| # taz.de -- Dritte Kältetote in diesem Herbst: Tod vor dem Michel | |
| > Eine Obdachlose erfriert vor der Hauptkirche St. Michaelis. Diakonie und | |
| > Caritas fordern den Senat zum Handeln auf | |
| Bild: Prominenter Ort mitten in der Stadt: Am Michel starb die Obdachlose Birgit | |
| Hamburg taz | Vor dem Michel ist in der Nacht zu Samstag die 64-jährige | |
| Birgit, genannt Biggi, gestorben. Wie das Straßenmagazin Hinz&Kunzt gestern | |
| mitteilte, hat sie dort gemeinsam mit anderen Obdachlosen Platte gemacht. | |
| Die Polizei regt eine Obduktion des Leichnams an, um die Ursache ihres | |
| Todes zu klären. | |
| Biggi könnte die dritte Person sein, die in Hamburg in diesem Herbst schon | |
| an Unterkühlung gestorben ist. Bereits Ende Oktober verstarb die 47-jährige | |
| Joanna auf einer Parkbank am U-Bahnhof Niendorf-Markt an Unterkühlung. Und | |
| am 4. November wurde der 47-jährige Obdachlose Macij in einem alten | |
| Fabrikgelände tot aufgefunden. Hier steht die Todesursache nicht klar fest, | |
| was Kälte als Grund nicht ausschließt. | |
| Biggi hatte sich am Abend vorher noch mit dem Hinz&Kunztler Helmut | |
| unterhalten, bevor ein Freund sie am Morgen nicht mehr wecken konnte. Sie | |
| sei anscheinend nicht gut zugedeckt gewesen. Wie die anderen Verstorbenen, | |
| hat auch sie schon lange auf der Straße gelebt. „Viele Obdachlose | |
| verelenden dort, ohne dass sich an ihrer Situation etwas ändert“, sagt die | |
| Leiterin der Abteilung Existenzsicherung bei der Caritas, Andrea Hniopek. | |
| ## Zehn Obdachlose schlafen regelmäßig vor dem Michel | |
| Vor dem Michel lässt tagsüber nichts auf diese Tragödie schließen. Alle | |
| Treppenaufgänge sind freigeräumt von Schmutz, Laub und Müll. | |
| Touristengruppen laufen eifrig einem Tourguide nach und gucken sich den | |
| Michel von allen Seiten an – auch die Stelle, wo jemand vor wenigen Tagen | |
| gestorben ist. | |
| Doch anscheinend sieht es nachts ganz anders aus: Ungefähr zehn Obdachlose | |
| schliefen zurzeit regelmäßig am Michel, im Sommer bis zu 20, berichtet die | |
| Pressesprecherin des Michels Ines Lessing. „Biggi war am Michel ein | |
| bekanntes Gesicht, und es wurde ihrer im Gottesdienst am Sonntag mit einer | |
| Fürbitte gedacht.“ | |
| Lessing sagt, die Gemeinde halte Kontakt mit den Obdachlosen, die sich am | |
| Michel aufhalten. So würden von Jack un Büx, dem Secondhandladen des | |
| Michels, warme Pullover und Jacken an die Obdachlosen abgegeben. Jeden | |
| Abend halte der Mitternachtsbus am Michel. | |
| ## Gemeindehaus öffnet bei „extremen Temperaturen“ | |
| Wie es trotzdem sein kann, dass vor einer Kirche eine Frau womöglich an | |
| Kälte stirbt ist eine offene Frage: „Bei extremen Temperaturen hat der | |
| Michel in der Vergangenheit bereits das Gemeindehaus geöffnet“, sagt | |
| Lessing. „Im letzten Winter haben an einigen Tagen fünf bis sechs | |
| Wohnungslose dort geschlafen.“ Für eine Daueröffnung sei das Gemeindehaus | |
| nicht geeignet. | |
| Extreme Temperaturen werden Mitte November noch nicht erreicht, die harten | |
| Nächte stehen noch bevor. Deshalb fordern Hinz&Kunzt, Diakonie und Caritas | |
| Sondermaßnahmen, um Kältetote zu vermeiden. Das Leben der mindestens 2.000 | |
| Menschen auf Hamburgs Straßen müsse geschützt werden. | |
| „Das Winternotprogramm muss ganztägig geöffnet werden, und zwar für alle | |
| Menschen, die Schutz suchen“, verlangt der Referent für Wohnungslosenhilfe | |
| der Diakonie, Stephan Nagel. Viele Obdachlose würden auch deshalb von | |
| diesen Unterkünften abgeschreckt, weil sie diese morgens wieder verlassen | |
| müssten. „Die Stadt könnte das sofort ändern“, sagt Nagel. | |
| Diakonie und Caritas wünschen sich zudem einen Kältebus. Diesen sollen | |
| Passanten anrufen können, wenn sie nachts draußen in der Kälte Obdachlose | |
| sehen, die Hilfe brauchen. Bislang gibt es nur einen Mitternachtsbus, der | |
| festgelegte Routen fährt und Essen und heiße Getränke an Obdachlose | |
| verteilt. „Entweder fährt der Bus sie in eine Unterkunft, oder sie bekommen | |
| wenigstens einen Schlafsack ausgehändigt. Das würde Leben retten!“, sagt | |
| Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. | |
| 22 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Frieda Ahrens | |
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