# taz.de -- Netflix-Serie „Griselda“: Grausam und glamourös | |
> „Griselda“ erzählt die Geschichte der Kolumbianerin Griselda Blanco. Sie | |
> hat in den 1970ern ein florierendes Drogengeschäft in Florida aufgebaut. | |
Bild: Sofia Vergara als Griselda | |
Der einzige Mann, vor dem ich wirklich Angst hatte, war eine Frau namens | |
Griselda Blanco. Das soll Pablo Escobar einmal gesagt haben, wie zumindest | |
die gleich zu Beginn der Serie „Griselda“ eingeblendete Texttafel besagt. | |
Ob das Zitat in dieser Form tatsächlich stimmt, sei dahingestellt. Dass die | |
Realität für die Verantwortlichen dieses Sechsteilers nicht unbedingt ganz | |
oben auf der Agenda stand, ist ohnehin offensichtlich. Aber die Chance, von | |
Anfang an den Bezug herzustellen zum legendärsten Drogenbaron aller Zeiten, | |
konnte man sich wohl nur schwer entgehen lassen. | |
Doug Miro, Andrés Baiz und Carlo Bernard, die [1][allesamt schon an | |
„Narcos“ beteiligt] waren und hier mit Ingrid Escajeda („Justified“) die | |
Strippen zogen, knöpfen sich nun also die sogenannte Godmother of Cocaine | |
vor und lassen ihre Titelheldin dabei zunächst einmal mitsamt ihrer drei | |
Söhne in den späten 1970er Jahren aus Kolumbien in die USA fliehen. Die | |
genauen Umstände, die dazu geführt haben, dass Griselda (Sofía Vergara) | |
ohne ihren brutalen Ehemann in Miami ankommt, enthüllen sich erst später. | |
Aber auf jeden Fall hat sie ein Kilo feinstes Kokain im Gepäck – und mit | |
dem lässt sich natürlich sehr viel schneller zu Geld kommen und eine neue | |
Existenz aufbauen als mit einem Job im Reisebüro ihrer Freundin. | |
Mit Ehrgeiz und Brutalität sowie personeller Hilfe aus der Heimat baut sich | |
Griselda schnell ein florierendes Drogengeschäft in Florida auf. Immer | |
wieder stößt sie dabei auf Männer, die ihren Aufstieg zu verhindern | |
versuchen, seien es US-amerikanische Konkurrenten oder andere Paten des | |
Medellín-Kartells. Und immer skrupelloser werden die Entscheidungen, die | |
sie treffen muss, um sich von ihnen nicht aufhalten zu lassen. Doch je mehr | |
Reichtum und Mord ihr Leben bestimmen, desto mehr nimmt auch die Paranoia | |
überhand und rückt der unausweichliche Absturz näher. | |
Es ist nicht so, dass die Geschichte Blancos nicht schon erzählt worden | |
wäre, sei es in den „Cocaine Cowboys“-Dokumentarfilmen oder in einem | |
TV-Film mit Catherine Zeta-Jones in der Hauptrolle. Doch weil in der seit | |
Jahren anhaltenden Flut von Storys über Drogenkartelle tatsächlich kaum je | |
Frauen im Vordergrund stehen, ist „Griselda“ eine willkommene Ergänzung. | |
Dass die Serie die Biografie ihrer Protagonistin über weite Strecken als | |
zwar oft grausame, aber doch auch glamouröse Girlpower- oder besser: | |
Boss-Bitch-Geschichte erzählt, ist aber doch etwas befremdlich. | |
## Klischees über lateinamerikanische Einwanderer*innen | |
Der Eindruck eines arg zurecht gebogenen Narrativs verstärkt sich noch | |
dadurch, dass Miro, Escajeda und Co der Titelheldin eine junge Polizistin | |
gegenüberstellen, die kaum weniger ambitioniert und ebenfalls Latina ist. | |
June Hawkins (Juliana Aidén Martinez) muss in ihrem Job gegen eine ähnliche | |
Mischung aus Misogynie und patriarchale Strukturen ankämpfen: Eigentlich | |
soll sie nur aus dem Spanischen übersetzen und Kaffee kochen. Ihren | |
begründeten Verdacht, dass eine Frau die lokale Drogenszene komplett | |
umzukrempeln scheint, nimmt lange Zeit kaum jemand ernst. | |
Die Figur Hawkins alleine kann nicht verhindern, dass insgesamt in | |
„Griselda“ etwas zu oft das Klischee der lateinamerikanischen | |
Einwander*innen wiederholt wird, die sich [2][den amerikanischen Traum | |
bloß mit Gewalt und Drogen] verwirklichen können. | |
## Zu leicht konsumierbar | |
Fragwürdiger allerdings erscheint, wie weit sich das Skript in der | |
Darstellung der Titelheldin von der Realität entfernt. Schon ein flüchtiger | |
Blick bei Wikipedia und Co zeigt: Nicht nur die Abläufe ihres Werdegangs | |
waren zum Teil ganz anders, sondern die echte Griselda dürfte auch noch um | |
einiges gnadenloser, gefühlskälter und blutrünstiger gewesen sein. | |
Dass den Verantwortlichen stattdessen eine Protagonistin wichtiger war, mit | |
der man als Zuschauer*in zumindest ein bisschen mitgeht, ist prinzipiell | |
verständlich. | |
Gut möglich auch, dass Sofía Vergara, die in ihrem ersten großen | |
Schauspieljob seit dem Ende von „Modern Family“ sichtlich Freude an einer | |
für sie ganz ungewohnten Rolle hat, dann doch zu viel Respekt davor hatte, | |
sich so weit vom familienfreundlichen Image zu entfernen. Aber mit dem | |
Netflix-typischen Hochglanz über die tiefsten, kompliziertesten Abgründe | |
dieser Figur allzu leichtfertig hinwegzugehen, macht diese Geschichte mit | |
ihrem flotten Erzähltempo und den schicken Bildern letztlich ein bisschen | |
zu leicht konsumierbar. | |
25 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Netflix-Serie-Narcos/!5223752 | |
[2] /Serie-ueber-Drogenkrieg-in-Mexiko/!5781688 | |
## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
## TAGS | |
Netflix | |
Drogenhandel | |
Kriminalität | |
Serien-Guide | |
Serien-Guide | |
Subkultur | |
Thriller | |
Pablo Escobar | |
Drogenkartell | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman: Gemeinsam einsam | |
Die Amazon-Serie „Expats“ erzählt von drei höchst unterschiedlichen | |
US-Auswandererinnen in Hongkong. Ihr Verlorensein verbindet sie. | |
Mockumentary-Serie „Szene Report“: Nur eine Phase | |
Der sechsteilige „Szene Report“ parodiert Subkulturen im Stile von | |
Fernsehberichten aus den 90ern. Spießertum trifft auf Teenager mit großen | |
Plänen. | |
Drogen-Thriller als indigene Geschichte: Indigene Narcos | |
Ein Handel, der zum Krieg wird: der kolumbianische Drogen-Thriller „Birds | |
of Passage“ von Cristina Gallego und Ciro Guerra. | |
Netflix-Serie „Narcos“: Plata o plomo? | |
Die Serie „Narcos“ auf Netflix erzählt vom Aufstieg und Fall des legendär… | |
kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar. | |
Vor 20 Jahren starb Pablo Escobar: Die Gesichter von „El Patrón“ | |
Auch nach 20 Jahren wird Pablo Escobar von den einen verehrt, von den | |
anderen verachtet. Eine Spurensuche in der Heimatstadt des Drogenbarons. |