# taz.de -- Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman: Gemeinsam einsam | |
> Die Amazon-Serie „Expats“ erzählt von drei höchst unterschiedlichen | |
> US-Auswandererinnen in Hongkong. Ihr Verlorensein verbindet sie. | |
Bild: Szene aus der Serie „Expats“ mit Nicole Kidman (r.) | |
Wie Entwurzelung aussehen kann, zeigt „Expats“, die neue Miniserie von Lulu | |
Wang mit [1][Nicole Kidman] in der Hauptrolle, mehr als alles andere. Die | |
Literaturverfilmung des Beststellers „The Expatrians“ von Janice Y. K. Lee | |
porträtiert drei amerikanische Frauen in Hongkong, die trotz völliger | |
unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten das Erleben von absoluter Heimat- | |
und Haltlosigkeit vereint. | |
Margaret (Nicole Kidman) verzweifelt an ihrer Rolle als [2][„Expat-Wife“], | |
die durch die Auswanderung beruflich jeden Anschluss verloren hat und | |
gleichzeitig ihre Relevanz als Mutter schwinden sieht. Lieber lassen sich | |
die Kinder von der weniger strengen Haushälterin ins Bett bringen und | |
bekochen. Mit „klaren Grenzen“ für die Haushälterin will Margaret dagegen | |
vorgehen und weiß gleichzeitig, dass sie damit einen Kampf gegen Windmühlen | |
beginnt. | |
Margarets engste Vertraute und Nachbarin Hilary (Sarayu Blue) sieht sich | |
mit einem Ehemann konfrontiert, der plötzlich doch Kinder will, und findet | |
sich in Waisenhäusern mit Kleinkindern auf dem Arm wieder, bemüht, | |
Mutterliebe zu empfinden, und erschüttert darüber, dass sie nicht „wie | |
andere Frauen“ auf große Augen und kleine Händchen reagiert. | |
Beide Frauen leben in einem Milieu amerikanischer Auswanderer, „Expats“, | |
die am Wochenende [3][auf Yachten Weißwein trinken], „Ketchup auf ihr Ramen | |
tun“ und sich von einem Dienststab chinesischer Angestellter das Leben so | |
reibungslos wie möglich gestalten lassen. „Wir haben das verdient“, sagt | |
Margarets Ehemann mit seinen Händen in ihrem Haar. „Es ist nicht das echte | |
Leben“, erwidert Margaret und hat recht damit. | |
## Menschen zweiter Klasse | |
Einheimische Chauffeure sitzen abrufbereit in der Tiefgarage, einheimische | |
Haushälterinnen halten den eisgekühlten Tee schon in der Hand, wenn die | |
Haustür aufgeht. „Du musst streng mit ihnen reden, sonst verstehen sie das | |
nicht“, erklärt eine amerikanische Freundin Margaret. Die schüttelt | |
lächelnd den Kopf und hängt längstmöglich dem Glauben nach, ihre | |
Haushälterin sei eigentlich Familie. | |
Nur dass sie das natürlich nicht ist. Dass Chauffeure und Köchinnen besser | |
von Untreue, durchweinten Nächten und gebrochenen Abstinenzbeteuerungen | |
wissen als der eigene Ehepartner, will dabei niemand wahrhaben. So sehr ist | |
Margaret schließlich in einer binären Logik von Amerikanern, die Häppchen | |
essen, und chinesischem Dienstpersonal, das ihnen die Häppchen reicht, | |
gefangen, dass sie im Supermarkt einen anderen chinesischen Kunden bittet, | |
ihr Maissirup zu suchen. | |
Mercy (Ji-Young Yoo) schließlich, amerikanisch-koreanisch und eine der | |
Frauen, die Margaret und Hilary Häppchen anreicht, schlittert in das Leben | |
der beiden Frauen hinein und hinterlässt ein Erdbeben, das all die | |
Convenience zur Kraterlandschaft werden lässt. Sie brauche einen Neubeginn | |
und sei deshalb in Hongkong, erklärt sie Margaret. „Mit 24?“, fragt | |
Letztere lachend. Dass Jugend nicht vor Aussichtslosigkeit schützt, ist | |
dabei aus jedem Gesichtsausdruck Mercys zu lesen. | |
## Emotionale Brutalität | |
So sind die Themen von „Expats“ nichts wirklich Neues im Darstellen | |
weiblicher Biografien: die Entscheidung gegen Mutterschaft als nicht zu | |
verbalisierendes Tabu, die Aufgabe der eigenen Identität zugunsten des | |
Ehemannes, das Entgleiten der eigenen Kinder, der Versuch eines | |
Klassenaufstiegs, der nicht gelingt, weil neues Wissen nicht mit altem Geld | |
konkurrieren kann. Die Verwebung dieser Frauenbiografien allerdings, bei | |
der Schuldfragen völlig in den Hintergrund rücken, ist ebenso herausragend | |
wie Kameraperspektiven, die mit Szenen provozieren, deren emotionale | |
Brutalität kaum auszuhalten ist. | |
Nicole Kidman macht sich mit „Expats“ nach „The Undoing“ und „Big Lit… | |
Lies“ endgültig zum Serienphänomen des weiblich perspektivierten Dramas, | |
das Frauen zwischen angepasster Pflichterfüllung und Umgang mit plötzlich | |
hereinbrechenden Katastrophen umkreist. Wenn sie in „Expats“ in einer | |
heimlich gemieteten Wohnung Böden schrubbt und sich Tränen und Putzwasser | |
vermischen, dann fragt „Expats“ vor allem, was gutes Leben ist – und wie | |
viel Bequemlichkeit wirklich damit zu tun hat. | |
30 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marie-Sofia Trautmann | |
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