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# taz.de -- Vor 20 Jahren starb Pablo Escobar: Die Gesichter von „El Patrón�…
> Auch nach 20 Jahren wird Pablo Escobar von den einen verehrt, von den
> anderen verachtet. Eine Spurensuche in der Heimatstadt des Drogenbarons.
Bild: Höhepunkt der Tour Pablo Escobar: Pablo Escobars Bruder Roberto (l.), de…
Am Ende kommen der korpulenten Dame mit den ergrauten Haaren die Tränen. Es
herrscht Stille. Nur die Klimaanlage des anonymen Hotelzimmers surrt
unbeirrt weiter. Wortlos reicht der Ehemann ein Taschentuch, doch die
Gesichtszüge von Luz Maria Escobar sind längst entglitten.
Viele Stunden habe sie weinend mit ihrer Mutter verbracht, immer auf der
Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie der Mann, den sie als
liebenswürdigen Bruder, Sohn, Vater und Ehemann kannten, zu einem
skrupellosen Verbrecher werden konnte. Auch 20 Jahre nach dem Tod Pablo
Escobars, des Chefs des berüchtigten Medellín-Kartells, fällt es seiner
Schwester immer noch schwer, die zwei Gesichter ihres Bruders zu einem
stimmigen Bild zusammenzufügen.
Geboren in Envigado, einer Vorstadt von Medellin, Sohn einer Erzieherin und
eines Bauern, brachte es Escobar mit dem Export von Kokain aus einfachen
Verhältnissen zu einem der reichsten Menschen der Welt. In den 80er Jahren
kontrollierte das Kartell mehr als zwei Drittel des weltweiten
Kokainhandels. Mindestens 5.000 Menschenleben soll er auf dem Gewissen
haben.
Um seine Auslieferung an die USA zu verhindern, ließ er Bomben legen und
ein Flugzeug in die Luft jagen. Auf Polizisten setzte er ein Kopfgeld aus.
Unter den Opfern befanden sich ein Präsidentschaftskandidat, ein
Justizminister, Journalisten und Richter. Seit ihr Bruder am 2. Dezember
1993 von Spezialeinheiten der Polizei auf dem Dach eines Medelliner
Einfamilienhauses erschossen wurde, ist die Familie Escobar
gesellschaftlich isoliert.
Auf der Straße werde sie beschimpft, sagt Luz Maria Escobar. Schuld seien
auch die Medien. Bücher, Dokumentation und Spielfilme über Pablo könnten
eine ganze Privatbibliothek füllen. Gegen eine erfolgreiche Telenovela über
das Leben ihres Bruders reichte Luz Maria Escobar Klage ein. „Sie haben ein
völlig verfälschtes Bild unserer Mutter verbreitet“, sagt sie.
## Geld für alle
Ihre Mutter habe sich doch immer für sozial Schwache eingesetzt. Jetzt
werde eine ganze Familie für etwas in Sippenhaftung genommen, für das sie
keine Schuld trage. Es geht um eine Familienehre, die nicht mehr zu retten
ist. Die Klage wurde abgewiesen.
Besonders in Medellín, auf dem Höhepunkt des Drogenkrieges Anfang der 90er
Jahre eine der gefährlichsten Städte der Welt, will man heute nichts mehr
von der dunklen Vergangenheit wissen. Dank Investitionen in die öffentliche
Bildung, innovativen Infrastrukturprojekten wie die Integration von
Seilbahnen in das öffentliche Nahverkehrssystem und teuren Imagekampagnen
gilt die Stadt weltweit als Phönix, der aus der Asche seiner Vergangenheit
aufgestiegen ist.
Der „Parque Lleras“, ein üppig begrünter Platz im Nobelviertel El Poblado,
ist an einem Freitagabend prall gefüllt. Salsa, Vallenato-Musik und Techno
dröhnen aus den Diskotheken und Bars auf die Straßen, auf denen wuchtige
SUVs ihre Runden drehen. Der „Lleras“ ist das Epizentrum der
internationalen Feiergemeinde. Unter der Hand kann man ein Gramm Kokain bei
den einheitlich mit roten Jacken bekleideten Zigarettenverkäufern für
weniger als zehn Euro erstehen.
Es sind besonders junge Backpacker aus Europa und Nordamerika, die hier
ausgehen und auch zur Kernklientel der Pablo-Escobar-Tour gehören. Zweimal
täglich an sechs Tagen der Woche lädt die Fremdenführerin Doris eine
Touristengruppe in ihren Minivan und fährt sie durch die Vergangenheit.
„Although Pablo is dead twenty years, he still gives money to everybody“,
sagt sie in etwas holprigem Englisch auf der Fahrt zum Friedhof Montesacro.
Luz Maria Escobar hat das Familiengrab kurz vor dem 20. Todestag ihres
Bruders eigens herrichten lassen. Weiße Kieselsteine bedecken die Erde,
bunte Blumengestecke und lilafarbene Luftballons in Herzform zieren den
Grabstein Pablos, um den sich nun die Touristen gruppieren. Anekdotenreich
erzählt die Fremdenführerin von der grausamen, aber vor allem der
philanthropischen Seite von „El Patrón“, der dank seiner Wohltaten für die
Armen der Stadt noch immer heimlich verehrt wird.
