| # taz.de -- Sozialsenatorin über Obdachlosigkeit: „Es ist nicht immer die K�… | |
| > In vier Wochen starben in Hamburg vier Obdachlose. Doch Sozialsenatorin | |
| > Melanie Leonhard verteidigt das bestehende Hilfesystem. | |
| Bild: Manch Obdachloser schläft im Winter – wie hier 2016 – lieber im Zelt… | |
| taz: Frau Leonhard, was dachten Sie, als bekannt wurde, dass [1][binnen | |
| vier Wochen vier Obdachlose gestorben sind]? | |
| Melanie Leonhard: Das waren keine guten Nachrichten. Es interessiert uns, | |
| was das für Menschen das waren. Wie war ihre Lebenslage? Gab es eine | |
| Ansprache durch Dritte? Dann lässt sich herausfinden, was da passiert ist. | |
| Denn auch wenn Winter ist: Es ist nicht immer die Kälte, die zum Tod | |
| geführt hat. | |
| Die Diakonie sagt: Vier Tote sind kein Zufall. Die Obdachlosenhilfe muss | |
| einladender sein. Stimmen Sie zu? | |
| Kaum eine Kommune hat die Hilfe so stark auf persönliche Ansprache | |
| ausgerichtet wie Hamburg. Wir betreiben Straßensozialarbeit, haben | |
| Tagesaufenthaltsstätten und das Winternotprogramm. Schon jetzt haben wir 50 | |
| Personen in reguläre Unterkünfte vermittelt und elf Menschen haben einen | |
| Entgiftungsplatz angetreten. Das sind Erfolge! | |
| Trotzdem gibt es vier Todesfälle. Sozialarbeiter sagen: den Obdachlosen | |
| geht es einfach schlechter auf der Straße. | |
| Wir haben es in einer Stadt wie Hamburg mit vielfältigen Lebenslagen zu | |
| tun. Menschen scheitern und sind für uns als Staat schwer erreichbar. Das | |
| ist oft sehr tragisch. | |
| In Berlin sammelt ein Kältebus gefährdete Menschen ein. Wann bekommt | |
| Hamburg so einen Kältebus? | |
| Wir setzen auf die direkte Ansprache durch die Straßensozialarbeit und die | |
| Polizei, weil auch Kältebus-Mitarbeiter Obdachlose nicht nötigen können, | |
| Hilfe anzunehmen. | |
| Aber die vier Todesfälle, das sind vier Menschen, wo es nicht gelungen ist, | |
| dass Polizei oder Sozialarbeiter sie finden. | |
| Das ist richtig. Aber in mindestens zwei von drei Fällen waren diese | |
| Menschen den Sozialarbeitern bekannt. Hier wurde Hilfe angeboten, konnte | |
| aber nicht angenommen werden. | |
| Es gab eine Petition von Betroffenen, das Winternotprogramm tagsüber zu | |
| öffnen. Warum tun Sie das nicht? | |
| Wir haben – anders als andere Städte – ein sehr gutes Netz an | |
| Tagesaufenthaltsstätten. Auch am Tag muss in Hamburg niemand draußen | |
| frieren. Dazu kommt: Die Menschen nutzen – überwiegend von sich aus – | |
| tagsüber die Angebote des umfangreichen Hilfesystems. Und wir können das | |
| Programm besser betreiben, wenn wir tagsüber technische Sachen machen, wie | |
| zum Beispiel saubermachen. | |
| Offensichtlich kommen die Betroffenen damit aber nicht klar, sonst würden | |
| sie keine Petition starten. Zwei der Toten kamen aus Polen. Menschen aus | |
| dem EU-Ausland dürfen ja nicht ins Winternotprogramm. | |
| Das ist nicht korrekt. | |
| Wenn sie hier keine Sozialansprüche erworben haben. | |
| Selbst wenn sie keine haben, dürfen sie rein. Die überwiegende Zahl der | |
| Nutzer des Winternotprogramms kommen aus Osteuropa. | |
| Sie weisen niemanden ab? | |
| Erst mal darf jeder rein. Dann wird er beraten und für den, der | |
| Selbsthilfemöglichkeiten im Herkunftsland hat, organisieren wir die | |
| Rückreise. | |
| Zu lesen war bei Hinz&Kunzt, dass vor einem Jahr um diese Zeit 100 | |
| Obdachlose aus Osteuropa abgewiesen wurden. Der Senat hat 108 Personen die | |
| Freizügigkeit abgesprochen und 20 abgeschoben. | |
| Das sind verschiedene Dinge, wir schieben niemanden ab, das ist Sache der | |
| Ausländerbehörde. Wir haben im Winternotprogramm tatsächlich Personen, die | |
| nach zwei, drei Nächten nicht aufgenommen werden, weil sich herausstellt, | |
| dass sie Selbsthilfemöglichkeiten haben. | |
| Die Abweisung passiert also nach zwei, drei Nächten? | |
| Nicht am ersten Tag. | |
| Aber dann schon? | |
| Wir verweisen diese Menschen dann in die Wärmestube. Wir haben auch das | |
| Phänomen, dass Gruppen von Arbeitgebern ins Winterprogramm gefahren werden. | |
| Die weisen wir sehr zügig ab. So kommen die hohen Zahlen zustande. Im | |
| letzten Jahr waren auch fast 100 Personen dabei, die wir ins | |
| Ankunftszentrum für Flüchtlinge verweisen mussten, weil die gar nicht | |
| richtig waren im Winternotprogramm. | |
| Ich las, im Winter 2017/18 wurden 377 von der Notschlafstelle an die | |
| Wärmestube verwiesen. Aber nur 117 kamen an. | |
| Ja, aber viele waren Kunden des Ankunftszentrum gewesen. Oder sie sind doch | |
| nach Hause gefahren. | |
| Was ist eine Wärmestube? | |
| Eine zusätzliche Räumlichkeit, wo es Tee und Kaffee gibt, Tische, | |
| Fernseher, nur eben kein Bett. | |
| Kann man da nur sitzen? | |
| Man kann da nicht liegen. Solange die Kapazitäten da sind, darf man seine | |
| Schlafutensilien ausbreiten. Dies geschieht aktuell auch so. | |
| Aber ist es nicht brutal zu sagen: Du kannst die Nacht da bleiben, du | |
| erfrierst nicht, aber du kannst dich hier eigentlich nicht schlafen legen? | |
| Es geht darum, deutlich zu machen, dass wir bestimmte | |
| Missbrauchstatbestände im Winternotprogramm nicht hinnehmen können. Wir | |
| brauchen die Wärmestube, denn wir wollen die Leute nicht auf die Straße | |
| schicken. Das ist eben für die Menschen, die woanders eine Wohnung haben | |
| und daher nicht im Winternotprogramm bleiben können. | |
| Sind Sie nicht nach Ordnungsrecht verpflichtet, allen Menschen einen | |
| Übernachtungsplatz anzubieten? | |
| Die Stadt ist dazu verpflichtet, dafür haben wir – neben den ganzjährigen | |
| Notunterkünften – im Winter das Winternotprogramm. Und es ist weiter so, | |
| wenn uns von der Polizei oder Sozialarbeitern Leute zugewiesen werden, | |
| nehmen wir die auf. Das hat immer funktioniert. | |
| Aber es gibt eine Verelendungstendenz. Wie sind sonst die Todesfälle zu | |
| erklären? | |
| Es sind in der Tat tragische Fälle. Es gab konkrete Hilfsangebote. Wir sind | |
| aber auch darauf angewiesen, dass die Menschen unsere Hilfsangebote | |
| annehmen. | |
| 16 Dec 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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