener Perspektive verstehen? | |
| Im gegenwärtigen Kino gibt es in der Mehrheit Geschichten über die indigene | |
| Bevölkerung als Cowboys und Indianer, mit den Indianern als Wilden. Über | |
| die heutige Situation gibt es nicht so viele Filme. Jarmuschs „Dead Man“ | |
| ist ein Western, der zum Teil aus Sicht der Native Americans erzählt ist. | |
| Wobei ich selbst meinen Film nie einen „Anti-Western“ genannt habe. Das war | |
| jemand anderes. | |
| Die Familie Denetclaw in Ihrem Film kämpft im Alltag zwischen Alkoholismus | |
| und dem Bemühen um soziale Teilhabe, einige von ihnen arbeiten, andere | |
| verbringen ihre Zeit mit Trinken. Beides ist Teil einer komplizierten | |
| Ökonomie mit den weißen Amerikanern, die ihnen Alkohol verkaufen. Die | |
| meisten dieser weißen Nachbarn sind nicht allzu sympathisch. Ich habe mich | |
| gefragt, ob das nicht ein wenig stereotyp ist. | |
| Nun, ich habe versucht, es nicht ganz so schwarz-weiß zu machen, gute | |
| Indianer, böse Weiße. Was nicht ganz leichtfällt, denn für mich steht fest, | |
| wenn ich eine der Seiten wählen müsste, auf wessen Seite ich stünde. | |
| Selbstverständlich gibt es aber auch unter der indigenen Bevölkerung Leute, | |
| die „Böses“ tun, wie der Schwarzhandel betreibende Cousin im Film. Nehmen | |
| wir andererseits die Leute vom Liquor Store: Rein technisch gesehen tun sie | |
| nichts Illegales. Moralisch sieht die Frage schon anders aus, ob das, was | |
| sie tun, richtig ist oder nicht. Oft hat man dann Blut an den Händen, denn | |
| man trägt dazu bei, eine Community zu dezimieren. Bloß des Geldes wegen. | |
| Daher musste ich auch etwas von der Wut zeigen, scheint mir. | |
| Für die Natives ist es auf der anderen Seite nicht immer leicht, ihre | |
| Identität zu wahren. Als ein Sohn der Familie als Soldat in Afghanistan | |
| fällt, bietet ihnen die Armee ein Begräbnis mit militärischen Ehren an. Die | |
| Familie besteht aber auf einem traditionellen indianischen Begräbnis. An | |
| der Stelle wird der Zusammenprall dieser beiden „Amerikas“ im Film auf die | |
| Spitze getrieben. | |
| Die Frage des Militärs ist tatsächlich sehr interessant. Wenn man in großen | |
| Städten wie New York oder L. A. ist und in Cafés oder Buchläden geht, dann | |
| findet man dort überall diese Kisten mit Militärprospekten wie „Uncle Sam | |
| will dich!“ – die USA sind ein sehr patriotisches Land. Nur rührt in den | |
| Städten niemand diese Zettel an, während die Leute in den Reservaten aktiv | |
| dahinter her sind, sich beim Militär zu melden. | |
| In den Reservaten? | |
| Ja, und einige von ihnen mögen durchaus auch patriotisch sein. Für viele | |
| von ihnen ist es aber vor allem eine Karriereoption, eine Chance, aus dem | |
| Reservat rauszukommen. Die Rekrutierungskampagne des US-Militärs scheint | |
| sich immer stärker auf Minoritäten verlegt zu haben: Afroamerikaner, | |
| Hispanics, Native Americans. In den desolateren Communitys beten die Leute | |
| darum, eingezogen zu werden, weil die Bezahlung besser ist. Wie die Mutter | |
| an einer Stelle über ihren Sohn sagt: „Er starb nicht für sein Land, | |
| sondern für seine Arbeit.“ | |
| Eine sehr interessante Figur des Militärs ist der Major, der das Begräbnis | |
| des Sohns organisiert. Er scheint der Familie gegenüber Verständnis zu | |
| haben, zugleich ist er an seine Regeln gebunden. Der Schauspieler Mark | |
| Mahoney gibt ihm einen schüchtern neurotischen Zug. Ansonsten ist Mahoney | |
| ja … | |
| Tätowierer. | |
| Einer von Hollywoods beliebtesten Tätowierern, habe ich gelesen. | |
| Ja. Beim Casting für die Rolle des Majors kamen viele dieser klassischen | |
| Berufssoldaten-Typen mit durchgedrücktem Rücken zu uns. Mark Mahoney | |
| hingegen – wenn man ihm im normalen Leben begegnet, wäre das Militär das | |
| Letzte, was man mit ihm assoziieren würde. Nun, wir haben auch viel an | |
| seinen Haaren getan. Er hat zugleich eine gewisse Fragilität an sich. Denn | |
| ich wollte, dass der Major menschlich ist. Ihm sind die Hände durch die | |
| Militärbürokratie gebunden, aber er hat Mitgefühl mit der Familie. | |
| Sind die Native-Figuren eigentlich ausnahmslos mit indigenen Darstellern | |
| besetzt? | |
| Die Darsteller sind alle indigen, aus Kanada oder den USA. Einige von ihnen | |
| haben noch nie als Schauspieler gearbeitet, wie James Coleman, der Wesley | |
| spielt. Er ist trockener Alkoholiker, war viele Jahre abhängig. Rod | |
| Rondeaux, im Film Ray, ist vornehmlich Stuntman. Georgina Lightning, die | |
| Betty spielt, ist Schauspielerin. Wilma Pelly, die Mutter, hat zuvor schon | |
| in Filmen gespielt. Die übrigen Indigenen sind keine Schauspieler. Wir | |
| haben ein offenes Casting gemacht, hatten nicht speziell nach | |
| Berufsschauspielerin gesucht, alle konnten kommen. Vorausgesetzt, sie waren | |
| Native Americans. | |
| Die ruhig komponierten Bilder stammen von der Kamerafrau Agnès Godard, die | |
| früher viel mit Claire Denis zusammengearbeitet hat. Wie kam sie zu Ihrem | |
| Team? | |
| Ich habe die Kameraarbeit von Agnès Godard schon während meines Studiums an | |
| der London Film School geliebt. Ich habe immer davon geträumt, mit ihr | |
| zusammenzuarbeiten. Wir haben ihr das Drehbuch zugeschickt, sie hat es | |
| gelesen und gesagt, sie würde mitmachen. Dann haben wir uns in Paris | |
| getroffen und haben uns auf die Suche nach Drehorten gemacht. Die meisten | |
| stilistischen Entscheidungen sind damals gefallen. Der Film sollte langsam, | |
| etwas statisch sein und sich Zeit zum Erzählen nehmen. | |
| Das Tempo passt zu dem eher gemächlichen Lebensrhythmus der Natives im | |
| Film. Entsprach das denn Ihren Beobachtungen aus den Reservaten? | |
| Nein, ich habe ihnen stets gesagt, sie sollten ruhiger sein als gewöhnlich. | |
| Wenn die Kamera gerade nicht lief, waren sie weitaus lebhafter und | |
| spaßiger. Vor der Kamera waren sie dann wieder ruhig, denn das war es, was | |
| ich von ihnen als Schauspieler wollte. Wenn man eine Community beobachtet, | |
| mag ich es, wenn man sich als Filmemacher dabei Zeit lässt. | |
| 24 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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