## Heer aus Auftragsmördern
„Gegen diese Mystifizierung sind wir machtlos,“ sagt Juan Diego Torres auf
einem anderen Friedhof im ärmeren Süden der Stadt. Er ist kultureller
Leiter des Museumsfriedhofs San Pedro. Hierher, zwischen Backsteinhäuser
und Stundenhotels, verirren sich nur wenige ausländische Touristen. Der
Friedhof ist seit den 80er Jahren zur letzten Ruhestätte junger Männer aus
den angrenzenden Armenvierteln geworden.
Denn der „Robin Hood“ Pablo Escobar stiftete nicht nur Bolzplätze und
Häuser für die Armen. Aus den unteren Gesellschaftsschichten rekrutierten
er und das Medellín-Kartell auch das Heer ihrer Auftragsmörder. Für ihren
Traum vom Luxusleben, wie es Escobar führte, starben viele junge Männer.
Andere machten später als Anführer paramilitärischer Gruppen zweifelhafte
Karrieren.
Torres steht vor einer Familiengruft. Acht Fotos von jungen Männern im
Outfit von Vorstadtgangstern stehen hinter einer Glasscheibe nebeneinander.
Ihr Bruder, bekannt unter dem Namen „La Quiqa“, soll im Auftrag des
Medellín-Kartells eine Bombe in dem Flugzeug deponiert haben, dessen
Explosion 110 Menschen das Leben kostete. „Wir wollen den Jugendlichen
zeigen, dass sich dieser Weg nicht lohnt,“ sagt Torres mit Blick auf die
fast 1.500 meist jungen Männer, die dem Bandenkrieg im Großraum Medellín
noch heute jährlich zum Opfer fallen.
## Bruder Schatzmeister
Die Strukturen des Medellín-Kartells haben nie aufgehört zu existieren. Die
Mafia kontrolliert weite Teile der Armenviertel. Neben dem Drogenhandel
spülen Schutzgelderpressung, illegales Glücksspiel und Produktpiraterie
Millionen in ihre Kassen, sagen Experten. „Pablo Escobar hat sich von
nichts und niemandem aufhalten lassen“, sagt Torres. „Dafür wird er von den
einfachen Leuten immer noch bewundert.“
Die Pablo-Escobar-Tour ist unterdessen an einem ehemaligen Haus des
Drogenbarons angekommen. Es gibt Fotos vom Kokainkönig zu besichtigen,
seinen persönlichen Schreibtisch und eine Harley Davidson. In der Garage
steht ein alter Wartburg, mit dem Escobar Ende der 70er Jahre die ersten
Kokainladungen von Ecuador nach Kolumbien geschmuggelt haben soll.
Gleich daneben parkt ein nagelneuer Porsche Cayenne. Er gehört dem Mann,
der den Höhepunkt der Tour bildet: Pablo Escobars Bruder Roberto. Er war
Schatzmeister des Medellín-Kartells, führte die Finanzen über
Millionengewinne. „Aber er hat nie jemanden getötet“, betont die
Fremdenführerin Doris.
Der Gesichtsausdruck von Roberto Escobar ist emotionslos. Lässig stecken
seine Hände in den Hosentaschen. Nach einem Briefbombenattentat hört und
sieht er nur noch schlecht. Heute, so versichert er den gespannt
lauschenden Touristen, hätte er nichts mehr mit illegalen Geschäften zu
tun. Ganz im Gegenteil: Die Einnahmen aus der Tour kämen seinen Forschungen
an einem Wirkstoff gegen Aids zugute. Internationale Pharmakonzerne hätte
schon Interesse angemeldet. Ein Patent ist bei der Wipo, der
Weltorganisation für geistiges Eigentum, hinterlegt.
## Zerbrochene Familie
Nach all dem Schaden, den der Bruder über Kolumbien und die Welt gebracht
habe, stehe er nun kurz davor, etwas Gutes für die Menschheit zu tun. „Die
Nachricht“, sagt Roberto Escobar selbstbewusst, „wird einschlagen wie eine
Bombe.“
Luz Maria Escobar hingegen will nicht die Menschheit retten. Ihr Traum wäre
ein Museum für ihren Bruder Pablo, sagt sie. Doch zuvorderst wünsche sie
sich Frieden und Versöhnung. Und die beginne in der eigenen Familie. Das
traute Familienleben, das die jüngste aller Escobar-Geschwister so
geschätzt hatte, ist nach dem Tod der Mutter endgültig zerbrochen. „Die
Familie Escobar Gaviria hat aufgehört zu existieren“, schluchzt sie. Bald
soll auch ihr Buch über Pablo Escobar erscheinen. Um ihren Hals trägt sie
eine Kette mit einer kleinen goldenen Schatzkiste.
29 Nov 2013
## AUTOREN
David Graaff
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